Dr. Stephan Trenckmann, seines Zeichens Oberst der Reserve a. D. der Bundeswehr, liefert mit diesem Blog-Eintrag einen Debattenbeitrag zum derzeit heiß diskutierten Thema "Wehrpflicht". Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und spannende Erkenntnisse!
(Das Foto links zeigt den Autor während seines Wehrdienstes in den Jahren 1981/1982 als Soldat eines Kanonenjagdpanzers der Bundeswehr.)
Dr. Trenckmann ist Autor des Buchs "Gefreiter Trenckmann meldet sich zum Dienst!", erschienen 2024 in unserem Verlag.
Aufgrund der politischen Entwicklung nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wird die Wiedereinführung einer Wehrpflicht diskutiert. Dieser Beitrag zur Debatte um eine „neue Wehrpflicht“ verbindet den Nutzen einer großen Personalverfügbarkeit mit einer möglichst geringen Zwangskultur für einen positiv motivierten Mannschaftssoldaten als Verteidiger seiner Werte und seines Landes.
Der entscheidende Faktor zu glaubhafter Abschreckung und nachhaltiger Verteidigungskraft wird auch zukünftig der politische Wille der Führung sein. Dieser resultiert aus der mentalen und ökonomischen Resilienz der ganzen Gesellschaft und der Gewissheit, einem Aggressor widerstehen zu wollen und bestehen zu können, welche wiederum die Motivation des einzelnen Soldaten befördert. Dazu bedarf es eines überzeugenden Modells des Wehrdienstes, das auch den gesellschaftlichen Gefühlen und Erfahrungen aus der kriegerischen deutschen Vergangenheit gerecht wird. Und genau dazu lohnt es sich auch, einen Blick auf Patriotismus und Nationalismus sowie die gesellschaftlichen und familiären Erinnerungskulturen zu werfen.
Angesichts der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen und Erfordernisse ist es sinnvoll, zielgerichtet und schnellstmöglich ein Wehrpflichtmodell zu installieren, welches aktuelle Bedarfe, gesellschaftliche Akzeptanz, geltende Grundgesetzregelungen sowie Kosten und Effizienz in einem optimalen Rahmen zusammenbringt. Ein derzeit geplantes Freiwilligenmodell wird diesen Ansprüchen nicht gerecht.
Angesichts der Weltlage brauchen wir eine nachhaltige, kostengünstige Wehrpflichtvariante, auf die im Krisenfall aufgesattelt werden kann. Dieses Modell ist eine 3-monatige Wehrpflicht für Männer als zusätzliches Element zur bestehenden Freiwilligenarmee der derzeitigen Bundeswehr auf der Basis derzeitiger Grundgesetzregelungen, der aktuellen Erfahrungen im Ukraine-Krieg und vorhandener Erfahrungen der 1980er bis 2000er Jahre.
Die aktuellen Erfahrungen der Ukraine zeigen die erfolgreiche Weiterbildung von anfangs gering vorgebildeten Soldaten. Entscheidend für die Durchhaltefähigkeit als Eckpunkt einer glaubhaften Abschreckung sind nachhaltige Rüstungsgüterbereitstellung (verteidigungsbereite Zivilwirtschaft) sowie der gut organisierte Personalersatz.
Bei den Mannschaftssoldaten und ihrem Pflichtdienst sollte bezüglich Motivation und Menschenwürde aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt werden: Erfolgreich und bei den Soldaten akzeptiert war eine intensive Grundausbildung, die tatsächlich Motivation steigerte. Vielfach problematisch war die oft als „Gammeldienst“ und „Zeitverschwendung“ empfundene Zeit nach der Grundausbildung, die Motivation und Moral des Mannschaftssoldaten verringerte. Unsere derzeitige Freiwilligenarmee sollte demzufolge ergänzt werden durch eine Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht für Männer (bei freiwilliger Möglichkeit für Frauen) in Form einer 3-monatigen Ausbildung (ausschließlich infanteristische Grundausbildung, Ausbildungsziel Gruppengefechtsschießen in der Verteidigung und Umgang mit Panzerabwehrwaffen sowie Wachdienst, jedoch keine Formalausbildung und keine Bereitschaften, eine heimatnahe Einberufung, Unterbringung in Sechs-Mann-Stuben und ggf. auch zu Hause möglich, keine speziellen Fachkenntnisse zu gepanzerten Waffensystemen: Alle komplexen Waffensysteme bleiben in der Hand der jetzigen Freiwilligenarmee, jedoch ggf. Nutzung ziviler Qualifikationen, Anlehnung an Üblichkeiten, die im Schweizer Milizsystem Verwendung finden).
Wichtig ist die Erhebung der zivilen Fähigkeiten, die ggf. militärisch nutzbar sind (Führerscheine, Berufsausbildungen, besondere Kenntnisse in EDV, Funk, Elektrik usw.) sowie die Wehrersatzerfassung aller Männer gleich oder besser als T3 (ggf. Tauglichkeitsanpassung an tatsächliche Bedarfe, so wie es in der Vergangenheit auch gemacht wurde). Dabei ist ein Verzicht in der Ausbildung der Wehrpflichtigen notwendig auf alles, was nicht einer unmittelbaren Gefechtsfähigkeit in einem existenziellen Verteidigungskrieg dient, bei einer wöchentlichen Dienstzeit von etwa 55 Stunden.
Die Lohnzahlung in Höhe der niedrigsten Beamtenbesoldungsgruppe mit Zahlung einer Entlassungsprämie am Ende der drei Monate bei Zuerkennung der Beförderung zum Gefreiten wäre zielführend.
Ferner wäre eine erneute Aufstellung vollständig mit Material ausgerüsteter Infanterie-Mob-Einheiten sowie die Wehrersatzerfassung ziviler Fähigkeiten im Bereich Bau, Transport und Produktion sinnvoll.
Damit würde eine personelle und materielle Basis zu einem Truppenaufwuchs und einer Truppenweiterbildung im Notfall geschaffen, wie er seit Sommer 2022 in der Ukraine auch funktioniert. Vor allem aber würden wieder große Teile der Heranwachsenden für eine gewisse Zeit mit der Bundeswehr konfrontiert, und aus diesem Pool würden sich vermutlich deutlich mehr Zeit-Freiwillige rekrutieren als beim gegenwärtigen Modell.
Andererseits entstünde dadurch eine deutliche Anzahl gedienter Reservisten, die bestenfalls durch freiwillige Reservedienstleistungen weitergebildet werden können. Ausgehend von den Daten der Jahre vor 2010 darf bei der derzeitigen weltpolitischen Lage von weniger als 100.000 Rekruten pro Jahr und einer gleichen Anzahl Wehrdienstverweigerer ausgegangen werden. Bei drei Monaten Dienstzeit und einer angestrebten Besoldung in Höhe der geringsten Beamtenbesoldungsgruppe bzw. des TVöD sind etwa 25.000 Personalstellen für Wehrdienstleistende und eine gleiche Anzahl von Ersatzdienststellen aufzubauen, bei angenommenen Personalkosten von insgesamt derzeit knapp 2 Mrd. Euro pro Jahr. Dazu kommen höhere Beträge für infanteristische Ausrüstung und Unterbringung der Wehrpflichtigen sowie das Material der aufzustellenden Mob-Truppenteile sowie laufende Kosten für die Ausbildung, den Unterhalt und die Sozialversicherung. Für einen neuen Wehrpflichtanteil der Bundeswehr wären insgesamt etwa 10 Mrd. Euro pro Jahr anzusetzen. Damit müssten auch die bisherigen Regelungen zur Kriegsdienstverweigerung wieder aufleben.
Die Wehrpflicht der Vergangenheit mit einer längeren Dauer ist in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel unzweckmäßig und würde unnötig Ressourcen verbrauchen. Eine kurze Wehrpflicht von insgesamt 3 Monaten mit ausschließlich „grüner“ Ausbildung ohne jeden Ballast und Fachschulungen:
Erfahrungen des Ukrainekrieges belegen die Sinnhaftigkeit auch einer kurzen Ausbildung, wenn eine professionelle Freiwilligenarmee im Ernstfall im Aufwuchs darauf zurückgreifen kann. Die weiterhin zwingende Existenz atomarer Abschreckung ist davon ebenso unbenommen.
Wie sind nun die Überlegungen, die zu dem oben genannten Modell einer 3-monatigen Grundausbildungswehrpflicht führen? Diese Hintergründe und Herleitungen darzulegen, ist der Grund für die Veröffentlichung dieses Buches.
Wie in den verschiedenen deutschen Gesellschaften seit der Kaiserzeit gestalten sich Vorstellungen über Art und Umfang der Wehrpflicht aus den gesamtgesellschaftlichen Beeinflussungsfaktoren, die heute insbesondere durch die
Als neuester Faktor kommt die Unsicherheit bezüglich des US-amerikanischen Verhaltens im Verteidigungsfall dazu.
Als Bodensatz der gesellschaftlich meinungsbildenden Faktoren kommen persönliche Wehrdienst- oder Kriegsdienstverweigerungserfahrungen dazu sowie theoretische und praktische Aspekte, die das Militär als streng hierarchisches System kennzeichnen und insbesondere den Wehrdienst des Mannschaftssoldaten bis heute charakterisieren. Letzterer ist weitgehend immer zwangsverpflichtet und gegen seinen Wunsch und Willen unterstes Glied in diesem hierarchischen System und im Regelfall ohne jede Hoffnung, in diesem System aufsteigen zu können und sich damit aus dieser untersten Stufe zu befreien. Das Buch will den typischen Charakter einer Armee und die typischen Verhaltensmuster eines zwangsverpflichteten Wehrdienstleistenden, die aus Gehorsam und Abhängigkeit in der Hierarchie, den körperlichen Anstrengungen und der Beschäftigung mit dem Tod resultieren, behandeln: Denn Soldatsein ist keine Tätigkeit, sondern ein mentaler Zustand.
Vor allem aber soll ein Bogen gespannt werden zwischen Politik, Patriotismus, Familie, Beruf, Wehrdienst und persönlicher Befindlichkeit, zwischen soziologischen, historischen, psychologischen, wirtschaftlichen, militärfachlichen und entwicklungsbiologischen Aspekten: Die Motivation des Wehrdienstpflichtigen, die Beeinflussungsfaktoren auf die Gefühle des wehrpflichtigen Mannschaftssoldaten, seine mentale Verteidigungsbereitschaft und seinen Willen, tatkräftig mitzuwirken und sich nicht wie in der Vergangenheit regelmäßig als herabgewürdigtes Objekt verletzt zu fühlen, beeinflussen die gesellschaftliche Bereitschaft zur Wiedereinführung eines Pflichtdienstes.
Bei einer Wiedereinführung der Wehrpflicht sollten viele negative Begleiterscheinungen aus der Vergangenheit nicht erneut aufleben. Wir wollen aus den Erfahrungen der Wehrpflichtarmeen lernen, um eine die Gesellschaft und die Soldaten möglichst gering belastende Form zu finden. Ein Mittel dazu ist die Nutzung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse aus Kaiserzeit, Drittem Reich und der alten Form der Wehrpflicht vor 2011. Die Militärsoziologie in der Bundesrepublik war schon zu Zeiten des Kalten Krieges und ist bis heute ein wenig betrachtetes Feld. Die Zurückhaltung der deutschen Gesellschaft, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, liegt in unserer Geschichte begründet, die als „schuldhafter“ angesehen wird als z. B. die der USA. Sie gilt als belastetes Thema ohne Aussicht auf breitere Beachtung oder Anerkennung im Fachkollegium (LEONHARD/WERKNER 2012: 495 ff., WARBURG 2008: 29, KNÖBL/SCHMIDT 2000: 7 ff., WACHTLER 1983: 7 f.). Deutlich wird das an Publikationen und der Breite der Öffentlichkeit, die diese Publikationen erreicht haben.
Gerade deshalb müssen wir an dieser Stelle einen Blick auf die Entwicklungen, Eigenschaften und Strukturen werfen, die direkten Einfluss auf Sein und Erleben des einzelnen Soldaten hatten und auch in einer neuen Form der Wehrpflicht haben werden.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für Vorgänge in der Bundeswehr schnellt nur dann hoch, wenn wieder einmal ein Skandal die Medien anlockt. Die soziologischen Zusammenhänge zwischen Militär und Gesellschaft, ihre Strukturen, Prozesse und Funktionsweisen werden von militärisch Betroffenen oder anderen Beteiligten zwar genutzt und auch manchmal schamhaft verschwiegen, dienen aber gesamtgesellschaftlich nicht zur Verbesserung der Verhältnisse (ELBE/BIEL/STEINBRECHER 2021: 48). So wurden z. B. die Widersprüche einer „Inneren Führung“ oder des „Bürgers in Uniform“ gegenüber den natürlicherweise selektiven Rekrutierungsmechanismen einer Freiwilligenarmee im Vergleich zur Wehrpflicht öffentlich kaum thematisiert und gesellschaftlich verdrängt. Eine ernsthafte soziologische Diskussion fand und findet kaum statt. Dies ist erstaunlich vor dem Hintergrund rechtsradikaler Vorkommnisse in der Bundeswehr, der Zusammensetzung des Bewerberaufkommens und der Bewerberanzahl nach 2010 und angesichts der Personalzielvorgaben für 2025 und 2030.
Fazit: Die Bundeswehr muss im Alltag thematisiert werden und die Gesellschaft muss sich betroffen fühlen durch das Thema Armee. Eine Allgemeine Wehrpflicht schafft diesen Zustand
Der Mensch ist durch lebenslange Sozialisation geprägt. Erfahrungen und Erlebnisse legen sich dabei wie Schichten übereinander, jede von der bisherigen Erlebniswelt beeinflusst. Einstellungen und Gesinnung des Menschen sind also die Folge der Gesamtheit seiner Erfahrungen. Soziale Erfahrungen wiederum sind Ergebnis der historisch-gesellschaftlich-familiären Situation und den daraus resultierenden Rollen und das wiederum in Wechselwirkung mit genetisch ererbten Eigenheiten.
Die Ableistung einer Wehrpflicht bildet demnach grundsätzlich eine Zäsur insbesondere bei einer Jugend, denen eine Erziehung mit Betonung der Individualrechte zugekommen ist. Einem Ende der Jugendzeit in Familie oder Lehrstelle oder Schule folgen oft geographische Trennung, das Herausreißen aus der bisherigen Sozialgruppe, ein rauerer Umgangston, ein geringerer „Welpenschutz“ durch das soziale Umfeld, körperliche Härten und vieles mehr.
Diese Zäsur wirkt allgemein unterschiedlich tief, manchmal auch nur kurz oder ohne große Nachwirkungen auf die Sozialisation der Person. Die oft jahrzehntelang wiederholten Erzählungen von Anekdoten und Erlebnisse können ein Hinweis sein auf den nachhaltigen Eindruck der Militärzeit auf die Erfahrungswelt. Das gilt erst recht, wenn der Dienst nicht im Frieden, sondern im Kriege mit seinen existenziellen Bedrohungen erfolgt. Hier sind dann oft auch spezielle Verhaltensmerkmale interpretierbar (z. B. die Neigung zur ausgeprägten Vorratshaltung, Gewaltakzeptanz, STEINERT 1972: 156)
Es gibt Erklärungen, nach denen die in der Kindheit angenommen Strategien zur Anpassung an die erwartete soziale Rolle in Elternhaus und Schule von jungen Erwachsenen auch im Militärdienst angewendet werden. So stellt sich ein Zusammenhang her zwischen der Sozialisation in Kindheit und Jugend sowie dem Erleben in den ersten Wochen der Armeezeit (STEINERT 1972: 194ff). Eine die Selbstständigkeit und Individualität fördernde Erziehung führt nach Steinert tendenziell zur Distanziertheit und Frustration im Erleben des Militärdienstes und zur Ablehnung aufgrund der ständigen Unterdrückung und Bevormundung. Gleiches gilt für ein elterliches Erziehungsmodell zum Leistungswillen ausschließlich durch Druck ohne ein positives Erleben von Erfolg. Eine „belohnungsgeförderte Erziehung zu Leistungswillen mit positiver Grundhaltung“ fördert demnach ein eher angepasstes Erleben der Militärzeit zwischen schlimmstenfalls Gleichgültigkeit und bestenfalls Wahrnehmung von Erfolgserlebnissen im Sinne von Motivation. Vermutlich auch aus dieser Quelle speist sich der Ehrgeiz bei meinem Großvater und mir bezüglich unserer deutlich ausgeprägten Suche nach sozialer Anerkennung durch „militärischen Erfolg“.
Neben der Genetik des Individuums hat die Erziehung des Menschen eine starke Wirkung auf die Ausprägung von Wahrnehmung und Verhalten. Autoritäten weitgehend blind zu akzeptieren sowie Gehorsam und Disziplin waren in der Kaiserzeit und im Dritten Reich anerkannte Tugenden und wurden anerzogen. Die Zivilgesellschaft war militaristisch geprägt durch den hohen moralischen Stellenwert militärischer Eigenschaften (Tapferkeit, Härte, Willenstärke) und die trotz aller gegenteiligen Erfahrungen fehlende Gesinnung, militärische Gewalt und die aus dieser Gewalt folgenden Leiden grundsätzlich verhindern zu müssen. Diesen Generationen fiel Unterordnung in militärische Hierarchie vermutlich nicht so schwer. Komplexer wurde es ab den 1920er Jahren mit dem Aufkommen liberalerer Erziehungswerte und mit einem Ansatz zum Wert der eigenen Individualität und des Selbstbewusstseins. Vielfach bestand aber weiter der Grundsatz, dass Erziehung die Aufgabe hatte, den jungen Menschen auf ein Leben in Leistungswilligkeit vorzubereiten, damit „er es einmal besser hat“. Und es wurde – zumindest im Mittelstand – dahingehend erzogen, dass die junge Generation Fehler und Mängel der Vergangenheit und Gegenwart, egal ob familiär oder gesellschaftlich, später einmal korrigieren sollte. Dieser Generation fiel es umso leichter, den Revanchismus nach dem Ersten Weltkrieg zu akzeptieren und sich mit der Notwendigkeit eines „erwachenden Deutschlands“ anzufreunden. Der gleiche Mechanismus griff nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem friedensorientierten Ergebnis, da der Schock der Zerstörung so tief saß, dass Anti-Militarismus und Fremdenfreundlichkeit einen großen Stellenwert in der Pädagogik einnahmen. Nach 1968 wurden diese Tendenzen noch verstärkt. Den Kindern der antiautoritären Erziehung war vieles erlaubt, Kriegsspielzeug und Fremdenfeindlichkeit allerdings waren verpönt (siehe BETTELHEIM 1982: 200).
Die erzieherische ab den 1960er Jahren förderten beim Nachwuchs auch zunehmend eine differenzierte Sicht auf übernommene Werte. So änderte sich auch die Möglichkeit zum individuellen Verinnerlichen von Werten. Die 68er-Bewegung ist das deutlichste Zeichen für diesen Akzeptanzwandel.
Der Soldat war natürlicherweise immer Objekt des Handelns anderer, aber auch in der Kaiserzeit schon ein wenigstens manchmal frei entscheidendes Subjekt im vorgegebenen Handlungs- und Werterahmen. Er war und ist Subjekt und Objekt gleichermaßen, weil das „Wie“ und die „Intensität seines Handelns“ immer Ausdruck seines „freien Willens“ aus der Akzeptanz bzw. Ablehnung von Werten oder seiner Sozialisation oder seiner Veranlagung heraus sind (WARBURG 2008: 41f).
Fazit: Die zugenommene Erziehung zu Individualismus und ausgeprägten Selbstbewusstseins junger Menschen muss durch einen neuen Wehrdienst berücksichtigt werden und verlangt eine inhaltsreiche, wertschätzende Ausbildung
Eine archaische Neigung des Menschen zu Aggression und Sicherung bzw. Vermehrung des eigenen Besitzstandes (materiell bzw. immateriell und im Sinne einer Absicherung der Gegenwart und Zukunft) darf als gegeben vorausgesetzt werden. Diese Neigung insbesondere der Männer muss – in zivilisierte und verfassungsorientierte Bahnen gelenkt - genutzt werden. Wird diese Neigung nicht in diesem Sinne kanalisiert, ist das Ergebnis dasjenige, welches die russische Armee derzeit in unseren Augen darstellt: brutal, unmenschlich und nicht Völkerrechtskonform. Auch lohnt ein Blick auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Nahrungsbeschaffung durch Jagd, Schutz der Familie vor Gefahr oder der Schutz der eigenen Höhle waren schon steinzeitlich hinreichender Grund für Aggressionen gegen Tiere oder Menschen. Mit dem Aufkommen von Besitz und Vorratshaltung, dem Entstehen von Ackerbau und Viehzucht, gab es ausreichende Gründe für gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Menschengruppen. Mit zunehmender Kultur der Menschen, insbesondere durch die Fixierung von Gesetzestexten und die Aufklärung, sank die körperliche Gewalt zwischen Einzelpersonen: Kulturelle Techniken wie Gespräch und Kompromiss traten oft an Stelle von Aggression und Gewalt. Zwischen Menschengruppen allerdings stieg aufgrund der Waffenentwicklung die verheerende Wirkung von Gewalt stark an.
Die Bemessung des Anteiles des seit Urzeiten vorhandenen Egoismus oder Altruismus, der Erfolg einer kulturellen Beherrschung oder einer gesellschaftlichen Ausnutzung dieser Kräfte, also die Suche nach dem Maß der genetischen bzw. sozialisierten Anteile, würde hier zu weit führen. Wichtig aber ist die Erkenntnis, dass die im Tierreich fast grundsätzlich vorhandene, genetisch bedingte „Tötungshemmung bei innerartlichen Kämpfen“ beim Menschen im Krieg nicht vorhanden ist: „Der destruktive Krieg ist also Ergebnis kultureller Evolution“ (EIBL-EIBESFELD 1984: 148, 205).
„Die menschlichen Wünsche sind unersättlich, weil uns die Natur alles zu begehren erlaubt und antreibt, das Schicksal aber nur wenig zu erreichen gestattet. So entsteht eine immerwährende Unzufriedenheit im menschlichen Gemüte und Überdruss an all den Dingen, die man besitzt.“ (MACCHIAVELLI 1990: 214)
Es ist an dieser Stelle gleichgültig für die Erklärung der Aggression der Menschen, ob Genetik oder Sozialisation dominieren, ob die „Frustrations-Theorie“ von Dollard oder Berkowitz, die „Lern-Theorie“ von Bandura, die von Freud benannten „Triebe“, die nach Lorenz/Eibl-Eibesfeldt „anteilig genetische Vorbestimmtheit“, der „Begründungskomplex“ von Scott, die „Desintegration“ von Heitmeyer, die „jugendliche Traumatisierung“ von Rauchfleisch, der Einfluss von Amygdala-Stimulation oder der Testosteron-Level die bessere Erklärung darstellen: Aufgrund der technischen Waffenentwicklung gibt es besondere menschliche und deshalb besonders aggressive und zerstörerische Formen dieses archaischen Erbes.
