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Blog: Die stillen Zeugen – Was uns Soldatenbiografien heute erzählen

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Overtüre_Cover mit Rahmen
Overtüre_Cover mit Rahmen

Jede Soldatenbiografie erzählt mehr als nur von Krieg und Front. Hinter den Daten, Fotos und Feldpostbriefen stehen Menschen – Söhne, Väter, Brüder –, deren Lebenswege der Krieg radikal veränderte. In den Biografien spiegeln sich nicht nur militärische Ereignisse, sondern auch persönliche Schicksale, Hoffnungen und Verluste.
Diese Lebensgeschichten helfen uns, Geschichte greifbar zu machen: Sie zeigen, wie politische Entscheidungen das individuelle Leben prägten, und geben den anonymen Zahlen des Krieges ein Gesicht. Durch das Sammeln, Bewahren und Erzählen dieser Biografien bleibt die Erinnerung lebendig – als Mahnung und als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

 

Montag, den 11.9.39
Bereits um ein Uhr werden wir geweckt und um halb drei Uhr morgens
geht es schon über den San. Die Mannschaften gehen über eine wacklige
Notbrücke, während die Tragtierführer mit den Tieren durch das Wasser
waten müssen. Das war ein Marsch, den ich nie vergesse. Nach 23 Stunden
beinahe ununterbrochenen Laufens kommen wir über Tyrawa und
Rostoka völlig erschöpft und auseinandergezogen weit nach Mitternacht
in Dobromyl an. Unfähig, noch einen Fuß zu heben, fallen wir auf die kaltnasse
Erde. Die Polen hätten nicht mehr angreifen dürfen.

Dienstag, den 12.9.39
Ein üblicher Vormarsch. Staubige Straßen, Hitze, Durst. Wir erreichen
Chyriw. Unser Vormarsch wird nur durch Bandengefechte und vereinzelte
polnische Soldaten gestört. Unser Divisionskommandeur greift mit 30
Mann unseres Bataillons Sambir an, das von zwei Infanterieregimentern
besetzt ist, und nimmt die Stadt ein. Da wäre ich gern dabei gewesen,
kann ich meinen ersten richtigen Kampf doch kaum erwarten. Die Polen
werden verjagt und ziehen sich unter Zurücklassung vieler Toter in die
nahegelegenen Wälder zurück.

Mittwoch, den 13.9.39
Wir marschieren durch brennende Dörfer und kommen in das von unserer
schweren Gebirgsartillerie in Brand geschossene Rudky. Der Pole in
Stärke von drei Infanteriedivisionen und einer Kavalleriebrigade ist nun
zwölf Kilometer vor uns. Wir sollen weit in die polnische Armee vorstoßen
und sie in zwei Hälften teilen. Die Spitze der Division bildet das 1./
100 und weiter zurück das Regiment 99. In Hradivka werden wir auf
LKW verladen und fahren im mörderischen Tempo an marschierender
Gebirgsartillerie vorbei nach Lwiw. Dort werden sämtliche Geräte im
herrlichen Kurpark abgeladen und die LKW fahren leer zurück, nun um
die Kompanie zu holen. Mit knapp 28 Mann sichern wir Lwiw und ermöglichen
somit das Nachziehen des Bataillons.
Am Abend erhalten wir schon die erste Feldpost. Ich freue mich ungemein,
dass auch ein Brief für mich dabei ist, auch wenn ich ein wenig neidisch auf das Päckchen mit Mettwurst und Schinken schaue, das Kehne von seiner Braut bekommen hat, und frage mich, was mehr Neid in mir
hervorruft, der Schinken oder die Braut. Mit knurrendem Magen lese ich
Mayas Brief. Dann werden im Park noch die restlichen Stunden verschlafen,
soweit man überhaupt von Schlaf reden kann, und schon graut der
Morgen.

Ulm, den 7.9.1939
Lieber Alois,
wie habe ich mich gefreut, schon so bald nach eurem Abmarsch von dir
zu hören! Es hat mich beruhigt, dich vorerst in Sicherheit zu wissen, aber
mir ist bewusst, dass du nicht da bist, um den guten Wein zu genießen.
Auch wenn ich mir Sorgen um dich mache, will ich, dass du immer ehrlich
zu mir bist, und mich nicht mit all den Schrecken und Gräueln des
Krieges verschonst. Du weißt, ich halte vieles aus und Ehrlichkeit bist du
mir nach allem, was zwischen uns war, immerhin schuldig.
Wenn du zurückkommst, werde ich vermutlich nicht mehr in Ulm sein.
Du weißt, es war schon länger mein Wunsch, Tierärztin zu werden, und
jetzt, da es aus mit uns ist, habe ich mir endlich ein Herz gefasst und mich
an verschiedenen tierärztlichen Hochschulen beworben. Gestern kam aus
Hannover die Zusage. Ich weiß, du bist bestimmt nicht erfreut darüber,
dass ich weggehe und dann auch noch nach Preußen, aber ich muss auch
nach vorne schauen, selbst wenn es schwerfällt, unendlich schwer. Meine
Tante Irmgard wohnt dort und ich kann vorerst bei ihr unterkommen. Es
fügt sich also alles ineinander.
Die armen Menschen, von denen du mir erzählst, tun mir leid. So will
doch keiner leben. Ich hoffe, ihr benehmt euch auch recht anständig und
macht der Wehrmacht keine Schande. Auch wenn hier jeder zuversichtlich
ist, bin ich in Gedanken trotzdem immer bei dir und hoffe, du
kommst schnell heim.
Fühl dich geherzt
Deine Maya

