Guy Sajers Der vergessene Soldat ist eines der eindrücklichsten Werke über den Zweiten Weltkrieg – und zugleich eines der umstrittensten. Ursprünglich 1965 in Frankreich erschienen, schildert es die Erfahrungen eines jungen deutsch-französischen Soldaten an der Ostfront – nicht aus Sicht eines Generals oder Chronisten, sondern aus der Perspektive eines einfachen Landsers, der zwischen Loyalitäten, Identitäten und Frontlinien zerrieben wird. Das Buch ist kein klassischer Tatsachenbericht im engeren Sinne, sondern eine literarisch aufbereitete Erinnerung, deren subjektiver Zugang Teil seiner Stärke – und Teil der Kritik – ist.
Sajer, eigentlich Guy Mouminoux, trat 1942 als Siebzehnjähriger der Wehrmacht bei und diente in der Eliteeinheit „Division Großdeutschland“. Seine Erlebnisse sind geprägt von Kälte, Hunger, Todesangst und Kameradschaft. Die Darstellung ist gnadenlos eindringlich, stellenweise surreal, fast traumartig. Die Erzählweise ist dabei ebenso bemerkenswert wie der Inhalt: Sajer springt zwischen poetischer Reflexion, schockierendem Realismus und tiefer persönlicher Zerrissenheit hin und her. Das Buch ist kein militärhistorisches Nachschlagewerk, sondern ein literarischer Überlebensbericht mit enormer emotionaler Wucht.
Was das Buch besonders macht, ist sein hybrider Charakter. Sajer war weder „rein“ deutscher Soldat noch französischer Widerstandskämpfer. Er war ein Kind zweier Kulturen, gefangen in einer Zeit, die keine Zwischentöne duldete. Diese Perspektive spiegelt sich in der Sprache und im Inhalt wider. Die Ambivalenz – das stille Entsetzen über das Erlebte, gepaart mit einer trotzigen Treue zu den eigenen Kameraden – zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk.
Die Bundeswehr hat Der vergessene Soldat über Jahrzehnte hinweg wiederholt rezipiert – teils offen, teils im Stillen. In internen Seminaren, in der Offiziersausbildung und in Fachzeitschriften wurde das Buch als literarisches Beispiel für „Kriegserfahrung von unten“ genutzt. Besonders in den 1980er und 1990er Jahren galt es als „Pflichtlektüre“ vieler Offiziere, nicht im Sinne einer militärischen Ausbildung, sondern als Reflexionsraum über Kameradschaft, Belastungsgrenzen und die Sinnfrage unter Extrembedingungen. Es war auch Teil der Inneren Führung, die gerade nicht auf blinden Gehorsam setzt, sondern auf moralische Urteilsfähigkeit und historisches Bewusstsein.
Gleichzeitig wurde das Buch nie offiziell in den Kanon der Bundeswehrliteratur aufgenommen – zu groß war die Unsicherheit über die historischen Details, zu schwer wog die Kritik an sachlichen Ungenauigkeiten. Denn Sajer verwechselt in seiner Erinnerung teils Einheiten, Waffentypen oder Orte. Dennoch: Die emotionale Wahrheit des Textes lässt sich schwer in Frage stellen. Für viele Leser – auch innerhalb der Bundeswehr – war und ist das Buch gerade deshalb glaubwürdig, weil es nicht alles „richtig“ machen will, sondern zeigt, wie Erinnerung funktioniert: bruchstückhaft, verzerrt, aber aufrichtig.
Heute bleibt Der vergessene Soldat ein einzigartiges Dokument. Kein klassischer Kriegsroman, keine nüchterne Analyse – sondern ein Seelenprotokoll. Wer verstehen will, was Krieg mit einem jungen Menschen macht, findet in diesem Buch Antworten, die keine Statistik geben kann.
Die deutsche Übersetzung dieses Millionen-Bestsellers ist jetzt endlich wieder verfügbar - erstmals als E-Book, Taschenbuch und gebundene Ausgabe!