Die in der modernen Zivilgesellschaft vorhandene Lust an der Gewalt wird heute weitgehend kompensatorisch ausgelebt, zum Glück findet ein Aggressionstrieb oft einen Ausweg im Konsum von Medien mit Gewalt und Horror (BETTELHEIM 1982: 212). Die die Einschaltquoten verbessernde Berichterstattung von Mord und Totschlag im Fernsehen und der Erfolg von „True Crime“ sowie die Konjunktur der „Ballerspiele“ bestätigen das vermutlich. Manche Fußballhooligans, Betrunkene und anderen leicht erregbare Zeitgenossen leben ihre Bedürfnisse allerdings bis heute in Schlägereien und Schlimmerem aus.
Verallgemeinernd darf wohl postuliert werden (MAYER 1977: 14):
Knappe Güter können materielle (Geschlechtspartner, Nahrung und Produktionsmittel, Land) und immaterielle Güter (Gruppenhierarchie, Ehre, Rache, Macht, Religionsausübung) sein. Neben den daraus entstehenden, individuell oder kollektiv friedfertigen Verhaltensmöglichkeiten des Individuums gibt es vor dem Hintergrund dieser Thesen unter Lebewesen natürlicherweise auch Aggression, Drohung, Kampf, Unterwerfung und Flucht. Es gilt bei materiellen Gütern teilweise sogar für Pflanzen, jedenfalls grundsätzlich für Tier und Mensch für die gesamte Bandbreite vom Kampf mit dem Rivalen bis zum Weltkrieg.
Unter diesen Punkten spielen Nahrungs-/Wasserknappheit im Zusammenspiel mit Überbevölkerung und Klimawandel eine zunehmend dramatische Rolle ebenso wie ethisch-dogmatisch-religiöse Gründe. Das dabei gezeigte Wettbewerbsverhalten des Individuums wird vom Gruppenverhalten aller Beteiligten beeinflusst und gelenkt, gefördert oder eingehegt. Die Höhe der evolutionären, kulturellen bzw. ideologisch-weltanschaulichen und technischen Entwicklung ergibt dann den Umfang der Gewalt (MEYER 1977: 27ff). Im Einzelfall ist der Einfluss entscheidend, den ein Individuum auf die Gruppe bzw. die ganze Population hat.
Die Aggressionsbereitschaft des einzelnen Anführers oder der Gruppe bietet die Voraussetzung für geplante, große Angriffskriege. Letztere speisen sich aus Machtstreben und der Suche nach persönlichen Vorteilen bis hin zum Gefühl, gleich Alexander dem Großen der Welt heldenhafte Fußabdrücke der Ewigkeit hinterlassen zu wollen. Putin ist hier nur das jüngste Beispiel.
Euphorie und Angst: Der zivilisierte bzw. kultivierte Mensch geht normalerweise vermeidbaren Risiken aus dem Weg, was evolutionsbiologisch vermutlich auch zielführend ist. Es stellt sich die Frage, warum in lebensgefährlichen Verteidigungssituationen neben der grundsätzlichen Angst ein intensives Gruppengefühl befeuert wird und weshalb weitergehend Soldaten angesichts der wahrscheinlichen Gewissheit der eigenen Verwundung und des eigenen Todes trotzdem bereit sind, sich gegebenenfalls zu opfern. Und wieso gibt es Euphorie oder Begeisterung bzw. Motivation im Adrenalin-durchströmten Kampf selbst und auch in der oft entbehrungsreichen Vorbereitung darauf oder abseits in deren quälerischen Unterstützungstätigkeiten? Antworten bietet EHRENREICH (1997: 95ff) mit Bezug auf evolutionäre Entwicklungen aus der Frühmenschenzeit. Nicht nur die Jagd verlangte gemeinsame Strategien der Gruppenorganisation. Als potenzielle Nahrung für Löwen und Wölfe sowie bei Angriffen von Raubtieren war eine sinnvolle Einteilung der Gruppenmitglieder nötig. Mit unzureichenden Waffen ausgerüstet galt gleiches für die Situationen, in denen die Menschen als Aasfresser nicht selbst jagten, sondern die Beute eines Raubtiers in ihren Besitz brachten. Den Beutegreifer zu vertreiben war ebenso wie das Jagen der großen Pflanzenfresser mit der Gefahr verbunden, mögliches Verletzungs- oder Todesopfer zu werden. Die Bereitschaft einzelner Gruppenmitglieder, sich der Gefahr und Gewalt besonders exponiert entgegenzustellen und ggf. dabei umzukommen, war individuell sicher unzweckmäßig, populationsdynamisch und evolutionär wohl aber von großem Vorteil.
Schon bevor erstmals eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Menschen stattgefunden hat, könnte ein seit Urzeiten tief im Bewusstsein angelegter Mechanismus vorhanden gewesen sein, der die Bereitschaft zu trainiertem Kampf und auch zu geplanter Opferwilligkeit ermöglichte. Opferwilligkeit sowohl für die Gruppe als auch für den Nachwuchs ist evolutionär vorteilhaft und entweder genetisch oder sozialisiert festgelegt. Eine Gruppe, die nicht so reagierte, hatte urzeitlich wohl weniger Kinder großgezogen und wurde verdrängt.
Irgendwann fingen die Menschen an, ihre Gruppe durch Rituale und religiöse Zeremonien zu stärken, sich kulturell auf gemeinsames Handeln einzustimmen, sich gegen andere Gruppen abzugrenzen, vielleicht auch ein möglicherweise erwartetes Selbstopfer für die Gruppe vorzubereiten. Bis heute finden wir in abgeschwächter Form solche Selbstbestätigungs- und Gruppenstärkungsprozesse bei Sportveranstaltungen, Gottesdiensten, politischen Veranstaltungen oder Zeremonien von Vereinen und Gedenktagen. Kulturell geformte Ereignisse vereinten die Gruppe heute fast immer ohne irgendeinen Gedanken an Feindschaft, beim Sport jedoch immerhin mit Gegnerschaft und auch in der Politik mindestens mit dem Willen zur deutlichen Abgrenzung. Bei eskalierenden Demonstrationen oder bei Hooligans finden wir die archaischen Grundmuster allerdings sehr schnell wieder. Die Geschichte hat mehrfach gezeigt, dass diese „emotionale Grundausstattung“ auch für ganze Volksmassen beliebig genutzt werden kann, von Ablehnung und Abgrenzung über Hass und Opferbereitschaft bis hin zur Verklärung von Opfertod und Völkermord.
Für die Zeit vor etwa 12 000 Jahren ist Krieg erstmalig anhand von Felszeichnungen und Skeletten mit gleichartigen Verletzungsmustern archäologisch nachweisbar. Die Waffen waren die üblichen Jagdwaffen. Es bleibt unklar, ob Streit um Eigentum oder Nahrungsmangel die Auslöser waren, der Zeitpunkt stimmt jedoch überein mit dem Aussterben der großen Pflanzenfresser und dem Auftreten der Landwirtschaft. Ressourcen und Besitzstand sind als Gründe nachvollziehbar, wegen denen wandernde Nomaden oder sesshafte Ackerbauern ihre Mitmenschen mit Gewalt überzogen: Besitz sollte für den Vorteil der eigenen Population genutzt werden (EHRENREICH 1997: 142). Auch in dem in den Gesellschaften weltweit verankerten Rettungsgrundsatz „Frauen und Kinder zuerst“ äußert sich der tief verankerte Trieb zur Populationserhaltung.
Zum Thema Männlichkeit und Heldentum (Sozialprestige des Kriegers) wird von Ehrenreich ausgeführt, dass es eine Entwicklung gegeben haben könnte vom erfolgreichen Jäger und seiner herausragenden Rolle und seinem sozialen Status für die Populationsgruppe hin zum „Krieger“, der als Bauer nicht mehr „hervorragend“ werden konnte, dem dieses als Krieger jedoch mit speziell eingeübten jägerhandwerklichen Fähigkeiten möglich war: „Der Krieg ist de facto eine der am strengsten geschlechtsspezifisch geregelten Tätigkeiten des Menschen (…) Anderen Autoren (…) springt der Zusammenhang zwischen Krieg und Männlichkeit dermaßen ins Auge, dass sie in der Männlichkeit eine völlig befriedigende Erklärung für den Krieg überhaupt sehen: Aus dieser Sicht wird Krieg zur unausweichlichen Folge männlicher Aggression (…) Krieg führen ist also nicht nur eine Tätigkeit, auf die Männer sich ein Monopol gesichert haben, sondern diente oft dem Zweck, das Mannsein an sich zu definieren – hatte also genau die Funktion, die man erwarten würde, wenn der Krieg tatsächlich als Ersatzbeschäftigung für unterbeschäftigte, männliche Jäger/Verteidiger entstanden sein sollte. In historischen Zeiten war es oft ausdrücklicher Kriegszweck, aus Männern (echte) Männer zu machen, das heißt, männlichen Erwachsenen eine richtig männliche Beschäftigung zu geben. Die alten Griechen führten Ritualkriege (…)“ (EHRENREICH 1997: 152)
In vielen historischen Gesellschaften Europas, Afrikas und Amerikas seien blutige Rituale und die Notwendigkeit zum Töten nachgewiesen, damit aus Knaben erwachsene Männer würden. Ehrenreich legt dar, dass Frauen keine angeborene Hemmung gegenüber kämpfen und Blutvergießen hätten, dass bei Revolutionen auch Frauen immer wieder als Kombattanten in Erscheinung getreten seien, insbesondere weil revolutionäre Streitkräfte allgemein weniger formell organisiert seien. Es gebe keinen zwingenden biologischen (Waffentechnik gleicht Körperkräfte aus) oder natürlichen Grund dafür, dass das Kriegshandwerk fast immer Männern zufällt. Ein grundsätzlicher Unterschied bezüglich einer „zusätzlichen Verletzlichkeit“ der Frau als Kombattantin aufgrund der in Kriegen üblichen Vergewaltigungen wird von Ehrenreich hier nicht gesehen. Allerdings würden sich Krieg und aggressive Männlichkeit seit Beginn der geschichtlichen Aufzeichnungen kulturell gegenseitig verstärken: So sei es erklärbar, dass schon im klassischen Altertum Gedichte und Sagen den Krieger als höchstes männliches Ideal rühmten und der Frau von alters her in allen gewalttätigen Auseinandersetzungen grundsätzlich die passive Rolle der unterstützenden Hilfskraft oder der geknechteten Kriegsbeute zufiel (EHRENREICH 1997: 156ff). Tiefere Einsichten über männlichkeitsbedingte Verhaltensweisen und Kriegertugenden liefert Haubl in VOGT (1988: 57ff).
In den letzten Jahrzehnten sind mit zunehmender Gleichberechtigung und Waffentechnik Frauen in diese ehemalige Männerdomäne eingebrochen. Die aktuelle Entwicklung des Ukraine- oder des Gaza-Krieges zeigen einen deutlichen Frauenanteil in der kämpfenden Truppe. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die den Kampf bezeichnen Charakteristika weiterhin als männliche Tugenden gelten. Die „männlichen“ Klischees finden wir am klarsten im amerikanischen Kinofilm, manchmal auch als bewusste Umdrehung der Verhältnisse wie bei der Figur einer „Lara Croft“.
Mit der kulturellen Weiterentwicklung gärte dann im Laufe der Jahrtausende „das Kriegerideal, das Tugendhafte, das Sakrale“ heran und verklärte sich. Im Krieg findet der Krieger Abenteuer und Kameradschaft, eine höchste Intensität der Gefühle, den Beweis seiner Männlichkeit, vielleicht neues Land und Beute, aber immer die Möglichkeit des Heldentods, der eben nicht Tod bedeutet, sondern ewigen Ruhm.
Diese Entwicklung führte wohl auch dazu, dass gewalttätige Auseinandersetzungen vom Zaun gebrochen werden mussten, um den ständig heranwachsenden Jugendlichen Gelegenheit zu bieten, zu „echten Männern“ zu werden. Die mittelalterlichen Fehden, möglicherweise auch manche Wirtshausschlägerei, fanden darin ihre Begründung.
Die Geschichten der Griechen über die Schlacht an den Thermophylen gelten als die erste Dokumentation der Tugend des „heroischen Untergangs“. Das Opfern für die Gemeinschaft galt als höchste Tugend und macht unsterblich. Von Clausewitz schrieb 1812: „dass ein Volk nichts Höheres zu achten habe als die Würde und die Freiheit seines Daseins, die es mit dem letzten Bluttropfen verteidigen solle (…) dass selbst der Untergang dieser Freiheit nach einem blutigen und deren Folgekampf die Wiedergeburt des Volkes sichert und der Kern des Lebens ist, aus dem einst ein neuer Baum die sichere Wurzel schlägt.“ (WETTE 2011: 200)
Die viel gelesenen Dichter der Befreiungskriege Fichte, Arndt und Körner und später Rilke und Flex priesen den Tod für das Vaterland als höchste Sinngebung des Lebens. Der Kult der bedingungslosen, nicht nach Erfolg trachtenden Hingabe, die Bereitschaft zum Tode wurde zum Maßstab erhoben, welcher die „Würdigen von den Unwürdigen schied“. Das Bild vom Kapitän auf der Brücke, der als Letzter sein Schiff nicht verlässt, ist hinreichend bekannt ebenso wie „bis zur letzten Patrone zu kämpfen und nicht aufzugeben“. Dieses „sich für die Gesellschaft Opfern“ – verbunden mit einer ewigen Heldenverehrung – wurde zum Ehrbegriff für viele. Auch beim Massensterben im Kessel von Stalingrad wurde versucht, den Heldenmythos propagandistisch zu benutzen (WETTE 2011: 196ff). Erst das millionenfache, anonyme Massensterben in den Weltkriegen beendete in Deutschland vielfach die Überzeugungen vom heldenhaften Opfertod. Der Blick auf die Verehrung der Gefallenen im Ukraine-Krieg zeigt uns allerdings, dass das alte Gedankengut im gerecht erachteten Verteidigungskrieg weiterhin verbreitet ist.
Die Berechtigung eines Heldenruhms stellt EHRENREICH (1997: 159) zwar zur Debatte, jedoch nicht grundsätzlich infrage: „Welchen Sonderstatus der Jäger und Verteidiger der Urzeit in seiner Kultur auch erhielt, er dürfte ihn verdient haben: Im Kampf gegen wilde Raubtiere oder aggressiv Huftiere wie den Auerochsen riskiert und opferte er notfalls sein Leben im Dienst für die Gemeinschaft. Doch bei seinem Nachfolger, dem Krieger, lässt sich die Frage, ob er sein mit der Speerspitze erworbenes Sozialprestige auch verdiente, nicht so eindeutig bejahen. Auch er opferte manchmal bei einem als völlig gerechtfertigten und rein defensiven deklarierten Feldzug sein Leben. Doch der Krieg ist ein von Menschen gemachtes Kulturprodukt und deshalb steht der Krieger in dieser Frage auf viel schwankenderem Boden als der Kämpfer gegen wilde Tiere.“
Ein echter Verteidigungskrieg wird von den meisten Menschen als gerechtfertigt und notwendig angesehen, nur echte Pazifisten lehnen „kriegerische Notwehr“ ab und geben bedingungsloser Gewaltfreiheit einen Vorrang. Wahrheiten liegen aber immer im Auge des Betrachters und die Waffen und die politischen Möglichkeiten einer skrupellosen Staatsführung können nicht eliminiert werden: Auch wenn die Gesellschaft grundsätzlich Frieden halten will, ergibt sich eine Zwangslage in der Entwicklungsrichtung einer Gesellschaft hin zum Verteidigungswillen: “Von allen Entwicklungsmöglichkeiten in der Kultur sind nur einige gangbar (…) Kriegerische Gruppen können pazifistische eliminieren, ehrgeizige die genügsamen (umgekehrt geht das nicht). Zivilisierte Gesellschaften verdrängen die letzten primitiven und moderne Industriestaaten die archaischen Kulturen. Eine Gesellschaft, die Eisen verarbeitet, kommt weiter als eine, die gar keine Metalle oder Kupfer verarbeitet, und Reiter setzen sich gegen Unberittene durch. Durchorganisierte Gesellschaften mit starker Führung haben bessere Aussichten als Dezentralisierte mit weniger klaren Machtstrukturen: das anscheinend breite Spektrum kultureller Entwicklungsmöglichkeiten verengt sich, ohne dass die eingeschlagene Richtung bewusst gewählt worden wäre.“ (EHRENREICH 1997: 163)
Folge dieser gegenseitigen Bedingtheit seien auch Entwicklungen wie „eine staatliche Blutrache“: Nachweisbar bedingen sich Kriege, geographisch oder zeitlich determinierte Gewaltereignisse dienen als Argumentation und tragen dazu bei, neue Waffengänge mehrheitsfähig zu machen. Betont werden dabei Ehre, Schmach, Rache, Gerechtigkeit vor der Geschichte, neue Bedrohungen und der Kanon des Nationalismus. Der Zweite Weltkrieg als Folge des Ersten Weltkrieges ist Beweis dafür ebenso wie die unendliche Abfolge der Gewalt des Nahostkonfliktes.
Fazit: Der natürliche Aggressionstrieb muss so kanalisiert werden, dass der zwischen den Soldaten und gegenüber Zivilisten unbedeutend ist und sich ausschließlich auf den militärischen Auftrag bezieht: Fordernde und erlebnisreiche Ausbildung werden dies fördern, Gammeldienst und Gelegenheit zum Alkoholkonsum behindern.
Im Laufe der Zeit durcheinander und sich befruchtend oder behindernd mäandern die Wertevorstellungen von Krieg und Frieden durch die Öffentlichkeit. Gesellschaften oder Teile davon können so im Zeitenwandel immer wieder aus Friedenphasen in kalte oder heiße Konflikte geraten, wenn die „Schreckenserlebnisse“ des letzten Konfliktes verblasst sind und Ereignisse als neue Bedrohungen aufgefasst werden. Auch im Gehirn des Einzelnen, der es doch aus eigener Erfahrung besser wissen sollte, passiert das. Wir sind tief im Inneren gefühlsgesteuert, Argumente verlieren an Gewicht, wir beurteilen eine Lage situativ, die Ratio wird schlimmstenfalls durch Lügen getäuscht: Die bewussten und unterbewussten, die durch Verstand, Betroffenheit und Hormone gesteuerten Gefühle und Gedanken des Pazifismus und Bellizismus sind nicht zeitlich stabil: Leben, Freiheit und Zukunftserwartungen sind durch Sozialisation und Erfahrung, Bildung und kulturelle Entwicklung in situativ unterschiedlichem Maße beeinflusst. Nur so ist erklärlich, dass selbst aus eingefleischten Pazifisten im Februar 2022 innerhalb weniger Tage Verfechter militärischer Verteidigungsoperationen wurden, die mehr Rüstungsgüter für die Ukraine forderten. Eine ultimative, zeitlich unbefristete Wahrheit gibt es nicht.
Und es gibt auch beim Individuum die Abfolge von Freude und Angst, von Hoffnung und Bangen, von Nachgeben und Aufbegehren wollen bis hin zum Gefühl, aus einer prekären Situation flüchten zu müssen und sie doch gleichzeitig zu suchen. Selbst bei Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz war das Belohnungssystem des Gehirns angetriggert und machte „hungrig“, obwohl der Verstand um die Nachteile wusste: „Euphoriegefühle nach Gefechtshandlungen“ sind kein Einzelfall (MAREN TOMFORDE in LEONHARD/FRANKE 2015: 229).
Eng daran gebunden ist Stolz, ein archaisches, vielschichtiges Gefühl und für andere manchmal peinlich. Er kann je nach Weltanschauung tugend- oder sündhaft sein und ist fließend in seinen Übergängen zu gesundem Selbstbewusstsein, Freude über sich selbst oder zu unprätentiöser Zufriedenheit. Gleichwohl spielt er eine antreibende, oft entlarvende Rolle für Verhalten und Selbstbewusstsein.
Fazit: Die politische Mitte der Gesellschaft muss sich für die wissenschaftsbasierte Wahrheit einsetzen. Freude und Stolz des Wehrpflichtigen sind zu fördern durch erlebnisreiche Ausbildung mit Erfolgserlebnissen
Nationalismus ist eine gesellschaftlich derzeit sehr relevante Triebfeder politischen Handelns. Hier soll unterschieden werden zwischen einem abzulehnenden Nationalismus und einem zu befürwortenden Patriotismus, der zwecks Motivation und als Kitt der Gesellschaft wünschenswert ist.
Nationalismus ist keine typisch deutsche Erscheinung, allerdings hat er in Deutschland besondere Blüten getrieben und war Triebfeder beider Weltkriege. Dabei war der eher patriotische Nationalismus der Kaiserzeit bürgerlicher Prägung längst und nicht so militärisch-revanchistisch wie derjenige der Weimarer Republik und nicht so umfassend staatlich gesteuert wie derjenige im Dritten Reich, insgesamt aber von viel größerer Breite und Tiefe als der in der Bundesrepublik. Zu Teilen dieses alten Nationalismus knüpft die AFD neue Bande und wirkt damit rückwärtsgewand gesellschaftsverändernd. Insbesondere in einer Armee ist das in nicht wünschenswert.