Donnerstag, den 14.9.39
Inzwischen wurde das Spielkasino mit den wunderbaren Spiegelsälen
zum Truppenverbandplatz umfunktioniert und schon treffen die ersten
Verwundeten ein. Unsere erste und zweite Kompanie mit Teilen des vierten Zugs haben die polnische Festung Lemberg noch in der Nacht angegriffen, die von 8000 Mann verteidigt wird. Der Bruder des Bataillonsadjutanten
kommt mit Bein- und Hodenschuss zurück. Sind das die Dinge,
die Maya hören will? Der Rest des vierten Zugs und die restlichen zwei
Züge der dritten Kompanie wurden auf LKW verladen und über holprige
Straßen in den nächsten Ort gefahren. Wir sind zu weit nach vorne und
befinden uns mitten zwischen zwei polnischen Divisionen.
Die Bevölkerung, ausschließlich Ukrainer und Deutsche, sind überglücklich
und begrüßen uns begeistert. Sie bringen uns Brot, Eier, Milch, Butter,
gesottene Fische und vieles mehr. Wir lassen uns 16 Karpfen braten
und gut schmecken. Während uns nun das Fett so im Bart hängt und wir
uns lustig unterhalten, kommen 20 Polen im Rudel über die Felder. Wir
greifen schnell zu den Waffen und schwärmen aus. Aber laut schreiend
und tücherschwenkend kommen sie näher und geben sich gefangen. Für
sie ist der Krieg aus, sagen sie lachend und sind froh, bei uns zu sein. Da
wir keine Unmenschen sind, dürfen sie mitessen und erhalten auch Zigaretten.
Lauter Reservisten, Jahrgang 1912 und zwei 16-Jährige polnische
Freiwillige. Wir müssen aber weiter nach rechts und schicken die Gefangenen
unbewacht nach Grodeck zurück, wo inzwischen unser zweites
Bataillon eingetroffen ist. Sie haben furchtbar Angst, von den Polen abgefangen
zu werden.
Auf Umwegen erreichen wir unsere Stellung. An der Bahnlinie schanzen
wir und bauen Stellungen aus. Uns gegenüber im Wald liegt eine polnische
Kavalleriebrigade, die jeden Tag im Ort Verpflegung holt. In einem
Bahnwärterhaus ist unser Gefechtsstand. Ein Kilometer südlich liegt der
Pionierzug in Stellung. Vor uns in einer Ziegelei, wo noch die Öfen brennen,
sind 40 Maschinengewehre in Stellung, vor uns zwei Züge der dritten
Kompanie, zwei Kilometer links davon die vierte Kompanie mit Granatwerfern
und Infanteriegeschützen. Die deutschen Bahnleute erzählen
uns, dass eine bildhübsche junge Frau, eine fanatische Polin und Deutschenhasserin,
die Leute bespitzelt. Das soll sie mal bei mir versuchen! Die
schwere Gebirgsartillerie beschießt die Polen in den Wäldern und die
Luftwaffe reibt ganze Bataillone auf. Eine Masse Gefangener läuft über
und wird mit LKW zurücktransportiert.
Kurz vor sechs Uhr müssen wir aus der Stellung raus und der SS Germania
zu Hilfe kommen. Typisch! Zwei Stunden anstrengender, schneller
Marsch, dann erreichen wir den befohlenen Ort. Wir kommen durch einen Ort, den wir bereits durchquert haben, und werden wiedererkannt und begeistert begrüßt. Alle weinen, weil wir wegmüssen. Am Zielort
werden wir mit lautem Händeklatschen und Jubel empfangen. Peinliches
Gefühl, wenn das von den Polen gehört wird. Wir bringen noch unsere
Maschinengewehre in Stellung und legen uns dann auf ein von der Einwohnerschaft
hergerichtetes Strohlager.

 

Der Auszug stammt aus dem Buch. "Eine gewaltige nächtliche Overtüre - Gebirgsjäger Alois Wagner vom Polenfeldzug über Frankreich an die Ostfront"

https://www.amazon.de/dp/3964033944

 

 

 

 

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