Nach MANN (2002: 83ff) gab es eine direkte Entwicklung vom Gedankengut Steins, Schillers und Humboldts aus der napoleonischen Besetzung und Preußens Niederlage 1806 mit dem Streben nach einem aufgeklärten, freien Menschen in einem liberalen, die ganze (Sprach-)Nation umfassenden Staat zum Nationalismus des Deutschen Kaiserreichs hin: So wurde durch Realität und menschliche Schwäche aus einem nachvollziehbaren Nationalgefühl voller Ideale jedoch der „aggressive, unterdrückende, menschenfeindliche Nationalismus“ des 19. und 20. Jahrhunderts. Die „böse Seite des Nationalismus“ war schon in der Abgrenzung gegen Napoleon angelegt. Erstmalig 1813 kommt der Gedanke auf, dass der Krieg eine „Reinigung der Gesellschaft“ und neue Tugenden erzeuge (WETTE 1992: 87): „Es gibt Augenblicke, wo ich den Frieden wünsche, aber meine innerste, tiefe Überzeugung sagt mir, dass ich das nicht darf. Wir sind seit einem halben Jahr wirklich klüger und besser geworden. Wenn wir aber fühlen, wie viel uns noch fehlt, so müssen wir auch fühlen, dass uns Krieg fehlt. (…) Der Krieg wird geführt ‚um uns von Schlacken zu reinigen‘, er ist „eine bittere Arznei: Wie viele Glieder müssen leiden, damit der Körper gesunde.“
Lt. WEHLER (Bd 1 2008: 506ff) war die hohe Geschwindigkeit erstaunlich, mit der dieser freiheitliche Nationalismus ein Sendungsbewusstsein, die Franzosenfeindlichkeit und die Überhöhung des Deutschtums als allen anderen Völkern überlegene Kultur mit sich brachte. Der preußische Reformer Freiherr vom Stein ruft zu „Hass und Feindschaft“ gegen die „unreine französische Rasse“ auf, Schriftsteller Friedrich Schlegel zum „gänzlichen Vernichtungskrieg“. Heinrich von Kleist fordert bezüglich des welschen Nachbarn: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht – fragt euch nach den Gründen nicht.“ Und Ernst Moritz Arndt spricht von „Franzosenungeziefer“ (WEHLER Bd1 2008: 523).
In den in dieser Zeit gewachsenen Gedanken einer Großartigkeit deutscher Geistesleistungen in Wissenschaft und Kultur – ein angesichts der Napoleonischen Besetzung und der Gesinnung der Befreiungskriege 1813 bis 1815 möglicherweise noch nachvollziehbarer Gedanke – liegt das Fundament des kaiserzeitlichen und nationalsozialistischen Größenwahns. Die Sehnsucht nach einem geeinten, machtvollen, ehrenvollen und weltweit respektierten und dominierenden Staatswesen war groß: Mit den Erfahrungen der napoleonischen Befreiungskriege als ihrem historischen und bis heute moralisch integren Hintergrund war man bis zum Ersten Weltkrieg gerechtfertigt. Danach kamen die Motive des „Deutschen Frontkämpfers“ und des „Schmachfriedens“ dazu und gaben dem Nationalismus weitere Rechtfertigung bis 1945. Der Nationalismus heutiger Prägung ist einerseits gefördert durch Gedanken der Vergangenheit, andererseits jedoch aus einer durch solziale Mediemn ausgeputschten Irrationalität. Hoffähig gemacht durch Vorbilder wie Trump, Orban und Erdogan gehen Toleranz, Humanismus und freundliches Miteinander verloren.
Nationalismus in seiner geschichtlichen Form gilt als gefährlich und ist also abzulehnen. Ohne eine gewisse Form von Patriotismus in seiner anständigsten Form ist allerding auch keine Gemeinschaft einer Bevölkerung herstellbar. Wenigstens ein „Verfassungspatriotismus“ bezüglich liberaler Werte des Grundgesetzes ist zwingend nötig für Willen und Resilienz in der Bevölkerung. In einer Demokratie sind alle Bevölkerungsschichten finanziell und sozial zu stellen, dass sie nicht extremistisch wählen. Alle Faktoren, die eine Umgestaltung
sind abzulehnen und zu bekämpfen. Ist der soziale und mentale Kitt nicht vorhanden, zeigen sich „Auflösungserscheinungen“ wie sie in den östlichen Bundesländern teilweise bedauernswert feststellbar ist.
Fazit: Zwecks Erzeugung eines gesellschaftlichen Konsenses ist Nationalismus ist abzulehnen, Patriotismus mindestens als Verfassungspatriotismus ist jedoch in Schule, Gesellschaft und den Medien zu fördern.
Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht verlangt gesellschaftliche Mehrheiten. Die Meinungsbildung dieser Mehrheiten wird nicht nur durch die aktuelle Tagespolitik bestimmt, sondern auch durch langfristige Überzeugungen, die u.a. aus der Sozialisation durch Familie und Freundeskreis sowie langjährigen Erfahrungen genährt werden. Aus diesem Spannungsfeld ergeben sich z.B. die grundlegenden und vielfach anzutreffenden Meinungsunterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern.
WELZER/MOLLER/TSCHUGGNALL (2002: 8ff) führen die Zwiespältigkeit der gesellschaftlichen Erinnerung an die Vergangenheit aus, die einerseits aus Dokumenten, wissenschaftlichen Erkenntnissen, öffentlichen Ausstellungen, Fernsehdokumentationen usw. inkl. Spielfilmen besteht und durch die Jahrzehnte meinungsbildend wirkt (kulturelles Gedächtnis). Dagegen steht das „kommunikative Gedächtnis“ derjenigen, die dabei gewesen waren und durch Erzählungen in Familie und Freundeskreis – mit Laufe von Jahrzehnten selbst dem Zeitgeist unterworfen und daher in Tenor und Fokus sich verändernd – das Geschichtsbild der Nachgeborenen prägen, die diese persönliche Sichtweise hören und ebenfalls weitergeben.
Die Autoren sprechen hier von einem öffentlichen „Lexikon“, einem innerfamiliären „Album“ und von „fragmentarischen Versatzstücken“, die individuell zu einem teilweise unrichtigen, aber „plausiblen und sinnvollen Bild der Vergangenheit gemacht“ werden (WELZER/ MOLLER/TSCHUGGNALL 2002: 9, 34f, 138f). Belastendes ausblendend, werden also in Familienerzählungen üblicherweise eher humorige und positive Dinge erzählt, Leid und Grauen und die dazugehörenden Gefühle ggf. auch völlig weggelassen.
Die Geschichtsbilder des öffentlich-kulturellen und des familiär-kommunikativen Gedächtnisses fallen also auseinander, weil die Weitergabe persönlichen Erlebens von persönlichen Verarbeitungsmechanismen und „Gruppenloyalität“ geprägt ist und auch die wissenschaftliche Forschung dem Zeitgeist unterliegt.
Und so streben diese Bilder so weit auseinander, dass Schönfärberei, Ablehnung und Leugnung von Teilen der wissenschaftlich fundierten Bilder insbesondere im familiär-kommunikativen Gedächtnis fast zwangsläufige Folge sind. Das gilt sowohl für die Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus als auch der DDR. Nur so sind die absurde Fehlbetrachtung und Realitätsverweigerung von Extremisten bezüglich der Ereignisse vor 1945 und vieler Menschen bezüglich des DDR-Regimes zu verstehen. Diese Sichtweisen sind natürlicherweise relevant für die Einstellung zur Wiedereinführung eines Pflichtdienstes im Rahmen der NATO-Zugehörigkeit.
Ein spezielles Thema dabei ist der Begriff „Schuld“. Das Thema „Schuld“ kann in einem Buch über Wehrpflicht in Deutschland nicht außen vor bleiben. Schuld ist dabei nicht absolut, sie ist vor dem Hintergrund des Zeitgeistes und des jeweiligen moralischen Anspruchs zu diskutieren. Zwischen dem Gefühl einer „sauberen Wehrmacht“ und „Nie wieder Krieg“ bzw. „Nie wieder Krieg, aber auch nie wieder Auschwitz zulassen“ sowie dem „Soldaten sind Mörder“ war und ist also viel Raum für Diskussionen. Diese Diskussionen werden bis heute aktuell zwischen AfD, BSW, der Linken sowie den bürgerlichen Parteien geführt und beeinflussen massiv die gesellschaftliche Debatte zu Rüstung, Wehrpflicht und Beurteilung der weltpolitischen Gefahrenlage.
Fazit: Staatliche Aufklärung und schulische Bildung müssen Fakten und Wahrheit befördern, die gesellschaftlich zersetzenden Fake News müssen durch geändertes Haftungsrecht der sozialen Medien bekämpft werden: Die Plattformen müssen analog einer Pkw-Halterhaftung belangt werden können.
Völlig unabhängig von Demokratie und Freiheit der sie installierten Staatssysteme und der Nutzung dieser Streitkräfte waren preußische Armee, Wehrmacht und die Bundeswehr bis 2011 gleichermaßen Mischgebilde aus allgemeiner Wehrpflicht tauglicher Männer und Freiwilligenarmee mit Berufs- und Zeitsoldaten.
Allgemein sichern Anteile von Zeit- und Berufssoldaten lange Ausbildungszeiten und hohe fachliche Professionalität, die Wehrpflicht gewährleistet ein hohes Personalrekrutierungspotenzial. Eine durch Wehrpflicht sichergestellte, intensive Verzahnung mit der Gesellschaft kann dabei verschiedene Tendenzen fördern:
Wehrsysteme, ihre Eigenschaften, geschichtliche Entwicklungen, gesellschaftliche, politische und sicherheitspolitische Wechselwirkungen, Personalstärkemodelle sowie Gender-, Verfassungs- und Rechtsfragen der Wehrpflicht erörtern WERKNER (2004) sowie OPITZ/ RÖDIGER (1994).
Nach MÜLLER (2014) zwangen die Erfahrungen der Französischen Revolution mit den motiviert und initiativ kämpfenden Truppen Napoleons, der teilweisen Auflösung der starren Linienformation und die Erfahrungen mit den oft selbständig vor den eigenen Truppen kämpfenden Tirailleuren nach den Niederlagen von 1806 nicht nur Preußen zu neuen Erkenntnissen. Zu kleine Heere, mangelnde Qualität und die Lineartaktik wurden als Problem erkannt und verlangten nach „Tatkraft aus eigener Erkenntnis“ auch auf unteren Dienstgradebenen. Zugleich hatten die Aufklärung und das „Liberte, Egalite, Fraternite“ ein anderes Bild vom Wert des Menschen in die Welt gebracht.
Grundlage der Preußischen Heeresreform von 1807 bis 1814 von Scharnhorst, Gneisenau und Stein war der Gedanke des Ausschöpfens der gesamten Möglichkeiten einer Gesellschaft im Rahmen finanziellen Möglichkeiten:
Manche dieser Gedanken wurde 1813/14 umgesetzt und fanden ihren Widerhall in Truppen wie den „Lützower Jägern“ und dem als Tat des ganzen deutschen Volkes empfundenen Sieg in der Völkerschlacht bei Leipzig. Anfangs als reines Instrument der Verteidigung gemeint, wurde die gemischte Armee aus Zeit-, Berufs- und Wehrpflichtsoldaten jedoch schnell als universelles Machtmittel der Regierung verstanden, zumal es nur eine sehr kleine Polizeitruppe gab (OPITZ/RÖDIGER 1994: 9ff). Die Wehrpflicht war von Beginn an nicht gleich und gerecht, denn wer es sich finanziell leisten konnte, ermöglichte seinem Sohn unter Zahlung von Geld und mithilfe „frisierter“ ärztlicher Atteste und/oder der Gestellung von Ersatzpersonen die Freistellung vom Wehrdienst oder nutzte das Instrument des „Einjährig-Freiwilligen“. Von Anfang an diente so im Heer und der Landwehr Preußens von je 120 000 Mann nur ein Teil der Jugend, eben meist die unvermögende Landbevölkerung (FREVERT 2001: 41). Ab 1825 (11 Mio Einwohner und 124 000 Mann im Heer und 180 000 in der Landwehr) gab es das Losverfahren, da mehr Männer als Finanzen zur Verfügung standen.
Gleichzeitig wurde nach Messerschmidt die Wehrpflicht ein Mitverursacher der „sozialen Militarisierung“ und die Kriegervereine waren die Keimzelle der „Gesinnung, die 1914 eine bisher nicht gekannte Kriegsbegeisterung und 1918 eine Nationaldepression hervorgebracht hat“ (OPITZ/RÖDIGER 1994: 24).
Trotz Zugeständnissen an das Bürgertum stand dieses dem Militärdienst bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts aber immer noch überwiegend reserviert gegenüber (MÜLLER 2014). Eigene Söhne sollten dauerhaft geschont werden und das militärische Milieu mit unsolidem Lebenswandel, Alkohol, geographischer Unstetigkeit sowie der Gefahr körperlicher Beschädigung entsprach so gar nicht den Idealen bürgerlichen Denkens und christlichem Lebenswandel. Andererseits postulierte „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn schon 1811 einen Gesinnungswandel dahingehend, dass er die Gründung von Turnanstalten anregte, welche „die Jugend vor Schlaffheit und Ausschweifung bewahren und sie für den zukünftigen Kampf fürs Vaterland rüstig machen“ (FREVERT 2001: 46).
Vieles, insbesondere eine liberale Vernetzung zwischen Militär und Gesellschaft, wurde nicht eingeführt oder in der Restauration zwischen 1815 und 1831 zurückgedreht, weil die Angst Überhand gewann vor mangelnder Königstreue und der möglichen Unbrauchbarkeit einer liberalen, womöglich sozialdemokratisch gesinnten Armee gegen Aufstand und Unruhen im Innern. Ab 1819 verstand sich das Offizierskorps wieder als wichtigster Pfeiler „monarchischer Stabilisierung“ (WEHLER 1987: 290).
Spätestens ab 1830 war also der ehemalige Leitgedanke des „Bürgersoldaten“ völlig ausgeschaltet und durch die „militärische Domestizierung der männlichen Jugend in der Schule der Nation“ im Sinne der autoritären Monarchie ersetzt (WEHLER Bd2 1989: 394), wobei zwischen 1820 bis 1848 nur die Hälfte bis ein Viertel des Jahrgangs wegen Finanzmangel eingezogen wurde (WEHLER Bd2 1989: 386f).
Als 1864 die preußische Verfassung kam, fixierte sie unter inzwischen besseren finanziellen Möglichkeiten des Staates zwar die Wehrpflicht, nicht jedoch die dazu gehörenden liberalen Gedanken: Die Freiheitsrechte der Soldaten blieben massiv eingeschränkt, Einberufungen der bäuerlichen Landbevölkerung wurden verstärkt und städtische junge Männer oft dauerhaft vom Dienst zurückgestellt. Der Gehorsamsanspruch der Vorgesetzten im und außer Dienst bliebt absolut, das Offizierskorps rekrutierte sich vom Volk distanziert aus dem Adel, die Armee wurde mehrfach zur Unterdrückung von Bürger- und Arbeiterunruhen verwendet, tote Demonstranten waren von der Obrigkeit notfalls willig akzeptiert (WEHLER Bd3 1995: 253ff).
Der Gedanke der Wehrpflicht ausschließlich zur Verteidigung gegen einen Angreifer war in der Gesellschaft nicht mehr existent: Die Wehrpflichtarmee war wie das ehemals stehende Heer ausschließliche Verfügungsmasse des Königs. Dieses Denken war langfristig präsent: 1918 übernahmen erst die Reichspräsidenten diese Funktion des Königs, dann der Führer: Zu jedem gewünschten Zweck einsetzbar, war der Gedanke des „Bürgers in Uniform“ konterkariert (OPITZ/RÖDIGER 1994: 9ff).
Im Parlament wurde jedoch darüber gestritten: Den Gedanken einer Armee als Unterdrückungsorgan der Obrigkeit im Ständestaat bekämpfte die Sozialdemokratie der Jahre 1860er bis 1914. Das auf den König vereidigte Heer als Stütze der Reaktion war treibender Gedanke für Bebel und Liebknecht für eine allgemeine Volksbewaffnung, für eine demokratische Armee, eine Milizarmee ohne Willigkeit und Fähigkeit des Angriffs gegen andere Völker. Friedrich Engels plädierte 1868 derweil in seiner Schrift „Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei“ für die Notwendigkeit eines stehenden Heeres (KAARST/BEERMANN/GROSSE 1954: 46).
Man änderte allerdings auch seine Meinung: Die Fähigkeiten zur Führung eines Verteidigungskrieges anerkennend, fordert August Bebel 1898 als Schutz vor ausländischer Aggression eine „Volkswehr“ und die „Erziehung zu allgemeiner Wehrhaftigkeit“ sowie eine vormilitärische Ausbildung für alle Jungen ab dem 10. Lebensjahr“, während derweil Friedrich Engels im Jahre 1893 Befürworter des Milizsystems geworden war (KAARST/BEERMANN/GROSSE 1954: 57, 67, 68).
Politisch und in der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung setzten sich nach den Erfolgen der Einigungskriege 1864/1866/1871 die reaktionären, die nationalistischen Kräfte mehr und mehr durch. Wehrdienst wurde „Ehrendienst“, der Offizier wurde Halbgott im gesellschaftlichen Ansehen: Es entstand das, was später der „Deutsche Militarismus“ genannt werden sollte (KAARST/BEERMANN/GROSSE 1954: 46).
Nach dem 9. November 1918 wurde erneut versucht, die gesellschaftlichen Ziele auch mit Hilfe des Militärs umzusetzen: Monarchistische Truppenteile wurden gegen revolutionäre Truppen in Stellung gebracht, „evolutionäre“ oder konservative Veränderungen militärisch unterstützt. Die Armee entwickelte sich unter den Bedingungen des Versailler Vertrages ohne Wehrpflicht in eine für die Reichsregierung nutzbare Freiwilligenarmee, die später „Staat im Staate“ wurde. Sie stellte sich dem Nationalsozialismus nicht entgegen und diente willig als Fundament der Aufrüstung der Wehrmacht. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935 (ein Dienstjahr, ab 1936 zwei Jahre) ermöglichte dann das schnelle Wachstum der Armee.
„Allgemeine Wehrpflicht und Demokratie (…) sind in Deutschland Gegensätze gewesen, nie krasser in der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘. Die Wehrpflicht wirkte sich in Deutschland bis 1945 als Katalysator der gesellschaftlichen Militarisierung aus. Nicht die Entbindung von Demokratie, sondern die Verstärkung des Nationalismus und völkische Tendenzen sind ihr zuzuschreiben.“ (OPITZ/RÖDIGER 1994: 26)
Bei der Diskussion um die Wiederbewaffnung im Rahmen der Nato mit einem Bedarf von 500 000 Mann siegten die Argumente für die Wehrpflicht; die negativen Eigenschaften wurden wegdiskutiert oder als mindergewichtig akzeptiert. Die vom Umfang her kleineren Truppenverpflichtungen von 1954 im Rahmen der Verhandlungen zur nicht realisierten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hatten noch auf einer Freiwilligenarmee beruht (OPITZ/RÖDIGER 1994: 27f, 43).
So wurde – nach 1945 bis 1955 ohne eigene Armee – die Wehrpflicht 1956 mit einem Jahr Dauer erneut eingeführt, Anfang der 60er auf 18 Monate erhöht bis Mitte der 70er, danach bis zu den 90ern auf 15 Monate angelegt und bis zur Aussetzung 2011 sukzessive bis auf 6 Monate verkürzt. Der von Bundespräsident Heuss geprägte Satz „Die Wehrplicht ist legitimes Kind der Demokratie“ im Verbund mit den demokratischen Bürgerrechten war in den 1970er und 80er Jahren oft eingängiges Rechtfertigungsmotiv und wurde ebenso wenig hinterfragt wie die Notwendigkeit einer Wehrpflicht im Kalten Krieg. Das Ausmaß der Wehrpflicht dagegen wurde öffentlich diskutiert bezüglich Steuer- und Lebenszeitbelastung. Die langen Dienstzeiten in Deutschland dienten gleichzeitig der fachlichen Ausbildung und der moralischen Erziehung. Andere Länder wählten eher kurze Dienstzeiten mit milizartigen Strukturen und wiederholtem Auffrischen in Übungen. Die Länge der Dienstzeit war Kernpunkt der Debatte über die Belastungen eines Wehrdienstes. Kurze Zeiten mit wählbaren Zeiträumen vermindern die Belastung des einzelnen Bürgers und lassen sich eher im Lebenslauf planen.
Mit dem Ende des Kalten Krieges um 1989 brach sich der verinnerlichte, liberale Grundsatz, dass der Bürger nicht mehr als nötig belastet werden soll, bahn und man reduzierte die Dienstzeit bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Dieses und die massive Senkung der Ausgaben für die Rüstung wurden bis 2014, bis zur Krim-Besetzung durch Russland, als „Friedensdividende“ bezeichnet. Auch nach Beginn des Ukraine-Krieges und mehr als 3 Jahre danach bleiben die Lebenszeitbelastung, der Gerechtigkeitsaspekt und die Finanzen die entscheidenden Argumente für die Regierungsparteien.
Fazit: Ein neuer Wehrdienst muss gerecht sein und alle sozialen Schichten treffen. Disziplin, Wertschätzung, gegenseitige Loyalität, Ausbildungserfolg und die Bereitschaft der Soldaten im gesellschaftlichen Konsens können zielführend zusammengeführt werden durch einen kurzen, gerechten, erfolgserlebnisreichen und anspruchsvollen Wehrdienst.
Der aktive Wehrdienst bedeutete ab 1893 für die Infanterie zwei Jahre Grundwehrdienst und fünf Jahre Ersatzreservepflicht mit weiteren, für die Masse der Bevölkerung weitgehend theoretischen Dienstpflichten in Landwehr und Landsturm, gestaffelt bis zum 31./39./42./45./60. Lebensjahr.
Nach dem Reichsmilitärgesetz aus dem Jahr 1874 wurde man ab dem 01. Januar des Jahres, in dem man 20 wurde, dienstpflichtig. Aufgrund überausreichender Bevölkerung wurden zum Wehrdienst nicht alle tauglichen Männer eingezogen, sondern es wurde ausgelost mit der Folge, ggf. überhaupt nicht einberufen oder wenigstens mehrjährig zurückgestellt zu werden. Insgesamt sollte der gesetzliche Anteil der Soldaten an der Bevölkerung 1 % betragen, real waren es maximal in der Hochrüstung im Jahr 1912 angeblich 0,923 %.[1]
In den Jahren vor dem Ersten WK wurden jährlich etwa 270 000 Wehrpflichtige eingezogen (WERKNER 2004: 56). Johannes Trenckmann wurde im Sommer 1911 20 Jahre alt. Vermutlich aufgrund des Losverfahren war er nicht einberufen worden, so dass erst die freiwillige Meldung im August 1914 zur Einberufung führte.
Nach NEITZEL (2021: 31ff) mussten nur etwa 50 % eines Jahrganges zum zweijährigen Wehrdienst, nach anderen Quellen knapp zwei Drittel. Das Deutsche Reich war in neun Armeeregionen eingeteilt und die Mannschaften wurden in der Wohnsitz-Region eingezogen nach erwarteten Fähigkeiten. Landwirtssöhne dienten oft in der Infanterie oder der Kavallerie, die Artillerie suchte technisch-mathematisch vorgeprägte Rekruten, Handwerker wurden bevorzugt für Nachschub und Versorgung, Pionier- und Nachrichtenwesen und Instandhaltung eingesetzt. Eine Sozialauswahl gab es nur angeblich nicht, das aktive Wahlrecht ruhte während des Militärdienstes. Wegen ihrer „konservativeren“ Grundhaltung wurde die ländliche Bevölkerung bevorzugt für Kampftruppen rekrutiert, die potenziell für den Einsatz gegen soziale Unruhen vorgesehen waren.
Es gab zunächst politischen Unterricht im Sinne einer konservativen, antisozialdemokratischen Bildung, der allerdings kaum fruchtete und der selbst von der Führung der Armee als weitgehend wirkungslos betrachtet wurde. Schon 1910 wurde er wieder abgeschafft (NEITZEL 2021: 37f). Insgesamt liberalisierten sich Drill und Ausbildung zwischen 1871 und 1914, die gesellschaftlichen Veränderungen blieben nicht ohne Wirkung. Aufgrund der vollkommenen Akzeptanz des Militärischen in allen Schichten der Gesellschaft des Kaiserreiches bedeutete der Wehrdienst laut Neitzel zwar einen Einschnitt, jedoch keine politische oder einhundertprozentige soziale Vereinnahmung. Zwar waren die ersten Wochenenden nicht dienstfrei, die sozialen Kontakte waren aber nicht längerfristig unterbrochen und konnten sich weiterentwickeln. Auch innerhalb der Gruppendynamik der militärischen Einheit entwickelte sich der Soldat individuell. So kam es laut NEITZEL (2021: 39f) nicht zur großen Vereinheitlichung oder einem Bruch mit Meinungen und Einstellungen des Lebens davor.
Mit Gewalt verbundene Aufnahmeriten waren ebenso verboten wie Prügelstrafe, es gab sie aber in gemäßigter Form trotzdem. Vor allem dienstältere Mannschaftsdienstgrade praktizierten diese wohl an den Rekruten. Schließlich war die Prügelstrafe gegenüber Kindern, Knechten, Mägden (nach der Gesindeordnung), gegenüber Schülern und Lehrlingen, eingeschränkt auch gegenüber der eigenen Ehefrau zu jener Zeit noch gesellschaftlich akzeptiert (NEITZEL 2021: 45ff).
Schikanöse Behandlung war ebenfalls untersagt, konnte jedoch aufgrund der weiten Interpretierbarkeit des Verhaltens von Vorgesetzten und Kameraden natürlicherweise nicht unterbunden werden. Das preußische Kriegsministerium erließ 1898 eine verbesserte Beschwerde- und Militärstrafgerichtsordnung, seit den 1890er Jahren gab es eine Flut von Vorschriften, Anordnungen und Ermahnungen zur Verhinderung von Misshandlungen der Untergebenen: Gab es früher die Vorstellung einer Disziplin durch „Furcht und Abschreckung“, so ändere sich nach 1900 diese Vorstellung. Der Schleifer als Vorgesetzter existierte laut Neitzel zwar, er wurde aber missachtet. Gehorsam sollte mehr aus Einsicht geleistet werden und Gewalt entsprach seit 1890 nicht mehr dem öffentlich propagierten Offiziersbild. Die Ehre des Soldaten sollte nicht verletzt werden. Zwischen 1902 und 1913 halbierten sich dementsprechend die Verurteilungen wegen Beleidigung oder Misshandlung, obwohl die Zahl der Soldaten deutlich anstieg. Es gibt Indizien, dass die Zahl der Misshandlungen tatsächlich abnahm und der Umgangston sich verbesserte. Ein neues Exerzierreglement seit 1906 stärkte die praxisorientierte Gefechtsausbildung auf den Übungsplätzen und schwächte den Kasernenhofdrill. Gleichwohl geben die damaligen Quellen die wirkliche Situation sicherlich nicht vollständig wieder. Schikanen und Machtmissbrauch blieben ein Dauerproblem der Friedensarmee und äußerten sich selten in roher Gewaltanwendung, sondern in Urlaubssperren, Strafexerzieren und unwürdigen Reinigungsarbeiten wie dem Polieren von Klosettrohren. Auch gehörte die Erzwingung von Gefälligkeiten dazu (NEITZEL 2021: 46ff). An der Front veränderte sich das soziale Binnengefüge allerdings sehr, denn dort bildeten Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere eine Überlebensgemeinschaft, in denen Rangunterschiede nicht verschwanden, sich aber relativierten: Fürsorge und Vorbild und soziale Anerkennung sollten die Führungsgrundsätze sein.
Machtmissbrauch wird ab 1914 möglicherweise weniger vorgekommen sein als in der Friedensarmee, dort war der Anspruch an Gerechtigkeit allerdings auch sehr gering: Die Behandlung der Mannschaften war oft schlecht, die Machtlosigkeit der Wehrpflichtigen noch größer als im Dritten Reich und der Bundeswehr. „Ein weiteres Moment waren die traditionell krassen sozialen Gegensätze zwischen den Offizieren und den Mannschaften, welche mit der subjektiven Erfahrung eines klassenübergreifenden, nationalen Aufbruchs nicht überein gingen. Der gegenüber dem Unteroffizierskorps und den Mannschaften prononcierte herausgehobene soziale Status der Offiziere wurde im Stil der Zeit als notwendiges Attribut ihrer Autorität und ihrer nahezu uneingeschränkten Führungsgewalt angesehen. Beide, die Offiziere und die Mannschaften, bildeten eine unterschiedliche Mentalität aus, die allerdings während der späteren Kriegsjahre durch die zunehmende Zahl von Reserveoffizieren, die eine andere Grundeinstellung mitbrachten als die Berufsoffiziere, etwas gemildert wurde. Selbst hinter der Front kam es immer wieder zu krassen Fällen von Soldatenmisshandlungen, zumeist wegen vergleichsweiser unbedeutender Verfehlungen, weil die betreffenden Offiziere offensichtlich glaubten, nur schärfstes Durchgreifen gegen Unbotmäßigkeit könnte absolute Disziplin garantieren.“ (MOMMSEN 2004: 140) Allerdings wurde die oft schlechte Behandlung in der Grundausbildung schnell bekannt und auch mehrfach an höherer Stelle angezeigt: Nach WETTE (1992: 117f) „erließ am 22.08.14 das preußische und am 02.09. das bayerische Kriegsministerium eine Verfügung, in der zunächst festgestellt wurde, dass die „Behandlung der meist gebildeten Ständen angehörigen Kriegsfreiwilligen vonseiten der Unteroffiziere stellenweise eine gemeine und den Vorschriften widersprechende war“. Dieses Übel solle „ausgerottet“ und so „verhindert werden, dass der kriegerische und opferfreudige Geist, der sich in dieser schweren Zeit überall gezeigt hat, keinen Schaden erleide“. Knapp ein Jahr später war einer weiteren Verfügung zu entnehmen, dass die Misshandlungen nicht ab, sondern eher zugenommen hatten. Vor allem aber seien nun die beschwerdeführenden Soldaten „vor Vergeltungsversuchen und übelwollender Behandlung aus Anlass der Beschwerde zu schützen“.
Eine Felddienstordnung aus dem Jahr 1908 formulierte, dass das Heer seine Soldaten nicht zu stumpfen Befehlsempfängern, sondern zu selbständig denkenden und handelnden Soldaten erziehen wollte, zu mitdenkenden Soldaten. Das gelang nach Neitzel nicht immer oder manchmal selten. Die Erfahrungswelt von Millionen Deutschen im Militär der Kaiserzeit sei heterogen gewesen: es gab „Schleifer, Choleriker, väterliche Vorgesetzte, besonders Schneidige, menschenfreundliche Gesinnung, absonderliche Wesen, prächtige Kerle und Tyrannen“ (NEITZEL 2021: 51).
Im März 1935 kam mit dem „Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht“ nicht nur die Namensänderung von Reichswehr zu Wehrmacht einher, sondern auch die Wiedereinführung einer einjährigen Wehrplicht (zwischen 18 und 45 Jahren) mit vorgelagertem, halbjährigem Arbeitsdienst und die massive Vergrößerung der Armee. Im August 1935 wurde der Wehrdienst auf zwei Jahre verlängert.
Vor Kriegsbeginn dauerte die allgemeine Grundausbildung etwa acht bis zwölf Wochen samt Waffen- und Gefechtsdienst, Marsch, Sicherung, Verteidigung von Stellungen, Wach- und Formalausbildung. In der anschließenden Vollausbildung als Infanterist (MG, Gefechtsarten, Spähtrupp, Feldbefestigungen), Kanonier oder Richtschütze, Nachschubsoldat o. Ä. mit etwa drei Truppenübungsplatzaufenthalten und zwei Herbstmanövern eigneten sich die Rekruten weiteren Fähigkeiten an. Beförderung zum Gefreiten war möglich, frühestens nach zwei Jahren zum Obergefreiten, unter Umständen auch eine Ausbildung als Gruppenführer.[2]
Eine vorliegende Ausbildungsschrift für die Rekrutenausbildung im Jahr vor Kriegsbeginn geht allerdings von einer 16-wöchigen Grundausbildung bei der Infanterie aus und beschreibt detailliert die Ausbildungsthemen, Reihenfolge und Wiederholungsfrequenz (QUECKBÖRNER 1938: 2ff).
Die Vereidigung vollzog sich ab 1934 direkt auf Hitler und ab 1935 mit folgendem Text: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“[3]
Im November 1955 beginnend wurde die Bundeswehr aufgestellt, die allgemeine Wehrpflicht durch das Wehrpflichtgesetz (WPflG) vom 21.07.1956 eingeführt und am 01.04.1957 wurden die ersten Wehrpflichtigen einberufen. Die Dauer der Wehrpflicht wechselte zwischen 6 und 18 Monaten, eine Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung war im Grundgesetz hinterlegt. Die Grundausbildung (AGA) vollzog sich in Ausbildungskompanien, die an aktive Truppenteile angegliedert waren. Es wurde eine etwa sechswöchige „grüne“ Infanterieausbildung durchgeführt und schließlich eine ebenso lange Fachausbildung als Kanonier, Militärkraftfahrer, Funker, Versorgungssoldat usw. Darauf folgte in der Stammeinheit die etwa einjährige Vollausbildung z. B. mit Gefechtsdienst auf Kompanieebene und Truppenübungsplatzaufenthalten. Urlaub wurde überwiegend kompanieweise genommen, Rekruten überwiegend zugweise jedes Quartal ausgetauscht.[4]
Wehrdienstbefreiende, gesundheitliche Untauglichkeit wurde im Niveau der körperlichen Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom Bedarf variiert. Der Anteil Zivildienst ableistender Kriegsdienstverweigerer stieg im Laufe bis auf die Hälfte aller Dienstpflichtigen
Die Bundesrepublik wollte keine Nationalbegeisterung ihrer Soldaten, keinen Hurra-Nationalismus. Dementsprechend fielen nationalistische Motivationsgründe sowie die soziale Anerkennung deutlich kleiner aus als bei früheren Generationen. In der zunehmend materiellen und individualistisch geprägten Bundesrepublik werden die meisten Wehrpflichtigen der Bundeswehr ihren Dienst angetreten haben, weil der Staat es so erzwang: Eine negativ begründete Motivation (Angst vor Strafe oder persönlichen Nachteilen) wird vermutlich also nicht nur am ersten Tag in der Kaserne überwogen haben. Gleichzeitig werden die Wehrpflichtigen ausreichend Erlebnisse und Erfahrungen gemacht haben, die irgendwo zwischen Ablehnung, gleichgültiger Akzeptanz des Unabänderlichen und motiviertem Mitmachen endeten. Entsprechend sind die Aussagen über das Selbstbildnis zu interpretieren, die die gesamte Bandbreite zwischen Frust, Freude und Resignation abdecken: Neben den vielen mündlichen Geschichten der Ehemaligen gibt es die im Teil „Literatur“ benannten schriftlichen Erzeugnisse und auch vereinzelte, offizielle Umfragen:
SCHÖSSLER (1980: 142ff) gibt an, dass die meisten ehemaligen Bundeswehrsoldaten ihre Zeit beim Militär als „sinnlos“ und „nicht bereichernd bezüglich ihres Lebensweges“ betrachten.
In COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER (1994: 117ff) sind Ergebnisse von verschiedenen Umfragen unter Mannschaften wiedergegeben:
Lippert 1972/73: 52,2 % der Befragten halten den Dienst in Bezug auf die eigene Person für sinnlos, 27 % für sinnvoll.
Hegner 1977: 71 % der Befragten erwarten am Anfang des vor ihnen liegenden Wehrdienstes wenigstens eine teilweise sinnvolle Dienstzeit, nach Ende des Wehrdienstes sehen 55% die Zeit als sinnvoll oder teilweise sinnvoll an.
SowiBw 1986: 52 % halten den Wehrdienst für sinnvoll oder als Pflicht, der man nachkommen müsse, 47 % antworten mit sinnlos.
SowiBw September 1992: Die Autoren erhalten für Westdeutschland (Ostdeutschland in Klammern) folgende Antworten: 2,8 % (2,3) sehr sinnvoll, 13,6 % (8,8) sinnvoll, 42,8 % (38,2) Pflicht, der ich nachkomme, 19,9 % (20,2) sinnlos, 20,9 % (30,5) sehr sinnlos. Dabei ist es wohl kein Widerspruch, dass die Befragten gleichzeitig Deutschland für militärisch verteidigenswert halten, nur etwa 5 % finden das nicht (COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER 1994: 119).
Lippert 1989 in KLEIN (1991: 9ff): 11 % halten den Dienst für sinnvoll oder sehr sinnvoll, 52 % für eine Pflicht, der man nachkomme, 36 % für sinnlos oder sehr sinnlos.
Begründungen findet Lippert in weiteren Umfragen:
NEITZEL (2021: 363) fasst zusammen: „Viele Wehrpflichtige im Heer fühlten sich weder als Mensch noch als Staatsbürger angesprochen, 60 % meinten 1982, sie würden wie unmündige Kinder behandelt. Im Gefechtsdienst würde ihnen beigebracht, als Milan-Schütze selbstständig Entscheidungen zu treffen, doch man traue ihnen nicht zu, allein in den Keller zu gehen, um Wäsche zu tauschen. Die Erhebungen zur Stimmungslage ergaben in den 70er und 80er Jahren immer wieder das gleiche Bild: Die Wehrpflichtigen taten sich schwerer mit der Eingliederung in die militärische Welt als in den 50er und 60er Jahren und reagierten empfindlicher auf die Trennung von zu Hause, die Einschränkungen gewohnter Umgangsformen, den rauen Ton. Man wollte heimatnah und möglichst berufsnah eingesetzt und sinnvoll beschäftigt werden, einen Beitrag leisten und sich nicht in einer öden Beschäftigungstherapie wiederfinden. Viele Soldaten beklagten sich darüber, dass die Vorgesetzten oft hilflos auf die Vorschriften verwiesen und nicht erklären konnten, warum etwas so und nicht anders gemacht werden musste. (...) Etliche Rekruten meinten, dass sie auch ohne das ständige Gebrüll das Verlangte tun würden. Zweifellos hatten die Wehrpflichtigen ganz andere Vorstellungen von einem angemessenen Umgangston als manche Vorgesetzte, die an einer kraftvollen Standpauke nichts Schlimmes finden konnten.“
Umfrageergebnisse aus der Kaiserzeit gibt es natürlich nicht. Mein Großvater hat sicherlich den Wehrdienst für hoch sinnvoll betrachtet. Selbst am Lebensende hätte er vermutlich bestätigt: Der Wehrdienst werde fürs Vaterland geleistet, und weil es zum Mannsein dazugehöre. Mein Vater hätte wohl ähnlich geantwortet, wenn auch mit sehr viel weniger Nachdruck und mit Zweifeln. Ich hätte 1981 den Sinn wohl als gegeben erkannt aufgrund der realen Bedrohung. Und Sebastian hätte 2010 mit einem klaren „Nein, ich muss aber“ geantwortet.
Weitere Umfragen zitiert MÜLLER (2014): „Mitte der 1970er Jahren sahen fast 80 Prozent der befragten Wehrpflichtigen negative Auswirkungen ihres Dienstes in der Bundeswehr. Das waren vor allem ‚Zeitverlust im beruflichen Werdegang‘, ‚schwierige Wiedereingliederung in den Zivilberuf‘, ‚Unterbrechung der Ausbildung‘, ‚psychische Verarmung‘ und die ‚Erziehung zu schematischem Denken‘.“ (Hecker 1980: 109f, Lippert 1976: 137 in MÜLLER 2014)
WETTE (1992: 406) nimmt an, dass fehlende Wertschätzung bzw. empfundene Missachtung des Wehrpflichtigen und seiner persönlichen Fähigkeiten grundsätzlich zu einer Entfremdung des Soldaten zur Bundeswehr und zum Staat führt: Die Bundeswehr erfuhr als staatserhaltende Institution vor dem Wehrdienst eine höhere Wertschätzung als hinterher. Gleichzeitig bzw. trotzdem sah der überwiegende Teil der Gesellschaft und auch der vom Wehrdienst betroffenen Männer die allgemeine Wehrpflicht als notwendig und richtig an.
Unverändert wie in den Zeiten davor war der Hang der Armee zu Bürokratismus und Verselbständigung von seinen Organen: Schon in den 70er Jahren wurde mangelnder Informationsfluss und ein unzureichendes Funktionieren des Dienstweges festgestellt, weil Informationen zurückgehalten, abgeändert, verfälscht und z. T. völlig ausgebremst wurden. Zum Thema „Gammelei“ stellte SCHMÜCKLE (1972: 104) fest: „Die Diskussion über eine mögliche Verkürzung der Wehrdienstzeit ist seit langem unlösbar verbunden mit dem Vorwurf, in der Bundeswehr werde gegammelt. Da gegammelt werde, so wird argumentiert, sei der Beweis erbracht, dass man bei rationeller Betriebsführung in kürzerer Zeit sogar zu besseren Ergebnissen kommen könne, wenn man nur wolle. In der Tat handelt es sich hier um eines der zentralen Probleme einer technisierten Streitmacht. Es wird besonders stark von einer Wehrpflichtarmee empfunden, der Eingezogene, der das Opfer der Dienstzeit bringen muss, rechnet natürlich scharf nach, wie viel Energie durch Gammelei auf der Strecke bleibt. Oft ist dabei allerdings verbale Polemik gegen das Militär schwer vom objektiven Unterforderungssituationen zu trennen (…) Als objektive Ursache des Gammelns gilt allgemein schlechte Arbeitsorganisation, ungenügende Dienstaufsicht, unterwertige Verwendung des einzelnen, geringes Arbeitsvolumens oder niedriger Schwierigkeitsgrad der Arbeit, auch monotoner Dienst, Langeweile, die bei der Arbeit aufkommt. Das Gefühl, unnütz zu sein oder unnütze Arbeit zu leisten, entsteht vor allem dann, wenn der Einzelne den Dienst innerlich ablehnt, wenn er den Sinn seiner Arbeit nicht begreift oder wenn der Arbeitsprozess für ihn aus welchen Gründen auch immer undurchschaubar bleibt.“
Nach WETTE (1992: 434) war der Kasernendienst geprägt von Anpassung und dem Ableisten des Unausweichlichen bei gleichzeitigem Suchen nach kleinen Fluchten, dem Entgehen vermeidbarer Lasten, dem „Verpissen“ und „Abseilen“ und andersartigem Beklagen über „Gammeldienst“. Vermeidung von Lasten und gleichzeitige Suche nach interessanten und spannenden Augenblicken war für viele die Regel. Geländetage waren gleichermaßen erfreuliche Abwechslung vom Routinedienst und gleichzeitiger Grund für Klage über körperliche Belastung, insbesondere bei Soldaten außerhalb der Kampftruppen. Die Sichtweise auf die „Sinnlosigkeit“ des Dienstes hat hier ebenso einen Ursprung wie das im Wehrdienst typische „Warten“ auf die nächste Tätigkeit. („Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens“.) Kampftruppen hatten aufgrund der vermehrten Geländetage und der häufigeren Truppenübungsplatzaufenthalte insgesamt wohl weniger mit dem Stichwort „Gammelei“ zu tun, obwohl insbesondere auch wiederholter technischer Dienst und Wachen/Bereitschaften vielfach als „Gammelei“ empfunden wurden.
Zum Gesamteindruck „Gammeldienst“ gehörten offensichtliche als Beschäftigungstherapie empfundene Tätigkeiten als auch tatsächlich sinnlos durchgeführtes Reinigen und technische Dienste an Fahrzeugen, die gar nicht bewegt worden waren. Ein fehlender Zusammenhang zwischen dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr und der aktuellen Tätigkeit wurde im Alltag der Mannschaften oft gesehen: Tatsächliche Sinnlosigkeit, Komplexität der Zusammenhänge, fehlende Einordnung des eigene Tuns in den Gesamtzusammenhang, bürokratische und finanzielle Gründe, fehlende Ausbildungsmöglichkeiten sowie Fantasielosigkeit oder Gleichgültigkeit oder eigennütziger Motive der Vorgesetzten frustrierten den Wehrpflichtigen und ergaben im Gesamtbild Gammeldienst und Sinnlosigkeit insbesondere bei denen, die vor ihrer Bundeswehrzeit in Firmen und Unternehmen die zivile Arbeitswelt kennengelernt hatten.
Auffällig ist die Steigerung der diesbezüglichen Unzufriedenheit der Wehrpflichtigen: In den 60er und 70er Jahren war die Zustimmung zur Sinnhaftigkeit des Dienstes größer gewesen. Unklar bleibt, ob sich der Gammeldienst in der Bw verstärkt hatte oder die zu höherem Selbstwertgefühl erzogenen Jugend kritischer geworden war.
Hinzu kam die als unzweckmäßig und Verschwendung von Ressourcen empfundene Nichtnutzung ziviler Kenntnisse beim Bund und die als ungerecht empfundene niedrige Bezahlung des Wehrpflichtigen besonders bei denjenigen, die schon eine Ausbildung hinter sich gebracht hatten.
Eine weitere Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr kam dann Anfang der 80er Jahre zu dem Ergebnis, das die Mehrheit der Wehrpflichtigen eine mangelnde Akzeptanz für Atomwaffen und schwindendes Vertrauen in die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr sowie fehlenden Willen besaß, Schaden am eigenen Leib für die Verteidigung des eigenen Landes auf sich zu nehmen. 74 % erklärten, nichts könne einen Krieg rechtfertigen, in dem Massenvernichtungsmittel eingesetzt würden (WETTE 1992: 441).
Bezüglich der Chancen auf Überleben oder Sieg in einem Dritten Weltkrieg gaben 1982 72 % der Wehrpflichtigen an, „man habe keine Chance“ (WETTE 1992: 444): Das Ganze ist vor dem Hintergrund der an Kraft gewinnenden Friedensbewegung in der Zeit der Diskussion um den Nato-Doppelbeschluss zu sehen. Andererseits darf postuliert werden, dass die Masse der Soldaten die Effizienz und Wirksamkeit ihrer Waffensysteme sowie ihren Ausbildungstand durchaus kritisch sah, jedoch an der Schlagkraft der Armee und der Nato als Ganzes weniger Zweifel bestanden. Gleichzeitig vermutete man eine Überlegenheit des Warschauer Paktes.
Heimatnahe oder heimatferne Einberufung waren Ursache von Ungerechtigkeit. Männer aus Ballungszentren wurden systematisch in die ländlichen Garnisonen eingezogen und trafen da auf die heimatnah Einberufenen, die ein bis zwei Drittel der Einheit ausmachten, kurze Wege nach Hause hatten und „Heimschläfer“ waren. Letztere konnten zivile Kontakte pflegen und ausbauen, den anderen blieben oft Langeweile und Alkohol.
Wesentlicher Faktor der Bedingungen bei der Bundeswehr war die lange Dienstzeit. Vom Wecken bis zum Dienstschluss waren regelmäßig an vier Tagen 10,5 h (inkl. 2 h Frühstück/Nato-Pause/Mittag) mindestens zu veranschlagen. Freitags war nachmittags früher Schluss, dazu kamen jedoch Übungen, Wachen und Zusatzdienste. So nimmt es nicht wunder, dass 1978 festgestellt wurde, dass 54 % der Wehrpflichtigen mehr als 50 Wochenstunden, 31 % mehr als 60 h Arbeitszeitbelastung hatten. Hinzu kamen mitunter lange Heimfahren (ZOLL 1979: 231).
Fazit: Gammeldienst, Ungerechtigkeit und fehlende Loyalität von oben nach unten diskreditierten den Wehrdienst in der Vergangenheit. Diese gilt es für die Zukunft zu verhindern.
Die Bundeswehr entwickelte Abkürzungen und besondere Begriffe, nicht nur angesichts der Anglizismen aus der Nato-Sprache. Die Mannschaftssoldaten selbst schufen zum Zwecke der Verhöhnung, zur eigenen Freude, zur treffenderen Beschreibung oder zur Abkürzung neue Begriffe. Außerdem hat die Benutzung einzelner Wörter für die Integration des Individuums zur Gruppe eine wichtige Bedeutung: Demnach ist ein Jargon auch Zeichen für die Übernahme von Wertvorstellungen, stellt eine Distanz zu anderen Wertvorstellungen dar und trägt auch das Image der Stärke und Männlichkeit in sich, insbesondere durch den häufigen Gebrauch obszöner Begriffe. Es fördert das Solidaritätsgefühl, das Gefühl von Nähe und Vertrautheit mit den Kameraden (MEYER 1977: 122, ausführlich auch VOGT 1988: 83ff).
Auch gibt es einen beschreibenden „Blick von oben“ auf „typische“ Wehrpflichtige, durchaus treffend führte der damals schon pensionierten Generalleutnants Schmückle 1972 folgendes aus (Ähnlichkeiten in der Beurteilung der heutigen Jugendlichen sind nicht zufällig und müssen bei einer neuen Wehrpflicht berücksichtigt werden):
„Sie sind oft untrainiert, ihre Leistungen in Leichtathletik und Schwimmen liegen erschreckend weit unter dem Durchschnitt, nur etwa 15 % dürften Freischwimmer sein.“ (SCHMÜCKLE 1972: 131)
„(…) praktische Probleme erfassen sie rasch, auf gründliche Verarbeitung vergeuden sie keine allzu großen Energien. Ihr Konzentrationsvermögen wird allgemein als mäßig bezeichnet, woran die Reizüberflutungen durch Erscheinungen wie Fernsehen und Radio fraglos ihren Anteil haben.“ (SCHMÜCKLE 1972: 125)
„Viele der Jungen sind hoch aufgeschossen, schlank und manchmal von einer geradezu fatalen Unbeholfenheit (…) Rückgratverkrümmung, Senkfüße und geringe Muskelbildung, die recht häufig sind (…)“ (SCHMÜCKLE 1972: 121)
„Wollte man die Wehrpflichtigen stichwortartig charakterisieren, dann wären die Worte ‚fügsam, kritisch, unbekümmert‘ nicht schlecht gewählt. In erstaunlicher Häufigkeit treten diese drei Begriffe in den Erfahrungsberichten auf. Soldaten, die fügsam sind, aber sich zugleich nicht bereit zeigen ihren kritischen Verstand abzulegen, sind sicher nicht die schlechtesten. Doch was ist von Soldaten zu erwarten, die darüber hinaus noch unbekümmert sind? Wir meinen, in diesem Begriff lassen sich eine ganze Reihe von Tugenden unterbringen, die gut in den militärischen Bereich passen: Aufgeschlossenheit, Optimismus, Humor, um nur einige zu nennen. Aber auch für Nachteile ist darin Platz: Unbesonnenheit, Unterschätzung von Gefahr, Mangel an Gründlichkeit, Fahrlässigkeit.“ (SCHMÜCKLE 1972: 125).
„Fraglos aber verjagt diese Unbekümmertheit den Muff aus den Streitkräften. (…) Wenn uns nicht alles täuscht, ist diese Unbekümmertheit ein erfreuliches Mitbringsel der Amerikaner. Wir sollten Ihnen dafür dankbar sein, denn Lachen ist bekanntlich auch beim Militär kein Dienstvergehen. (…) Am Anfang der Dienstzeit verschanzen die Jungen sich gerne hinter der Anonymität der Gemeinschaft, um die neue Umwelt vorsichtig zu testen. Sie fragen ihre Vorgesetzten in der ersten Zeit recht viel und mit der deutlichen Absicht, sich reibungslos in die Gemeinschaft einzufügen. Durch nichts fallen sie zunächst mehr auf als durch ihre Anstrengung nicht aufzufallen. Über ihre Rechte orientieren sie sich gründlich, ihr Pflichtenkatalog dagegen muss ihnen immer wieder vor Augen geführt werden, klagen manche Vorgesetzte. Dass sie ihre Rechte kennen, halten wir für gut, dass sie ihre Pflichten als Soldat kennenlernen, dazu sind Vorgesetzte nun einmal da.“ (SCHMÜCKLE 1972: 126)
„Für viele junge Wehrpflichtige gilt, dass sie gewillt sind, sich mit Anstand aus der militärischen Affäre zu ziehen. Sie empfinden keinen Hurrapatriotismus, Dienen ist ihnen kein ideeller Wert, sondern ein unangenehmes Muss. Sie sind aber überzeugt, dass wir die Opfer zum Schutz unserer Sicherheit den Alliierten nicht alleine zumuten können.“ (SCHMÜCKLE 1972: 129)
„Anstrengende Übungen steigern sichtbar das Selbstvertrauen der Jungen in ihr körperliches Leistungsvermögen, die zwar während und nach solchen Übungen stets die Nase voll haben, später jedoch nicht ohne einen Anflug von Stolz daran zurückdenken.“ (SCHMÜCKLE 1972: 133).
„Ihr Nationalgefühl hat Untertemperatur, den Staat bejahen sie in der überwiegenden Mehrzahl, wenngleich sie auch in ihrer Beurteilung ohne Emotionen bleiben. (…) Misstrauisch stehen die jungen Soldaten jener sogenannten Traditionspflege gegenüber, nicht ohne zuckende Verachtung in den Mundwinkeln meinen sie, Tradition gehöre zur älteren Generation.“ (SCHMÜCKLE 1972: 134f)
Schmückles Aussagen zum Nationalismus waren auch in den 80er Jahren noch richtig und deckten sich mit meiner damaligen Einstellung. Daraus resultierte auch unser Denkmodell zum Kalten Krieg, zur Sowjetunion und zur verinnerlichten Notwendigkeit der Bundeswehr:
„Ein Angriff (…) würde mit einer seit dem Zweiten Weltkrieg um das vielfach gesteigerten Feuerkraft einsetzen (…)“ (SCHMÜCKLE 1972: 230)
„Dazu gehört die offene Aufklärung über die außerordentliche Wirksamkeit heutiger Waffen, dazu gehört, dass (…) dem Soldaten klargemacht wird, dass er in einem nuklearen Krieg im Norm-Fall eher besser geschützt ist als der Zivilist, dazu gehört auch, dass der Soldat weiß, dass es in einem etwaigen Krieg für Niemanden in unserem Lande eine reelle Fluchtchance gibt und wir von einem eventuellen Angreifer auch nicht gefragt würden, ob wir teilnehmen wollen an dieser Auseinandersetzung oder nicht. (…) Dazu gehört schließlich, dass der Soldat versteht, auch seine beste Chance die Vermeidung des Krieges ist; dass er am besten dazu beitragen kann, indem er daran mitwirkt, dass die Streitmacht, der er zugehört, als ‚kampfkräftig imponiert‘, weil sie funktioniert (…) Wären wir gezwungen, heute spontan ein Urteil über die Kampfkraft der Bundeswehr abzugeben, dann würden wir zuerst sagen, die Bundeswehr ist viel besser als ihr Ruf.“ (SCHMÜCKLE 1972: 231)
Fazit: Viele Beurteilungen von damals gelten heute in verstärktem Maße und verlangen Gerchtigkeit, Wertschätzung und Ehrlichkeit des hierarchischen Systems Bundeswehr
Nach Ende des Kalten Krieges und nach der beginnenden Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandeinsätze, zu denen keine Wehrpflichtigen eingesetzt werden sollten, nahm das Einstreichen der „Friedensdividende“ Fahrt auf. Schon in den 90er Jahren war die Truppe quasi halbiert worden, eine Strukturreform jagte die nächste. Mitte der 2010er Jahre – nach dem Beginn des Engagements in Afghanistan ab 2002 – wurden die Kräfte einer Landes- und Bündnisverteidigung zusammengestrichen, die Reservestruktur gekaderter Verbände fast völlig aufgelöst und die Auslandseinsätze praktisch alleiniger Schwerpunkt. Alibi-Aktivitäten bemäntelten bis 2014 und danach das Thema Landes- und Bündnisverteidigung.
Wehrpflichtige passten in den Auslandsverwendungen oft fachlich nicht und sollten politisch nicht eingesetzt werden: So waren sie Ballast in der Vorbereitung der Verbände auf den nächsten Auslandseinsatz. Unter diesem Gesichtspunkt war es konsequent, über die Aussetzung der Wehrpflicht nachzudenken. Nach politischen Diskussionen im Laufe des Jahres 2010 wurde vergleichsweise kurzfristig im Dezember desselben Jahres die Aussetzung der Wehrpflicht zum 31.03.2011 beschlossen, die Wehrpflicht jedoch nicht abgeschafft. In der vorausgegangenen, jahrelangen Diskussion wurden die in der „feindlosen Zeit“ nunmehr nicht mehr nötigen Belastungen der Dienstleistenden abgewogen gegen die Vorteile einer Wehrpflichtsarmee. Die Argumente hatten sich in 200 Jahren nicht geändert. So schrieb 1996 der damalige Generalinspekteur BAGGER im Generalinspekteur-Brief 1/96:
„Für viele scheint das stärkste Argument für eine Berufsarmee die damit verbundene Professionalisierung zu sein. Wehrpflicht und Professionalität schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Wehrpflicht schafft darüber hinaus die Möglichkeit, das gesamte Potenzial an Intelligenz, Fähigkeiten und beruflicher Ausbildung unserer jungen Bürger zu nutzen. Wir profitieren von diesem Potential nicht nur bei den Wehrpflichtigen, wir gewinnen aus ihm auch die Hälfte unseres Führernachwuchses an Offizieren und Unteroffizieren. Qualität und Kultur der Führung in der Bundeswehr, aber auch Professionalität werden wesentlich von der Wehrpflicht abhängen. Der mit einer Freiwilligenarmee häufig verbundene Verzicht auf Pluralität kann zu einem Verlust an geistiger Vitalität führen.“
Die Nutzung aller geistigen Ressourcen einer Gesellschaft sowie die Verankerung einer Armee im Zeitgeist der Gesellschaft waren schon zu Scharnhorsts Zeiten die entscheidenden Argumente gewesen. Allerdings konnten diese Argumente angesichts der Ausrichtung auf internationale Auslandseinsätze und vor dem Bild des weggefallenen Ost-West-Konfliktes keine Kraft mehr entfalten, angesichts des stark gestiegenen Handels und der gegenseitigen Abhängigkeiten mit Russland glaubte man einen Krieg weit weg. Kostengründe waren vermutlich das letztendlich ausschlaggebende Argument, die Fragen der langfristigen Personalgewinnung und politischen Gesinnung wurden heruntergespielt. Dabei war es eine Binsenweisheit, die Kohr 1993 mit „Rechts zur Bundeswehr, Links zum Zivildienst“ feststellte: „(…) ist die Tendenz, der Wehrpflicht nachzukommen, klar mit der politischen Orientierung verbunden: ‚je weiter sich Jugendliche rechts von der politischen Mitte stehend einschätzen, je stärker ihre Sympathien für rechtsextreme Positionen sind, desto positiver stehen sie zur Bundeswehr‘.“ (COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER 1994: 89)
Die Befürchtungen über eine Prekarisierung der Armee durch vermehrten Zustrom von bildungsmäßig und finanziell Benachteiligten, das Ansammeln politisch konservativer Personen und das Problem einer ausreichenden quantitativen Personalbeschaffung wurden politisch bewusst ausgeklammert und schöngeredet.
Leonhard/Biehl in LEONHARD/WERKNER (2012: 410) legen die Auswirkungen der Abschaffung der Wehrpflicht bezüglich der vermehrten Rekrutierung von sozial Schwächeren in der Freiwilligenarmee dar, besonders in Kampftruppen. Die finanzielle Situation von Minderheiten und wirtschaftlich Schwächeren treibt sie – insbesondere in Zeiten von Arbeitslosigkeit – in die Armee und wirkt dort schlimmstenfalls als „soziale Wehrpflicht“. Polarisierend wird 2010 von einer „stark ostdeutsch rekrutierten Unterschichtarmee“ gesprochen. Im Jahre 2004 war ein Viertel der jungen Männer maßgeblich aufgrund mangelnder beruflicher Perspektiven an einer Karriere in der Bundeswehr interessiert (LEONHARD/WERKNER 2012: 414, KLÖSS/GROSSMANN 1974: 135). Die Problematik der Sammlung vom Prekariat in einer Freiwilligenarmee war auch vor 2010 hinreichend bewiesen (TRESCH 2005: 63f, 76f, 185ff, ZOLL 1982: 9f)
Ich war selbst in diesen Jahren regelmäßig als beorderter Reservist in Übungen und auf Informationstagungen, dienstlich wurde diesen Themen aus dem Wege gegangen. Bis heute werden sie von der Politik verschwiegen oder beschönigend dargestellt, von der Bw nicht kommuniziert.
Die Bundeswehr leidet insbesondere seit den Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels und des demographischen Wandels an Nachwuchsmangel und muss davon ausgehen, die gesteckten Ziele des personellen Aufwuchses bei Weitem nicht erfüllen zu können. Noch im Frühjahr 2023 wird verschiedentlich der Eindruck vermittelt, dass das Anwachsen der Truppe auf die Zielstärken 2025 und 2030 auf gutem Wege sei, obwohl bei möglicherweise gesunkenen Anforderungen an Bewerber deren Zahl 2022 unter der von 2019 liegt und die Bundewehr derzeit keinen Aufwuchs verzeichnet. Die Anzahl der Soldaten lag im Frühjahr 2023 bei 183 000, im März 2022 waren es noch 184 000 gewesen (DIE BUNDESWEHR 2023: 40).
Fazit: Nur die allgemeine Wehrpflicht verhindert eine außerhalb der Gesellschaft stehende Armee.
Aus nachvollziehbaren Gründen kann hier nur der friedensmäßige Dienstalltag angesprochen werden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass zumindest die Grundausbildungen 1914 und 1941 in den Garnisonen ähnlich abgelaufen sein muss wie jeweils vor Kriegsbeginn: Allerdings werden die Dienstzeiten länger und härter gewesen sein. Und für den Alltag im Krieg galten sicher unendlich verschiedene Bedingungen. Die infanteristischen Grundausbildungen der Jahre 1914, 1941 und 2010 dauerten im Regelfalle drei Monate, zumindest in der 80ern wurde jedoch zwecks sechswöchiger Fahrschule oder anderer Ausbildungen der „grüne Anteil“ auf sechs Wochen verkürzt, so dass am Ende eines Quartales in die Stammeinheiten versetzt werden konnte.
Zusammenfassend nach DILTHEY (1915: 122ff) und BOYSEN (1912: 19ff) gestaltete sich in der Kaiserzeit der tägliche Dienst der inzwischen in Kasernen untergebrachten Mannschaften wie folgt: Ausgebildet wurde die Infanterie in Turnen, Schießen, Gewehrfechten, Exerzieren und Gefechtsdienst. Feuer und Bewegung wurden als Einzelschütze, in der Rotte und in der Gruppe geübt mit Marsch und Umgliederung. Schützenlinie, Schwärmen, Sammeln, Bewegung der Schützenlinie, sprungweises Vorgehen der Gruppe, Feuerarten, Feuerleitung, Feuerdisziplin, Tarnen sowie Gelände-, Waffenwirkungs- und Deckungsbeurteilung standen auf dem Dienstplan ebenso wie Pionierdienst. Hinzu kam die Ausbildung im Formaldient, Innendienst, Verhalten des Soldaten im und außer Dienst, Kameradschaft, Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Heeresorganisation, Kasernen- und Stubenordnung.
Eine Ausbildung im allgemeinen Sanitätsdienst gab es den oben genannten Unterlagen nach nicht, wohl aber zwei Verbandpäckchen je Mann mit ähnlicher Funktionsbeschreibung, wie ich sie in der Bundeswehr kennengelernt habe: „Nur hier anfassen, Verband nicht mit den Fingern berühren!“ (DILTHEY 1915: 267)
Angesprochen wurde die Pflicht zur Ruhe und Ordnung und Sauberkeit bei allen Bewegungen in der Kaserne und der Unterkunft. Es gab einen Stubenältesten und einen täglichen Stubendienst. Der Stubenälteste war während seines Dienstes Vorgesetzter. Für Ordnung in der Kompanie sorgten der Feldwebel und die Unteroffiziere vom Dienst, letztere wechselten täglich. Wecken war im Winter spätestens um 06:00 Uhr morgens, im Sommer um 05:00 Uhr, Zapfenstreich winters spätestens um 21:00 Uhr, sommers um 22:00 Uhr. Die Stuben umfassten regelmäßig ein Dutzend oder mehr Betten, zu zweit oder dritt übereinander.
Das Bett hatte jeder nach dem Aufstehen direkt zu machen, ein gut gemachtes Bett sei glatt und eckig wie ein Kasten. Mahlzeiten wurden auf den Stuben oder im Speisesaal eingenommen. Sobald ein Vorgesetzter die Stube betrat, hatte der, der ihn zuerst bemerkte, „Achtung“ zu rufen, worauf jeder schnell an seinen Spind zu treten hatte. Das Hinlegen auf die Betten ohne Genehmigung, das Beschmutzen oder Beschriften von Fensterbrettern, Türen, Tischen, Spinden usw. war ebenso verboten wie das Verbringen von Geräten auf andere Stuben, das Rufen und Pfeifen oder Heraushängen von Sachen aus den Fenstern. Es gabt eine Schrankordnung zur Aufbewahrung von Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken für einem verschließbaren Schrank. Diese legte fest, welche Ausrüstungsartikel an welcher Stelle des Schrankes zu liegen hatten. Vorgesetzte mussten gegrüßt und Befehle wiederholt werden. Dienst war vom Wecken morgens bis zum Zapfenstreich abends, unterbrochen von Pausen und nicht näher definierter Freizeit abends. Samstag war grundsätzlich Dienst.
Zum normalen Dienstalltag kamen häufig Wachen, Nachtausbildungen und Manöver hinzu, so dass der Dienst dann rund um die Uhr ging. Freie Abende mit Ausgang waren wohl nicht die Regel, Zapfenstreich abends wurde aber die ganzen zwei Jahre über praktiziert. Mannschaften sowie Unteroffiziere o. P. benötigten eine Heiratserlaubnis des Regimentes. Regulär gab es zwei Wochen Urlaub nach zwölf Dienstmonaten (WEHLER Bd4 2009: 105).
Die Vorgesetzten des Mannschaftsoldaten waren neben dem Hauptmann/Oberleutnant als Kompaniechef die Zugführer (Leutnante und Vizefeldwebel), der Feldwebel als Kompaniefeldwebel/Spieß, die Unteroffiziere als Gruppenführer (etwa neun Mann) beim Truppendienst bzw. Korporalschaftsführer im Innendienst (etwa 15 Mann, Schwerpunkt der Erziehung waren Ordnung und Sauberkeit) und die Stubenältesten. Diese waren Vertreter des Korporalschaftsführers und meist Gefreite. Gefreiter wurde man frühestens im zweiten Dienstjahr als Lohn für besondere Tüchtigkeit (DILTHEY 1915: 140).
Viele Elemente der Armee der Kaiserzeit sind über die Wehrmacht bis in die Bundeswehrzeit hinein erhalten geblieben. Ausbildungsunterlagen von QUECKBÖRNER (1938) betreffen leider nur die Truppenausbildung in der Allgemeinen Grundausbildung in der Wehrmacht und nicht den Innendienst. Sie umfassen eine ausführliche Gefechtsausbildung des Einzelschützen und der Gruppe in Angriff, Verteidigung und Ausweichen, Formen der Bewegung der Gruppe mit Sturm und Einbruch, Aufklärungs- und Sicherungsdienst und Dienst als Melder. Verhalten beim Marsch und Dunkelheit, Gaskampf und Gasschutz, Zusammenwirken leichter und schwerer Infanteriewaffen, Einsatz und Abwehr von Panzern, Pionierdienst, Geländenutzung für Stellung, Deckung und Bewegung, Karte/Kompass und Geländeorientierung, Entfernungsschätzen sowie Feuerkampf des MG-Trupps. Hinzu kommt ein detaillierter Zeitplan über Art der o. a. Ausbildungen bzw. der Unterrichte in Soldatenpflichten, Innendienst, Verhalten in der Öffentlichkeit, Militärrecht, Schießlehre, Kasernen -und Stubenordnung, Beschwerdeordnung. Dieser Plan ist geordnet nach didaktischer Sinnfälligkeit bezüglich Aufbaus, Reihenfolge und Häufigkeit der sich im Laufe der AGA wiederholenden Themen. In der Bundeswehr hieß das dann: „vom Kleinen zum Großen – vom Einfachen zum Schwierigen – Vormachen und Nachmachen.“ Auch hier ist also thematisch und pädagogisch Kontinuität festzustellen.
Der Soldat der Wehrmacht genoss selten Ausgang aus der Kaserne, befand sich praktisch mehr als Wochenstunden im Dienst. Hinzu kamen Wachen, Nachtausbildungen und Manöver. Die Unterbringung in Zehn-Mann-Stuben mit Ofenheizung war auch in den vielen neugebauten Kasernen üblich, die Waschräume besaßen lange, durch den Raum reichende Waschbecken. Teilweise war die Verpflegungs- oder Bekleidungssituation nur knapp ausreichend, Heinz Trenckmann schrieb am 07.12.1941, während seiner Grundausbildung, nach Hause: „Das Essen geht so eben gerade. Trocken Brot essen ist nichts Besonderes mehr.“ Auch in früheren und späteren Briefen aus der Kaserne in Hameln nach Hause bittet er mehrfach um Zusendung von Wurst bzw. Topfkuchen. Insgesamt war die Ausbildung auch deshalb hart, weil auf dem Truppenübungsplatz Fallingbostel im kalt-nassen Dezemberwetter teilweise täglich 20 oder 30 km marschiert wurde und Heinz Trenckmann froh war über eigene Wollsocken anstelle von teilweise üblichen Fußlappen. Über den 14.12.1941, einen Sonntag, schrieb er, dass sie stundenlang Zeit hätten zum Lesen und Kartenspielen und abends ins Kino wollten. Also war selbst auf einem Truppenübungsplatz sonntags dienstfrei bis zum Zapfenstreich.
In der Bundeswehr wurde und wird der Infanterist in den Themen gesetzliche Regelungen und Pflichten des Soldaten, Innendienstordnung, Wachdienst, Sport, Formalausbildung, Waffenkunde, Schießausbildung, Gefechtsdienst des Einzelschützen, der Gruppe und des Zuges mit Marsch, Beziehen eines Verfügungsraums, Verteidigung und Angriff, Verhalten bei Nacht, Umgang mit Karte und Kompass, Orientieren im Gelände, Melden, Tarnen, Täuschen, Schanzen, Leben im Felde und im Winter, Wachdienst, Nutzen von Panzerabwehrhandwaffen, Pionierdienst, Fernmeldetätigkeiten, Fliegerabwehr, Erkennen von Fahrzeugen feindlicher Staaten, Abc-Abwehr aller Truppen, Selbst- und Kameradenhilfe, Verhalten im Atomkrieg und militärische Sicherheit ausgebildet. Dabei kommt sowohl Unterricht als auch praktischer Dienst zum Einsatz (TASCHENBUCH FÜR WEHRAUSBILDUNG 1981).
Zapfenstreich war 1981 und 2010 immer noch um 22:00 Uhr und Wecken 1,5 h vor Dienstbeginn, also meist 05:30 oder 06:00 Uhr. Der UvD wechselte täglich und nahm die Stube vom Stubenältesten ab. Alle Räume im Kompanieblock waren sauber und ordentlich zu hinterlassen und pfleglich zu behandeln, das Beschriften von Toilettentüren war verboten, Rufen aus den Fenstern ebenfalls. Der verschließbare Spind und das Bett waren nach Muster herzurichten, das Ganze wurde durch Stuben- und Spindkontrollen überprüft. Dienstschluss war üblicherweise um 16:30 Uhr, danach Freizeit bis Zapfenstreich oder Ausgang bis zum Wecken. Den Zapfenstreich gab es nur in der Grundausbildung und auf Übungen: Die Woche hatte also regulär etwa 55 h Dienstzeit. Hinzu kamen Wachen, Bereitschaften, Nachtausbildungen und Übungen.
Die Stube mit Zentralheizung war regelmäßig belegt mit sechs Personen; wenn man Glück hatte, mit vier Mann. Manchmal allerdings auch Stuben mit zehn Mann und Dreifachbetten. Aufgrund der Heimschläferregelungen war es aber real dann oft eine geringere Belegung. Waschräume und Duschen waren geringfügig modernisiert worden. Kasernenrenovierungen nach 1990 führten teilweise zu durchaus komfortablen Zwei-Mann-Stuben, während es bei Übungsplatzaufenthalten weiterhin auch mal Acht- bzw. Fünfzehn-Mann-Stuben gab.
Auffällig sind die allgemeinen Ermahnungen zu Kameradschaft, Ordnung, Sauberkeit, Gehorsam und sorgfältiger Durchführung von Befehlen (BOYSEN 1912: 67 ff., DILTHEY 1915: 137 ff.) sowie für Vorgesetzte die Aufforderungen zur Vermeidung des Missbrauchs von Dienstgewalt (DILTHEY 1915: 142), unnötiger Aufregung und Hektik und die Pflicht zum vorbildlichen Verhalten in jeder Situation (DILTHEY 1915: 147 ff.). Diese im Alltag oft missachteten Ideale sind unveränderte Grundsätze deutscher Militärvorschriften bis heute. Im Vergleich zur Wehrmacht sind Themen und Ausbildungsreihenfolge nicht wesentlich verändert.
Insgesamt blieben die Regeln der Kaiserzeit grundsätzlich erhalten und wurden nur den technischen Entwicklungen angepasst. Weitgehend unverändert gestalteten sich die ersten Tagesstunden der Mannschaften: vom Brüllen des UvD morgens (wahlweise konnte zu meiner Zeit manchmal auch der eiserne Feuerlöscheimer durch den Flur geworfen werden) über möglichst langes Liegenbleiben, hektisches Aufstehen, Bettenbau, Frühstück, möglichst arbeitssparendes Stuben- und Revierreinigen bis zum Antreten und dem Dienstbeginn. Ausbildung an Waffen und Gerät, Geländeausbildung, Marsch, Reinigungsarbeiten/technischer Dienst, Formalausbildung/Exerzieren, Sport/Turnen, Innendienst oder Unterrichte füllten den Tag, unterbrochen von entsprechenden Pausen bis zum Dienstschluss. Nach 16:30 Uhr bzw. der Abendverpflegung war für Soldaten der Bundeswehr im Regelfall frei; beim Kaiser und in der Wehrmacht waren abends Innendienstaufgaben teilweise üblich, Freizeit war damals noch knapper als später. Die „Putz- und Flickstunde“ hieß schon in Kaiserzeiten so, und das Essgeschirr war immer penibel zu reinigen. Das Stuben- und Revierreinigen vor dem Zapfenstreich mit dem Abmelden der Stube („gereinigt und gelüftet“) gestaltete sich in der AGA der Bundeswehr wenig anders als zur Kaiserzeit und beendete den Tag.
Völlig unterschiedlich waren aber die Freiräume: Individualrechte und die Menge an Freizeit waren gegenüber früheren Zeiten bei der Bundeswehr sicherlich unvergleichlich besser. Allerdings war unsere Generation auch bereits liberaler sozialisiert und damit verwöhnter und anspruchsvoller; die gefühlte Belastung für uns war möglicherweise deshalb so hoch. Objektiv waren wir tatsächlich weniger hart als unsere Väter und Großväter.
Welche Motivationsfaktoren prägen das militärischen Verhaltens zwischen willigem Gehorsam, begeistertem Angreifen, reflexartigem Kämpfen, tapferem Verteidigen, treuem Dienen, widerwilliger Pflichterfüllung, grundsätzlicher Loyalität, resigniertem Mitmachen, frühzeitigem in Deckung gehen, Gefahren vermeiden, „Abseilen/Verpissen“, Verschweigen relevanter Informationen, der Abgabe unwahrer dienstlicher Meldungen, Fahnenflucht, Plünderungen, Gräueltaten und Mord? Und wie beeinflusst dies das Zivilleben und umgekehrt? Das komplexe Flechtwerk der sich gegenseitig bedingenden oder sich behindernden Faktoren soll hier aufgelöst werden. Ungeklärt bleibt die Frage nach dem Gewicht jener Anteile, die durch Sozialisation, Erziehung sowie genetisch geprägt werden.
Die Leistungswilligkeit („Moral der Truppe“ in der Gruppe oder Motivation beim Einzelnen) ist neben der physisch-technischen Leistungsfähigkeit (körperlicher Zustand, Ausbildung, Ausrüstung) eine der Komponenten der personellen Einsatzfähigkeit, beide Kategorien zerfallen jeweils in eine Vielzahl von Einzelaspekte.
Die materielle Leistungsfähigkeit wird hier weitgehend unbeachtet gelassen, ist aber mit ihren physischen, technischen und finanziellen Abhängigkeiten ein entscheidender Faktor: Nicht nur im klassischen Verteidigungskrieg ist die nachhaltige Versorgung mit physischen Ressourcen wie Verpflegung, Waffen und Waffensystemen, Munition, Personalersatz, Ausrüstung der Soldaten (Kleidung, Unterbringung und Schutzmittel), Aufklärungs-, Instandsetzungs-, Transportmittel, allgemeine Reparatur- und Baumaterial, Finanzen und Rohstoffe, Infrastruktur und sonstige wirtschaftliche Güter existenziell.
Im Zentrum dieses Kapitels steht die mentale Leistungswilligkeit: Individuelle oder gruppenspezifische Leistungswilligkeit zu erzeugen kann leicht oder schwierig sein und ist multifaktoriell. Um sich aus dem Zivilleben heraus in den Militärdienst oder später sogar in ein Gefecht mit ungewissem Ausgang zu begeben, bedarf es einer gewissen Motivation.
Durch Zwang erzeugte, negativ begründete Motivation als Angst ist bei entsprechendem Druck innerhalb von Minuten oder Stunden herstellbar und funktioniert umso besser, je mehr der Proband negativ motiviert sozialisiert wurde. Im Folgenden wird nicht zwischen den Begriffen „Angst“ und „Furcht“ unterschieden, beides für identisch erklärt.
Auf Freiwilligkeit und Überzeugung beruhende positive Motivation ist das Gegenstück dazu: Auf Einzelleistungen oder eine Gruppe wirkende Motivation bedarf gewisser Basisfaktoren (Befriedigung diverser Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wärme, Ausrüstung, Anerkennung) und kann je nach Lage des Betroffenen spontan entstehen oder in Tagen oder Wochen aufgebaut werden. Positive Motivation zu zerstören kann schneller gehen: Frustration, Erkenntnis der Sinnlosigkeit oder auch Hunger, Durst, Kälte und Entbehrungen als Faktoren der elementaren, physischen Bedürfnispyramide nach Maslow sind sehr häufig Hintergrund einer intensiven, möglicherweise sehr schnelle Verminderung von Leistungswilligkeit. Endpunkte zerstörter Motivation sind Desertion und Selbstmord.
Durch das Militärsystem negativ begründete Motivation war und ist üblicherweise hauptausschlaggebend für die Ableistung der Wehrpflicht. Angesichts der existenziellen Gefahren des Kriegsdienstes bzw. der Unannehmlichkeiten des Wehrdienstes im Frieden ist klar, dass für die Masse der Mannschaftssoldaten allein staatliche Zwangsmaßnahmen entscheidend waren, sich diesem Dienst nicht zu entziehen. Gemäß dem Motto „Die Strafe bei Flucht ist absehbar, beim Militär wird es hoffentlich nicht so schlimm“ wurde abgewogen, welcher Weg zu beschreiten war: Je nach Zeitalter lauteten die Alternativen zum Dienst an der Waffe in Deutschland Körperstrafen, Gefängnis, Todesstrafe, Ableistung von Ersatzdienst, Arrest bei den Feldjägern, Flucht ins Ausland oder Umzug nach Berlin. Ohne das Wissen um staatliche Machtmöglichkeiten hätten sich die wenigsten jungen Männer in die Gefahren und die schlechte Behandlung des wehrpflichtigen Mannschaftssoldaten weder beim Kaiser oder in der Wehrmacht noch in der Bundeswehr begeben.
Die Angst vor Einteilung zu besonders gefährlichen Einsätzen, die Androhung und der Vollzug der Todesstrafe bei Feigheit oder Fahnenflucht, Prügel- oder andere körperliche Strafen wie Spießrutenlauf, Dunkelhaft oder „Kielholen“ in den alten Armeen waren funktionstüchtige Zwangsmittel, die junge Männer im Kriege in den Dienst pressten, die Soldaten „bei der Fahne hielten“ und negativ begründet motivierten.
In der Bundeswehr zog man Konsequenzen aus den geschichtlichen Erfahrungen und schwächte Machtmöglichkeiten der Vorgesetzten massiv ab bzw. verstärkte die Beschwerderechte des Soldaten. Gleichwohl – weil ein Militär ohne Zwangsmaßnahmen vermutlich grundsätzlich nicht funktioniert – schuf man auch in der Bundeswehr die „erzieherischen Maßnahmen“ (einfache, zusätzliche und besondere), die Disziplinarmaßnahmen (Geldbuße bis Arrest) sowie die anderen Maßnahmen des Wehrstrafrechts und des Soldatengesetzes (Geld- oder Freiheitsstrafe, Verlust des Dienstgrades). Dabei wird sich eines Euphemismus bedient: die Furcht vor Sanktionen wird nicht als Strafe bezeichnet, sondern als erzieherische oder disziplinare Maßnahme. Dabei bewirkt ja nicht die Strafe selbst die gewünschte Verhaltensänderung, sondern die Angst im Vorfeld vor jener Strafe oder weiteren Nachteilen. Nicht das „Absitzen“ eines zusätzlichen Wochenenddienstes bewirkt in der Woche danach besseres Verhalten, sondern die Angst vor einem erneuten Wochenenddienst.
Dabei muss die Furcht vor Strafe hier erläutert werden: Jede Form
wirken einschüchternd, verängstigend, hierarchisch niederdrückend, entwürdigend. Die Angst oder die Sorge davor ist in der Wirkung gleichzusetzen mit Bestrafung. Eine Bestrafung selbst oder die Angst vor Bestrafung entfaltet bezüglich der Verhaltensänderung im Vorfeld die gleiche Wirkung: Der potenzielle Delinquent versucht aus dieser Sorge heraus alles richtig zu machen, gleichzeitig hält ihn diese Angst klein, mutlos, angepasst, was ja auch das Ziel solcher Handlungsweisen durch Vorgesetzte ist. Die Fehlerkultur in der Armee ist nicht nur bestimmt vom Ziel, aus Fehlern zu lernen und sie zukünftig zu vermeiden, sondern verfolgt oft auch das Nebenziel, eine fehlerhafte Person so zu maßregeln, dass sie insgesamt angepasster, kleiner, für das System geschmeidiger wird.
Der Soldat steht also unter permanentem Druck, empfindet ständig die Furcht vor potenzieller Bestrafung. WETTE (1992: 382ff, 395) gibt dafür plastische Beispiele.
Die Überregulierung des Dienstalltages macht es praktisch unmöglich, dass der Soldat alles „richtig“ macht, nahezu jederzeit lässt sich etwas finden, das bei kritischer Sichtweise als „ungenügende Leistung“ angesehen werden kann. Dies wissen sowohl Vorgesetzte als auch Mannschaften. In der Praxis ist es daher selten möglich, einen „angstfreien Raum“ zu schaffen. Grundsätzlich formuliert heißt es: „Jedes Wehrsystem hat eine Art Überhäufung mit formalisierten, kaum ständig einhaltbarer Verhaltensvorschriften und bringt den Soldaten in den ‚Zustand ständiger Kritisierbarkeit‘. Damit ist dem Vorgesetzten jederzeit ermöglicht, wahlweise konstruktiven oder destruktiven Einfluss auf den Einzelnen oder die Gruppe zu nehmen.“ (ELBE/BIEL/STEINBRECHER 2021: 109) Plastisch erkannte dies Heinz Trenckmann im Brief vom 30.10.1941 nach Hause: „ (…) da die Unteroffiziere doch immer meckern, ob es gut ist oder nicht“. Und ich schrieb nach Ankunft in der Stammeinheit im Oktober 1981: „Das kann heiter werden, wenn unsere Schonfrist vorbei ist. Jede Einzelheit an sich, die er verlangt, sei es Spind-Ordnung oder Pünktlichkeit auf die Minute, ist keine allzu große Sache. Aber auf all diese Dinge zu achten, nirgends anzuecken, das erfordert eine unheimliche Anstrengung und Konzentration. Ich komme mir vor wie in einer ganz engen Röhre, ich muss da durch und die Wände sind bestückt mit Rasierklingen. Jede Unkonzentriertheit kostet etwas Lebenskraft. Man ist fertig nach jedem Tag, auch wenn man nicht aneckte, alle Energie ist weg. Es ist nicht körperlich so anstrengend, die seelische Belastung frisst einen auf, dieses sich ohne Freiraum geknebelt fühlen.“
Ein weiterer möglicher Effekt von Angst ist nach Ausführungen von EIBL EIBESFELD (1971: 191) zu nennen: Verunsichert und ängstlich im drückenden Alltag sucht der Mensch nach einem Bereich der Sicherheit, einem Raum mit geringerem Druck. Diesen findet der Soldat dort (Stube, Kameraden, Organisationsregeln, technische Abläufe, besondere Vorgesetzte), wo er sein Verhalten gesteuert einrichten kann auf eine Ordnung, die er abschätzen und vorhersagen kann. Dort erreicht der Mensch ein Maß an Sicherheit, welche gegenüber der vorherigen Verunsicherung eine akute Verbesserung des Lebensgefühls darstellt. Eine druckhafte Umwelt erzeugt in ihrem Ordnungsraum erfolgreich eine „freiwillige Angepasstheit“, ggf. sogar eine „Unterwürfigkeit des Betroffenen“.
Natürlich lernt der Soldat, mit dieser Angst vor Strafe zu leben, und es gibt genügend Beispiele von „abgebrühten Typen“, die sich dem widersetzten und Konsequenzen gelassen ertrugen.
Im Tagesbetrieb, das kommende Wochenende nicht aufs Spiel setzten wollend, „parierten“ die Soldaten jedoch im latenten Gefühl der Furcht. In COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER (1994: 105) wird von einer Bw-Untersuchung aus dem Jahre 1983 berichtet, nach der nur bei einem Drittel der Mannschaftssoldaten beim Gehorsam „Vertrauen in den Vorgesetzten“ eine große Bedeutung spielte. 80 % antworteten, sie würden ihrem Vorgesetzten in erster Linie deswegen gehorchen, weil sie sonst persönliche Nachteile fürchten müssten. Das Thema Angst vor Strafe zog sich wie ein roter Faden durch die Antworten der Mannschaften. So meinten 84,9 %, viele Vorgesetzte könnten sich nur behaupten, weil sie immer wieder mit Strafen drohen würden. 74 % stellten fest, auf Klagen und Beschwerden würden die Vorgesetzten mit Unverständnis reagieren. 86,5 % bezeichneten die Aussage, „Den Soldaten, die sagen oder denken, was ihnen einfällt, wird das Leben schwer gemacht“ als mindestens teilweise zutreffend.
Dieses ist m. E. kein Widerspruch zu anderen Umfragen, nach denen den Unteroffizieren und Offizieren zu etwa 70 bis 90 % Vertrauen in die fachlichen Fähigkeiten bzw. menschlichen Qualitäten attestiert wurde (ebenfalls COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER 1994: 102ff).
Es ist allerding hier noch ein zweiter, ungleich brisanterer Angstbereich zu nennen: Todesangst im Kriege und als Vorstufe dazu die Sorge um das heile Überleben im Alltag: Konkret wird jeder, der in der Natur längere Zeit zugebracht hat, nachvollziehen können, dass tägliche Sorge um alltägliche Gesundheitsgefahren (Hygiene, Nahrung, kleine Verletzungen, kleine Unfälle) und Sorge um die angepasste Kleidung und passendes Schuhwerk in Sommer und Winter, bei Regen und Marsch verhaltensbestimmend werden. Hier können kleine Unpässlichkeiten zum eigenen Ende führen. Die daraus entstehende Motivation ist dem Soldaten allgegenwärtig.
In echten oder empfundenen Verteidigungssituationen verspürten die Menschen schon immer eine positiv begründete Motivation, ebenso beim Rauben und Beutemachen oder anderen gewinnbringenden Gewaltzügen. Im Folgenden sollen die Mechanismen und die rationalen und emotionalen Faktoren positiv begründeter intrinsischer und extrinsischer Motivation im Fokus stehen. Dabei hält TRESCH (2005: 195) fest, dass für heutige Soldaten extrinsische Motivation überwiegend ausschlaggebend sei.
Heerführer und höhere Vorgesetzte waren seit Langem systemimmanent positiv in- und extrinsisch motiviert. Die Notwendigkeit zur Förderung der freiwilligen Motivation eines Feldwebels, Unteroffiziers oder Mannschaftssoldaten kam erst in der napoleonischen Zeit auf: Mit der Abkehr von der geordneten Lineartaktik hin zu aufgelockerten, in unübersichtlich strukturiertem Gelände oft eigenständig kämpfenden, durch weitreichende Waffen mit großer Breitenwirkung gefährdete Einheiten von Kompaniestärke bis hin zum Trupp war eine zentrale Führung kaum mehr möglich. Unterführer mussten motiviert entscheiden und führen. Das galt auch für den als Einzelschützen auftretenden Tirailleur oder Vorgänger des Scharfschützen, den Jäger. Moderne Maschinenwaffen erzwangen sehr schnell, dass der Zug- oder Gruppenführer, angewiesen auf die Meldungen der Unterführer und Mannschaften, situativ nicht führen konnte. Eigeninitiative der einfachen Soldaten war erforderlich. Die Komplexität und die Technisierung des Gefechtsfeldes veränderten die Gruppendynamik der Truppe; die alten Führungsmuster hatten ausgedient, der mitdenkende Soldat und positive soziale Beziehungen waren für das Kampfgeschehen wichtig geworden (KARST/BEERMANN/GROSSE 1954: 123ff).
Motivation kann durch materielle und immaterielle Werte erzeugt werden, automatisierte Denk- und Handlungsroutinen wirken unterstützend. Bei der Motivation des Soldaten ist sicher auch zu unterscheiden, ob es sich über die Motivation zu Ableistung des „friedlichen“ Wehrdienstes handelt mit der Bereitschaft, Unannehmlichkeiten zu ertragen, oder ob es ungleich dramatischer um Motivation im Rahmen eines Krieges geht. Die Faktoren sind zwar grundsätzlich die gleichen, ihre Gewichtung ist aber aufgrund der unvergleichlichen Bedrohungslage extrem unterschiedlich. Dienst im Auslandseinsatz ist noch völlig anders zu betrachten, weil die Motivationsfaktoren wieder anders liegen als beim Kriegs- und Wehrdienst im Sinne des „Heimatschutzes“. Verhaltensanforderungen im Sinne kultureller Empathie oder UNO-Anforderungen verkomplizieren den Dienst massiv.
Motivation geht grundsätzlich einher mit Vertrauen und Hoffnung: In sich selbst, in das Leben, in das Glück. Auf Motivationsunterschiede zwischen männlichen, weiblichen oder diversen Soldaten soll hier nicht eingegangen werden.
Vorab beschrieben sei jedoch der archaische und durchaus zivile Effekt, dass Menschen Freude empfinden, sich in Gruppen anzugleichen und z. B. einheitliche Bewegungen auszuführen, durch die sich Motivation auf der unterbewussten Ebene aufbaut: „Der Fachausdruck für diesen Vorgang ist ‚Phasenangleichung‘, die synchrone Ausführung einer Bewegung oder Aktivität durch eine Reihe von Einzelnen. Menschen suchen Phasenangleichung auch freiwillig, wenn sie beispielsweise im Kreis oder in der Reihe tanzen, an Umzügen teilnehmen oder in geschlossener Formation marschieren, als Zuschauer beim Sport Schlachtrufe skandieren oder Bewegungen wie ‚La Ola‘ synchronisieren (…) Phasenangleichung kann aber, ob freiwillig oder auf dem Kasernenhof, ein höchst befriedigendes und oft auch erhebendes Erlebnis der ‚Entgrenzung‘ bedeuten, welches in extremer Form zur ekstatischen Trance führt. McNeill vermutet, dass wir durch solche Formen von ‚Muskelbindung‘ einen Blick in die längst verlorene Urgemeinschaft der prähistorischen menschlichen Gruppe erhaschen.“ (EHRENREICH 1997: 224).
Grundsätzlich werden alle Faktoren einander bedingen, und zu welchem Zeitpunkt welche Faktoren überwiegen, ist hoch komplex, in jedem Menschen und situativ unterschiedlich und im Einzelfall kaum zu klären.
Verschiedene Einteilungen und Systematiken für Motivationsfaktoren sind möglich; normalerweise stammen diese aus dem zivilen Bereich: Sportler treten im internationalen und lokalen Wettkampf gegeneinander an genauso wie Kaninchenzüchtervereine untereinander. Chöre und Laientheatergruppen suchen nach öffentlichen Auftritten, in Kindergärten und Schule werden die schönsten Bilder oder Kunstwerke ausgestellt und Jahrgangsbeste werden prämiert. Hinter all diesen Handlungen stehen neben der Suche nach Herausforderungen (im Sinne von Abenteuer/Erlebnis) und sozialer Anerkennung verschiedene andere Motivationen. Das Gewicht des Faktors Anerkennung/Prestige können wir ermessen, wenn wir sehen, welche finanziellen Anstrengungen bei Autos, Bauwerken und Medienkampagnen unternommen werden. Und schon Goethe lässt Faust im Schlussmonolog sprechen “Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Aeonen untergehn“ als archaische Sehnsucht des Menschen nach „quasi unsterblicher“ Anerkennung der eigenen Taten. Diese Sehnsucht ist bei fast allen Kulturen zu finden und nicht rein westlich geprägt. Anerkennung als Motiv für enorme Aufwendungen einzelner oder ganzer Gemeinschaften von Eingeborenen im Amazonasgebiet, die damals noch in geringem Kontakt mit der modernen Welt lebten, weist schon EIBL EIBESFELD (1970: 233f) nach.
Und wo schließlich ist der Übergang vom friedlichen Gesangswettbewerb zum aggressiven Verhalten? Warum kommt es beim enthemmenden Feierabendbier zu verbalen Auseinandersetzungen, zu Armdrücken oder Fingerhakeln und möglicherweise zur Wirtshausschlägerei?
Die Motivation des potenziellen (vor dem Einberufungstermin) oder tatsächlichen Soldaten ist komplex und wird in der Literatur nicht einheitlich dargestellt bzw. in den Komponenten unterschiedlich gewichtet. Neben rationalen und emotionalen, anerzogenen sowie archaischen und modernen Mechanismen ist zu unterscheiden, ob über Faktoren gesprochen wird, die typischerweise erst innerhalb der Militärorganisation auftreten können, oder über Faktoren, die schon vor Aufnahme des Militärdienstes zivilgesellschaftlich wirken und so eine Rekrutierung vereinfachen. Um solche Grundsätzlichkeiten wissend, führte das Institut für angewandte Psychologie in Klein Glienicke bei Potsdam schon in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs eine Umfrage unter ausziehenden Soldaten über deren Motive durch:
„Wenn Sie als Kriegsfreiwilliger eintreten: Motive der Meldung (Vaterlandsliebe, Mut, Abenteuerlust, Draufgängertum, Ehrgeiz, Scham, Hass, Freundschaft). Waren Widerstände zu überwinden?“ (WETTE 1992: 113) Die Ergebnisse sind leider nicht bekannt.
Völkische Gesinnung oder das Empfinden eines gerechtfertigten Verteidigungskrieges oder Bereicherungs- oder Machtabsichten sind die üblichsten rationale Motivationsfaktoren und sind oft Basis für eine hohe Wehrmotivation. Gegenteilig dazu wirkt der körperliche Effekt, dass mit steigender Eskalation die emotionalen Faktoren eine wachsende Bedeutung erhalten, dass der Mensch in Zeiten des Wohlergehens zwar grundsätzlich zweckrational agieren kann, mit zunehmend körperlichem Druck aber die körperliche Befindlichkeit und die daraus entstehenden Gefühlslagen wichtiger werden. Rationale Überlegungen verlieren in akuter Lebensgefahr an Gewicht. Im Kampf, unter Todesangst, wird der Mensch zunehmend reflexhaft und anscheinend irrational, er wird seine Tatkraft nicht aus klugen Gedanken ziehen, sondern aus dem Unterbewussten seiner Überzeugungen. Die „Moral einer Truppe“ hängt im Wesentlichen ab von der emotionalen Konstitution, die im Zeitverlauf aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten entstanden ist und einer ständigen Fortentwicklung unterliegt.
Die im Folgenden benannten Faktoren sind weder vollständig noch erschöpfend behandelt. Viele Faktoren sind eng mit anderen verknüpft oder haben ähnliche oder gleiche Quellen, aus denen sie sich speisen oder in denen sie untrennbar verquickt sind. Sie wirken von außen auf den Betroffenen oder aber auch still im Inneren, ohne besprochen zu werden. Gleichwohl halte ich es für sinnvoll, die benannten Faktoren voneinander abgrenzt zu werden.
Auch im Zivilleben bei Sport und Gedenktagen wird Nationalgefühl/Patriotismus beschworen. Ohne hier detailliert auf die soziologischen Effekte der Gruppendynamik und die Prägung von Massenbewegungen eingehen zu wollen, entsteht nach Ehrenreich „der Nationalstaat nicht als statische Gemeinschaft, sondern als in der ‚Zeit existierend gedacht‘. Der Nationalstaat hat eine Vergangenheit und ist ohne sie nichts. (…) Die Nation ist also ein Verbindungsglied zu den ruhmreichen Taten, die andere vor langer Zeit vollbrachten. Eine Nation stellt sich als Ahnenreihe dar, in die sich jeder eingliedern kann. Durch die Demokratisierung des Ruhms dieser Nation ist jeder Bürger aufgerufen, sich als Angehöriger eines edlen Geschlechts zu verstehen. (…) Das Hochgefühl, das jeder Patriot beim Anblick der Nationalflagge empfinden kann, ist der Stolz auf die gedachte Ahnenreihe, die jetzt alle Bürger gemeinsam haben (…) es kommt zu einer Statuserhöhung des ganz normalen Menschen (…) Wenn die Nation unsterblich und er selbst ein Teil von ihr ist, hat er an dieser Unsterblichkeit teil, wenn er sein Leben im Kampf für die Nation verliert.“ (EHRENREICH 1997: 242ff)
Im Nationalismus wird die eigene Nation überhöht und andere Völker erniedrigt. ihre Kultur, Bildung und Körperlichkeit werden geschmäht, es wird von minderwertigem Blut oder gesellschaftlicher Primitivität schwadroniert. So kann eigenes Pflichtgefühl und heldenhafte Opferbereitschaft verherrlicht werden im Dienst an der höheren Kultur. Der Dienst an der Nation kann so zu etwas Heiligem werden, der Soldat den Krieg als etwas „Erhebendes, Erhabenes“ im Vergleich zur Banalität des normalen Lebens empfinden (EHRENREICH 1997: 246). Diese Unsterblichkeit und das heilige Opfer wurden insbesondere im Dritten Reich kultiviert.
Ehre, Rache oder z. B. die Wiedergutmachung für die Demütigung der Väter im Ersten WK hängen mit diesem Nationalismus eng zusammen. Um diese Effekte wissend, wurden und werden notfalls auch Kriege von Staatslenkern vom Zaun gebrochen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und die eigene Machtposition zu sichern (EHRENREICH 1997: 270). Putin und Netanjahu sind anschauliche Beispiele dafür.
Hierbei ist die Wirkung der Sozialisation auf die nationalistische Gesinnung nicht zu vernachlässigen. Ein im revolutionären Milieu sozialisierter Mensch, der bestehende staatliche Organe ablehnt, wird im Regelfalle anders ansprechbar sein als jemand, der im bürgerlich-disziplinierten Milieu einer konservativ-feudalen Gesellschaft aufgewachsen ist. Kruse unterscheidet für den Ersten Weltkrieg zwischen den stimmungsbildenden Faktoren der Ober- und der Unterschicht. Während im gebildeten Milieu Heroisches, Vaterländisches, Tugendhaftes für längere Zeit bestimmend war und der Gedanken des Sozialdarwinismus Zustimmung fand, wird für die Arbeiter und insbesondere für Bauern eine resignierende Akzeptanz der Verhältnisse beschrieben, eine „passive Einstellung zum Krieg“, ein „selbstverständliches Pflichtgefühl“, das sich letztlich darin äußerte, die eigene Situation alternativlos zu sehen. Man kämpfte ums eigene Überleben und auf eine Weise, mit der man sich nicht unnötig in Gefahr brachte. Man arrangierte sich innerlich, auch wenn man den Krieg und die Kriegsziele, die politische Situation, die Ungerechtigkeit des Alltags und Kriegstreiberei und Kriegsgewinnler ablehnte. Es zählte die Hoffnung auf Rückkehr zu Familie, Hof und Beruf (KRUSE 1997: 140ff).
Die Sorge um den Schutz der nächsten Angehörigen ist wohl ein archaisches Element des Menschen und hat nach EIBL EIBESFELD (1979: 271) seinen Ursprung im Brutpflegeverhalten von Vögeln und Säugern. So kann die Sorge um die Familie zwar lähmend sein, häufig ist sie aber massiv motivationsstiftend: Morde, Plünderungen und Vergewaltigungen durch den Sieger gegenüber dem Besiegten sind ewige Charakteristika des Krieges; die Völker wissen um diese Folgen für die Unterlegenen. Aus dem Ersten WK ist ein französisches Soldatengedicht bekannt, das seine emotionalisierende Wirkung nicht verfehlt haben wird:
„Deutsche, wir werden eure Töchter besitzen!
Sie werden das Gedenken bewahren
an unsere Umarmungen und unsere Liebe;
Wie Eva nackt werden sie unsere Lust stillen –
wenn sie für euch schlägt, die Stunde der Züchtigung.“
(KRUSE 1997: 189)
Aber auch die Wirkmächtigkeit einer „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ von Winston Churchill am 13.05.1940 gehört hierher: Geschickt gewählte Worte mobilisieren den einzelnen und eine ganze Gesellschaft im Sinne eines „Wir müssen alles zum Schutz unserer Familien und unserer Gemeinschaft tun“.
Die Wichtigkeit der emotionalen Bindung lässt sich in der Feldpost von Heinz Trenckmann erkennen, der meist zweimal in der Woche nach Hause schrieb, sich regelmäßig nach Einzelheiten der Familie und des landwirtschaftlichen Tuns erkundigte und betonte, wie gerne er jetzt bei der Familie und zu Hause wäre. Wichtig war ihm, dass sich seine Eltern keine Sorgen machten: Es gehe ihm gut. Im letzten erhaltenen Brief vom 17.01.1945 schrieb er: „Liebe Mutti, hurra, ihr Guten, heute bekam ich 3 Briefe auf einmal! Vom 30., vom 3. und vom 9., gestern Abend kam der Regimentsmelder noch und brachte sie. Hab vielen Dank, die Freude war diesmal besonders groß. Obwohl es noch nicht wieder an der Zeit ist, drängt es mich doch gleich zu schreiben. Nun gibt es also doch allerhand Neues von zuhause zu berichten? Jetzt möchte ich doch tatsächlich schnell mal rüber kommen zu Euch. Es wurde ja auch richtig mal Zeit, dass ein paar anständige Pferde nach Wendhausen kommen, gebt sie bloß nicht so schnell wieder her! In meinem Urlaub möchte ich sie doch reiten (…)“ Der Brief endet mit: „Grüß Vati bitte vielmals und sei du, liebe Mutti, selbst recht herzlich gegrüßt, Dein Heinz“. Und in seinen Erinnerungen an die Gefangenschaft schrieb er 2003: „Wer nicht an Heiligabend arbeiten musste, lag auf seinem Bett und dachte an zu Hause, die anderen saßen auf den Bettkanten und erzählten, wie es war, als sie noch zu Hause waren.“
Ohne Familie zu sein bedeutet aber manchmal auch Energieverlust, weil Energie für eine Selbsttröstung oder die Suche nach emotionaler Wärme verbraucht und das Funktionieren in einer Rolle damit erschwert wird. Das Wissen darum, „geliebt zu werden“, ermöglicht das Freisetzen aller Energien für eine externe Aufgabe, denn Energie für das „Suchen“ nach menschlicher Wärme ist dann nur begrenzt nötig; man kann sich auf die gestellten Aufgaben konzentrieren, die eigenen Motivationsfaktoren können vollständig wirksam werden.
Für den Soldaten in seiner kasernierten Welt, insbesondere für den jungen Wehrpflichtigen, stellt seine Familie oder eine Partnerin zu Hause eine „emotionale Sicherheitsgarantie“ dar, die ihm Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen schenkt. Es bleibt mir in besonderer Erinnerung, als in den ersten Wochen der Grundausbildung nach und nach gefühlt die Hälfte meiner Kameraden die Trennung von ihrer Partnerin mitmachen musste; ich schon in der dritten Woche: Die Beziehung hielt die räumliche Trennung, meine Reizüberflutung und die mentale Vereinnahmung durch die Bundeswehr in Verbindung damit, dass meine Freundin mich lieber als Kriegsdienstverweigerer gesehen hätte, nicht aus. Damit wurde das Leben noch kälter, ärmer, belasteter, schwieriger und ich verlor meine positiv begründete Motivation fast völlig. Denn anstelle von emotionaler Wärme, Erholung und Entspannung wurden jetzt Lebensenergie und -kraft zusätzlich am Wochenende verbraucht auf der Suche nach emotionaler Wärme.
Beifall durch die öffentliche Meinung, eine gesellschaftliche Anerkennung, die Anerkennung in der Gruppe oder Familie beflügelt viele Menschen. Die Steigerung des Selbstwertgefühls ist vielen Menschen wichtig und oft ist sie Triebfeder einer besonderen Leistungswilligkeit zum Ertragen von Lasten. Sie ist eine der wichtigsten Triebfedern für das Karrierestreben. Die massenhaften Freiwilligenmeldungen 1914 werden auf den aus diesem Zusammenhang entstehenden sozialen Druck geschoben. Anerkennung pflegt natürlicherweise eine enge Verbindung zu Stolz und Ehre.
In COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER (1994: 94) wird aus einer Untersuchung des SowiBw mit Wehrdienstleistenden aus Ost und West berichtet, nach der im Jahr 1993 25 bis 32 % der Befragten der Aussage „zustimmen“ oder „teilweise zustimmen“, „Militär ist etwas, was man als Mann erlebt haben muss“, quasi als Teil einer männlichen Allgemeinbildung. Es ist zu vermuten, dass, wenn 1993 dieses Denken noch bei mehr als einem Viertel der Wehrdienstleitenden verbreitet war, es erst recht in der Kaiserzeit und im Dritten Reich meinungsprägend war.
Militärisch besonders relevant ist die Suche nach ziviler Anerkennung insbesondere für die Rekrutierung bei Eliteverbänden, zur Karrierebereitschaft von Vorgesetzten und bei der Bereitschaft zur Erledigung gefährlicher Aufträge. (BIGLER 1963: 151)
Allgemein bekannt ist der jugendliche Wunsch, die eigene Persönlichkeit gegenüber der Familie, Freunden, Kameraden und der Gesellschaft unter Beweis zu stellen und damit endlich als Teil der Erwachsenenwelt anerkannt zu werden. (WARBURG 2008: 226)
Militärischen Heldentaten haben seit Urzeiten den Rang des Betroffenen in der sozialen Hierarchie nach oben katapultiert. Alexander der Große war ein Held, nicht weil er König war, sondern weil er ein Weltreich eroberte. Blücher, Moltke, Rommel und andere wurden öffentlich gerühmt und weltbekannt. Auf weit geringerem Level verblieben all die öffentlich unbekannt gebliebenen, jedoch in ihrem unmittelbaren Kameraden- oder Bekanntenkreis als „Helden“ gehandelten Soldaten: Gleichwohl wird sich ihr eigenes Selbstwertgefühl deutlich gehoben haben und noch viel mehr wünschten sich, wenigstens als kleiner Held gefeiert zu werden, wenigstens kurz im Rampenlicht zu stehen. Das innere Belohnungssystem des Menschen wird angesprochen, Motivation wächst im Glauben: „Ich kann es auch schaffen“
Die Verleihung von Orden oder Ehrenzeichen sowie die aufgrund der Dienstgradabzeichen an der Uniform für jeden Zivilisten sichtbare Beförderung sind daher oft hinreichende Gründe für zumindest eine temporäre Steigerung der Motivation. Insbesondere besaßen jene Orden einen hohen Motivationswert, die neben der militärischen Anerkennung eine hohe Bekanntheit und Reputation im zivilen Bereich entfalteten wie das Eiserne Kreuz oder das Ritterkreuz. Die besondere Rolle schon der Uniform als Beitrag zu Selbstwertgefühl und Motivation des Soldaten führt BIGLER (1963: 158ff) am Beispiel der Schweiz 1961 aus: „Die Uniform ist mehr als Körperschutz, sie hat (…) soziale Bedeutung und ihre Faszination (…) wirkt nicht nur auf den Beschauer, sondern strahlt verstärkt auf den Träger zurück.“ Vielleicht etwas naiv schrieb ich im Januar 1982: „Ich bin froh, endlich auch was auf der Schulter zu haben, nicht mehr als Schütze Arsch rumzulaufen, bin stolz auf Anerkennung und wer zu sein.“ Vermutlich werden es die wenigsten Soldaten offen zugeben wollen, aber natürlich können Orden und Beförderungen als „Ego-Shooter“ wirken.
Weiterhin kommt es durch einheitliche Uniform und für den Mannschaftssoldaten erreichbare Orden und Ehrenzeichen zu einer „Demokratisierung des Ruhms“: „Am Kriegsruhm teil zu haben, an der Anerkennung und den greifbaren Ehrenzeichen, die früher nur tapfere Mitglieder der adligen Kriegerelite einhalten konnten, ist eine späte Erscheinung: Erst in den amerikanischen und den französischen Revolutionsarmeen mit den einfachen Soldaten, die als Bürgersoldat das offizielle Kriegsziel als ihr zutiefst eigenes Ziel betrachtenden und die z. T. ohne Vorgesetzte selbständig agierten, wurden Orden und Ehrenzeichen wie Ärmelstreifen und Medaillen erstmals auch an einfache Soldaten verliehen.“ (EHRENREICH 1997: 232)
Bekannt ist die Wirkung einer zivil als völlig normal empfundenen Leidenschaft für „technische Wunderwerke“ im Rahmen der Zivilberufswahl. Es ist z. B. nahezu unvorstellbar, dass jemand ohne jede Technikbegeisterung oder wenigstens Technikinteresse Elektrotechniker werden wollte. Waffenbegeisterung ist sicher seltener, kommt aber als „Faszination“ doch häufiger vor. Typischerweise ausgenutzt wurden diese Gefühle in der vormilitärischen Ausbildung von Jugendlichen in Hitlerjugend und der GST der DDR.
Allgemein üben Waffen vielleicht keine Begeisterung, jedoch eine Faszination aus, weil sie verbunden sind mit der Potenzierung der eigenen Macht: Mit ihnen kann ich mir die große oder kleine Welt untertan machen, meine eigene Macht vervielfachen. Schon kleine Jungs können sich der Illusion hingeben, mit dem Holzschwert in der Hand stark zu sein und Macht über andere auszuüben. Primitive Machtgelüste und die Wirkung als Ego-Shooter sind dann leider auch bei Jugendlichen und Erwachsenen doch häufig, wie m. E. die „Ballerspiele“ am Computer mit mächtigen Waffen und eigenschaftsoptimierten Avataren beweisen. Und es gibt eine „Begeisterung und Euphorie“ bezüglich militärischer Handlungen und Möglichkeiten in Form von übersteigertem Interesse und Freude an Waffen. In Amerika ist die Vernarrtheit in Waffen sprichwörtlich und mit dem primitiven Glauben verbunden, damit die eigene Familie vor den Gefahren der Welt schützen zu können.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP oder Anton Hofreiter von den Grünen waren nach dem Angriff Russlands auf die Gesamtukraine belegtes Beispiel für einen „emotionalen Umgang mit den Möglichkeiten des Militärs“. Ihrem Tonfall und Duktus merkte man die Emotionalität des neuentdeckten Glaubens an militärische Möglichkeiten an.
Nach MCNEILL (1984: 226) gibt es auch den Aspekt einer Freude am Ritual und an der Routine, die das Leben in klaren Strukturen mit begrenzter Verantwortung für den Einzelnen gliedert und dem eigenen Leben Sicherheit und einen berechenbaren Lebensweg vorzeichnet. Personen mit dieser Veranlagung finden neben dem Finanziellen zumindest im Friedensdienst Befriedigung in langfristig vorhersehbaren Abläufen des Berufslebens zwischen Kasernendienst und Übungsplatz.
Diese Faktoren sind sehr starke Motivationstreiber: Es gibt unendliche Formen jugendlichen Dranges und Leichtsinns, gefährliche oder aufregende Dinge zu tun. Ob es sich nun um Fahrradkunststücke handelt oder den lebensgefährlichen Wingsuit-Flug, das Bungee-Jumping, das „S-Bahn-Surfen“ oder das vor Corona beliebte „Work and Travel“ nach Australien: Rationale Argumente für solche Tätigkeiten lassen sich auch immer finden, überwiegende Triebfeder für junge Menschen ist aber sicher der „Drang nach Neuem“, sich beweisen zu wollen, sich von anderen abzugrenzen. Und auch hier kommt es natürlich zum Antriggern des hormonellen Belohnungssystems mit Endorphinen, Dopamin, Adrenalin, Testosteron etc. Winston Churchill, damals britischer Kavallerieleutnant, schreibt über sein Lebensgefühl im Jahre 1895 bei der Reise in die Kämpfe zwischen Spanien und kubanischen Rebellen auf Kuba: „Außer zur Selbstverteidigung dürfen wir an ihren Kämpfen nicht teilnehmen. Dennoch fühlten wir, dass es ein großer Augenblick in unserem Dasein ist, ja einer der schönsten, die wir je erlebt haben. Wir erwarten, dass ich etwas ereignen wird und wir hoffen inbrünstig darauf; zugleich aber wünschen wir nicht verwundet oder getötet zu werden. Was also wollten wir hier eigentlich? Es ist der Lockruf der Jugend - das Abenteuer, und das Abenteuer um seiner selbst willen. Man mag es Narrheit nennen. Eine Reise von Tausenden von Meilen mit mühsam zusammengekratzten Geldern zu machen und früh um vier Uhr aufzustehen mit der Hoffnung, in Gesellschaft völlig fremder Menschen in eine böse Klemme zu geraten, kann gewiss nicht als vernünftiges Tun angesprochen werden. Aber dennoch waren wir sicher, dass es nur sehr wenige Leutnants in der britischen Armee gab, die nicht eine Monatsgage drangegeben hätten, um in unseren Sätteln zu sitzen.“ (CHURCHILL 1951: 51)
Materielle Güter als Motiv für die Anwendung kriegerischer Gewalt ist seit den alten Griechen ein schriftlich dokumentiertes Motiv. Die Möglichkeit zum Raub von Gut, Geld und Gold, Plünderungen und Vergewaltigungen als Belohnung und regelmäßige Soldzahlungen waren schon immer Charakteristika von militärischen Handlungen. Geld als Motivation spielt für die Freiwilligen einer Armee bis heute eine überragende Rolle (TRESCH 2005: 195ff). Im Rahmen des Dienstes in einer Friedensarmee als Zeit- oder Berufssoldat (typisch in der Bundeswehr war die Verpflichtung als SaZ 2 anstelle des Grundwehrdienstes) ist Geld oder die Sicherheit eines Einkommens nach Beamtenbesoldung eine sehr nachhaltige Motivationskomponente. Gleiches gilt für das ab 1972 übliche, vollfinanzierte Studium für Offizieranwärter.
Für die klassischen Söldner im Kampfeinsatz in Geschichte und Gegenwart gibt es zahlreiche Beispiele: Wallensteins Truppen, die Fremdenlegion Frankreichs, die Wagner-Truppe Russlands und viele weitere mehr. Zivilberufliche Perspektivlosigkeit hat insbesondere bei der Rekrutierung von reinen Freiwilligenarmeen eine hohe Bedeutung und führt zur vermehrten Einstellung von Personen der sozialen Unterschicht mit entsprechenden Auswirkungen auf Bildungsfähigkeit und Verhalten der Armee (LEONHARD/WERKNER 2012: 410ff).
Die überragende Rolle des persönlichen Einkommens wird bei einer Befragung von 56 000 Bewerbern zum Grund ihrer Bewerbung für den SaZ-Dienst in der Bundeswehr zwischen 1960 und 1970 deutlich: Unter der Möglichkeit der Mehrfachnennung erhofften sich fast 48 % eine Weiterbildung im erlernten Beruf, 34 % einen Berufswechsel, 2,9 % die Zulassung zum öffentlichen Dienst und 15 % die Übernahme als Berufssoldat. Dabei wurde eine „berufliche Weiterbildung“ von 54 % der Befragten als Motiv angegeben, unmittelbare finanzielle Gründe von 48 %, ideelle Gründe nur von 15 % (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 131). Die Bundeswehr war schon damals dabei insbesondere attraktiv für diejenigen, „die aufgrund der herrschenden sozialen Ungleichheiten aus materiellen oder psychologischen Gründen nicht in der Lage sind, eine genügend qualifizierende Ausbildung im zivilen Bereich zu erlangen.“ (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 135).
Familientradition finden sich häufig in Soldatenfamilien, in denen mehrere Generationen hohe Positionen im Militärapparat erlangten, in denen dem Nachgeborenen quasi eine militärische Karriere in die Wiege gelegt wird und dessen Ablehnung dieser Rolle auch einen möglichen Bruch mit der Familie provozieren würde. Hier sind Elemente erzieherischer Prägung maßgeblich und es ist möglicherweise tiefe Familienloyalität – ggf. unter Geringschätzung differierender Eigeninteressen – im Spiel, nicht nur soziale Anerkennung.
Verbandstraditionen als motivationsstiftendes Element spielen typischerweise eine Rolle in der Regimentstradition der Briten. Aber sie kam auch in den Garde-Regimentern Preußens vor als auch im Infanterieregiment Nr. 9 der Reichswehr („Graf 9“). Traditionslinien in den Truppen- oder Waffengattungen sind auch in der Bundeswehr nicht unbekannt, z. B. bei Panzeraufklärern, Fallschirmjägern oder Fernspähern. Hier sind ungewünschte Traditionen eines „Eliteverbandes“ dann in der Öffentlichkeit auch am skandalträchtigsten.
Hass in seinen verschiedenen Ausprägungen kann unzweifelhaft ein starkes Momentum sein in der Handlungsstruktur eines Menschen. Die Ursachen von Hass sind vielschichtig, er entsteht im Regelfalle nicht spontan, sondern radikalisiert sich durch äußere Einflüsse. Ideologisch inspirierter Hass aufgrund gezielter Erziehung, allgemeiner Sozialisation oder besonderer Radikalisierung in Meinungsblasen oder durch Selbstideologisierung im Internet ist leider nicht selten. Unklar bleibt die Wirkung von „Hass auf den Feind“ in Mitteleuropa zwischen den Begriffen „Franzmann“ und „Boches“ im Ersten WK und „Untermensch“ und „Faschist“ im Zweiten WK. Sicher ist eine „Ideologisierung“ immer wirksam; in Fachkreisen wird aber diskutiert, welche Motivationswirkung davon tatsächlich ausgeht. BARTOV (2001: 50ff) gesteht im Gegensatz zu anderen Autoren der NS-Ideologie eine überragende Wirkung zu. Mit vielen Beispielen und Kausalketten argumentiert er in sich schlüssig, dass die Kampfmoral aus der Ideologisierung ein maßgeblicher Faktor des „Erfolges“ der Wehrmacht gewesen sei, insbesondere nach Beginn des Russlandfeldzuges. Sie sei damit insgesamt höher anzusetzen als die Wirkung der Primärgruppe, die vielfach zerstört worden sei durch die Zermürbung in „archaischen“ Infanteriegefechten (BARTOV 2001: 57ff). Die tiefe Ideologisierung im Nationalsozialismus sei auch verantwortlich für das motivierte „Durchhalten“ der gesamten Gesellschaft. Er liefert Beispiele für unerschütterliche, nationalsozialistische Überzeugungen angesichts von Zusammenbruch und Todesgefahr (BARTOV 2001: 260f).
Medien spielen in der öffentlichen Meinungsbildung eine große Rolle. Das gilt in der gesamten Bandbreite von kurzfristig aufschreckenden Meldungen bis hin zu jahrlanger Propaganda. Virchow (LEONHARD/WERKNER 2012: 200ff) legt ihre Wirkmacht ausführlich dar und damit ihren bestimmenden Wert für die Sozialisation, die Meinungsentwicklung und die Motivation. Die Widersprüche und die Glaubwürdigkeit zwischen erlebter Realität und medialer Darstellung sowie die Übereinstimmung zwischen emotional erwarteter und tatsächlicher Gewichtung der Informationen sind die relevante Wirkfaktoren. Beispielhaft seien die Propaganda im Dritten Reich, die Gleichschaltung der Medien im heutigen Russland oder der Aufenthalt in Meinungsblasen des Internets benannt.
Medien sind das Werkzeug, mit dem die Motivationsfaktoren bewegt und nach oben gespült werden können: Insbesondere nationalistische Rache und Demütigungsgefühle lassen sich hervorragend damit bedienen, wie am rechten Rand der Gesellschaft hinreichend sichtbar wird.
Die motivationsverändernde Wirkung von Alkohol und Drogen ist zweifelsohne nicht zu vernachlässigen, wenn auch ihre positive oder negative Beeinflussung dosierungsabhängig ist. Alkohol und Drogen sind auch aus dem täglichen Soldatenleben nicht wegzudenken. Die unerwünschte Spanne zwischen seltenem Konsum in kleinen Mengen und grenzenlosem Alkoholkonsum, zwischen gelegentlichem Besäufnis im Kameradenkreis in der Freizeit bis hin zum regelmäßigen Bier nach Dienstschluss oder zur Volltrunkenheit im Dienst mit massiven Krankheitssymptomen aller Art war und ist für alle Zeiten und in allen Armeen anzunehmen. Reese schildert an vielen Stellen den exzessiven Alkoholkonsum im Zweiten Weltkrieg[5] (REESE 2003: 206, 209, 215, 232).
Es gab und gibt die gewollte, dienstliche Verabreichung von Alkohol zu bestimmten Gelegenheiten. Bekannt ist der Ausschank von Alkohol vor Gefechten auf englischen Kriegsschiffen der frühen Neuzeit ebenso wie an sowjetische Soldaten vor Angriffen im II. WK. Hier wurde Alkohol zur Senkung von Hemmschwellen und zur Steigerung des Gruppenzusammengehörigkeitsgefühls eingesetzt.
Auch bei den weithin akzeptierten „dienstlichen Veranstaltungen geselliger Art“ der Bundeswehr mit typischem Alkoholkonsum steht grundsätzlich die Steigerung des „Wir-Gefühls“ im Vordergrund.
WARBURG (2008: 281ff) gibt uns einen Überblick über den nicht geringen Alkohol- und Drogenkonsum in internationalen Streitkräften. Nach WETTE (1992: 413) war Ende der 1970er Alkoholkonsum der Truppe Thema des Wehrbeauftragten-Berichts: Alkohol in der Freizeit galt sowohl bei Mannschaften als auch bei Vorgesetzten als „alkoholische Bewältigung“ privater und dienstlicher Frustration. Der Alkoholkonsum sei wiederum verantwortlich für Ausschreitungen und Fehlverhalten. In meiner Sichtweise war es manchmal trivialer: Die heimatfern eingezogenen Wehrpflichtigen hatten schlicht Langeweile und das Bier im Mannschaftsheim oder eher noch die Kiste Bier auf der Stube stellten eine naheliegende Freizeitbeschäftigung dar.
Der Konsum von anderen Drogen wie Kokain oder Aufputschmitteln im Zweiten WK sowie insbesondere der Cannabis-Konsum im Vietnam-Krieg ist u. a. bei WARBURG (2008: 281ff) thematisiert. Klassische Aufputschmittel oder auch Sedativa wurden auch im Dritten Reich häufig dienstlich geliefert („Pervitin“, andere Amphetamine).
Werkner in (LEONHARD/WERKNER 2012: 220ff) legt die Wichtigkeit von Religion, Ethik und Philosophie für die Sozialisation und Motivation des Handelns bei Einzelpersonen und Gesellschaften ausführlich dar. Die psychologischen Funktionen von Religionen im Bereich Angst und Hoffnung sind dabei ebenso wichtig wie bei der Rechtfertigung des eigenen Handelns und der möglichen Verarbeitung von Schuld oder Fehlverhalten bei der eigenen oder der gegnerischen Konfliktpartei bis hin zum Anerkennen eines „gerechten Krieges“.
Nicht zu trennen von der Religion ist ihre umfassend kulturbildende Funktion (arabischer, abendländischer oder konfuzianischer Kulturkreis), die wiederum mit Philosophie und Nationalismus zusammenhängt. Christliche Kirchen haben seit 1871 insgesamt staatstragend gewirkt und waren auch aufgrund der Heilsversprechen für den einzelnen Soldaten oft wesentliche Stütze und Trost. Der Islam spielte und spielt bis heute für die Motivation eine noch viel größere, oft entscheidende Rolle bis hin zu islamistischen Selbstmordattentätern. In konfuzianisch geprägten Lebensräumen Ostasiens gibt es traditionell eine sehr viel höhere Leistungsbereitschaft, sich für Belange der Gruppe einzusetzen als in Westeuropa, wo zunehmend das Individuum und seine Rechte als wesentlicher Wert und Maßstab gelten.
EHRENREICH (1997: 212ff) erläutert ausführlich die Entwicklung des Christentums von der friedfertigen Religion der Armen und Schwachen in römischer Zeit zur Religion der gesamten, feudal organisierten Gesellschaft mit ihren Kreuzzügen und den späteren Kriegen der christlich geprägten Nationen gegeneinander. Die endgültige Entwicklung zum „Für Gott, Kaiser und Vaterland“ dauerte zwar viele Jahrhunderte, war aber für die Herrschaftssysteme hilfreich und schaffte damit einen weiteren, schwerwiegenden Legitimationsgrund von „gerechten“ Kriegen.
Nach MÜNCKLER (2013: 242) waren im Ersten WK die theologischen Rechtfertigungen eines Krieges gegen die Alliierten konfessionsübergreifend, teilweise überschwänglich und überall präsent. Es ist davon auszugehen, dass die Kirchen angesichts der damaligen religiösen Durchdringungstiefe der Gesellschaft einen nicht zu unterschätzenden Motivationsbeitrag zum Wehrwillen und zur Opferbereitschaft leisten konnten.
Eine religionsähnliche Rolle kann ein tief empfundenes Pflichtgefühl darstellen. Anerzogen, möglicherweise gespeist aus Nationalismus, christlichem Verständnis, Forderungen aus der Familie, Gesellschaft und dem Kameradenkreis, ist der empfundene Zwang, seine „verdammte Pflicht erfüllen zu müssen“ eine komplexe Mischung mit sehr starker Antriebswirkung.
Über die Unsterblichkeit der Helden wurde an anderer Stelle schon geschrieben, hier soll auf Pathos und das „Quasi-Religiöse“ dieses Aspektes eingegangen werden. So erhebend wie religiöse Gefühle können auch weltliche Ideale zu „quasi-religiöser Verklärung“, zu Überstilisierung führen. Gut geeignet ist dabei eine Mischung aus Nationalismus, Heldenverehrung und Unterbewertung des Alltagslebens, um dem Kriegertod einen Wert an sich zu geben:
„Der Krieg als die realisierte Gewaltandrohung schaffte oder schaff bei südamerikanischen Revolutionären ebenso wie bei rechtskonservativen Gemeinschaften Pathos und Gemeinschaftsgefühl und löst dabei eine Hingabe und bedingungslose Opfergemeinschaft der Kämpfenden und überdies eine Arbeit des Erbarmens und der alle Schranken der naturgegebenen Verbände sprengenden Liebe zum Bedürftigen als Massenerscheinung aus, welche die Religionen im Allgemeinen nur in Heroengemeinschaften der Brüderlichkeitsethik zur Seite zu stellen haben. Und darüber hinaus leistet der Krieg dem Krieger selbst etwas, seiner konkreten Sinnhaftigkeit nach, Einzigartiges: In der Empfindung eines Sinnes und einer Weihe des Todes, die nur ihm zu eigen ist.“ (WEBER 1972: 549) Demnach kann das Pathos des Krieges dem Leben des Einzelnen also Bedeutung und Gewicht verleihen, der Alltag wird „banal“ und letztlich wertlos. Dieses auch Stolz erzeugende Gefühl des Soldaten, etwas Besonderes zu tun und damit auch etwas Besonderes zu sein und sich für das Höchste, Wertvollste hinzugeben, ist möglicherweise eines der wirkmächtigsten Elemente für die grundsätzliche Bereitschaft, sich der Gefahr als Soldat auszusetzen. Als „höchste positive Opferwilligkeit, Opfersehnsucht geradezu“ wurde sie von Künstlern, Wissenschaftlern und Theologen vielfach zu Beginn des Ersten WK beschrieben. (MÜNKLER 2013: 239) Diese Gefühlswandlung bleibt dem rationalen Friedensbürger ohne jene Erfahrung geradezu unbegreiflich.
Rachegefühle können stark motivierende Faktoren sein, wobei zwischen rachebegründendem Erlebnis und der Motivation daraus nicht unbedingt ein objektiver Zusammenhang hergestellt sein muss. Dabei können sie jede verstandesgebundene Reaktion außer Kraft setzen und zum allein bestimmenden, scheinbar irrationalen Handlungsmuster werden.
Ehre war insbesondere im Kaiserreich und im Dritten Reich ein akzeptiertes und tugendhaftes Gefühl. Oft war sie bestimmend für das Verhalten von Einzelpersonen und gesellschaftlichen Gruppen. Die „Ehre Deutschlands“ war in der Außenpolitik des Kaiserreichs ausschlaggebend für das Verhältnis zu England, Frankreich und Russland. In der Bundesrepublik der Nachkriegszeit verliert der Ehrbegriff an Inhalt und Wichtigkeit, wird teilweise als törichtes Gefühl diskreditiert. Neuerlich taucht der Ehrbegriff wieder in rechtsradikalen und nationalistischen Strömungen auf und findet damit auch wieder Einzug in die Bundeswehr.
Obiges bestätigend, zerfällt das Ehrgefühl m. E. in einen Teil, der mit der öffentlichen Anerkennung zusammenfällt und quasi einen „öffentlichen“ Charakter hat, und eine innere, stille Komponente: Ein das Selbstwertgefühl und das Selbstbild beeinflussendes Element, das „fressende“ Gefühl, den eigenen Ansprüchen nicht genügt zu haben, oder gegenteilig das beglückende Gefühl von Selbstzufriedenheit oder Stolz aufgrund von als ehrenvoll empfundenen Handlungen.
Neid, Missgunst, Gier, Habsucht, Empathielosigkeit, rücksichtslose Egozentrik und Verachtung, Lust an Zerstörung, Sadismus, an das pathologische grenzende Charaktereigenschaften, Nekrophilie … Gemeinsam ist diesen Motiven die moralische Ablehnung in allen Kulturkreisen. Ansonsten wird es an dieser Stelle nebulös und würde auch zu weit führen. Die nicht genau ein- und abzugrenzenden Wesenszüge des Menschen (Aufzählung oben nicht vollständig) können in Einzelfällen jedoch allentscheidenden Einfluss auf die Motivation des Einzelnen haben und dann zu entsetzlichen Verhaltensweisen führen.
Als Militärangehöriger unterliegt man zusätzlichen, der Organisation typischen Auswirkungen: Schon im friedlichen Wehrdienst prägen Befehl und Gehorsam, das kasernierte Zusammenleben und die körperliche Beanspruchung die mentale Disposition. Daher ist eine besondere Wirkung auf Motivation und Demotivation des Einzelnen aufgrund der militärtypischen Faktoren zu erwarten. Im Kriegsdienst kommen die existenzbedrohenden Lebensbedingungen dazu.
Spätestens in der Situation im Gefecht darf davon ausgegangen werden, dass beim einfachen Soldaten positiv begründete Motivationsfaktoren aus dem Zivilleben weitgehend abhandengekommen sind und militärgruppentypische sowie die Angst vor Zwangsmaßnahmen situativ entscheidend wirken. Aber auch im friedlichen Wehrdienst ballen sich oft Negativerfahrungen, empfundene Rechtlosigkeit, Frustrationen und Leidensgefühle zusammen bis zur völligen Zerstörung ehemals „ziviler“ Motivationsfaktoren. Auch dann bleibt nur die Sorge vor dem Verlust des Wochenendausganges oder vor Schlimmeren übrig.
Vielfach nachgewiesen ist die Anwesenheit vertrauter Mitmenschen extrem wichtig: Der gefühlte Schutz und relative Sicherheit der Primärgruppe (kleine Kampfgemeinschaft, Trupp, Gruppe, Zug) ist für den Soldaten existenziell bzw. loyalitätsfördernd und ersetzt Familie und Heimat. Die Primärgruppe spendet ggf. Trost, emotionale Wärme und auch Anerkennung. Nötig sind dazu zeitliche Vorläufe und der Ablauf von normalen gruppendynamischen Effekten. Die Abgrenzung zur Sekundärgruppe (Kompanie, Bataillon, Regiment) ist fließend.
Ohne Kontakt zur Ursprungsfamilie übernimmt die Stubengemeinschaft der Kaserne als Primärgruppe oft vollkommen eine Familienersatzfunktion. Der junge Wehrpflichtige sucht in der Sozialisationsphase nach Nähe und Wärme der Gruppe angesichts der als kalt wahrgenommenen Kasernenwelt, in der man sich noch nicht auskennt und auf die man mit Angst vor Bestrafung reagiert. So überlebt er bis zur „Freiheit nach Dienstschluss“, vor allem aber bis zum Wochenende mit der – wenn man Glück hat – wirklichen Wärme und Zuwendung (WETTE 1992: 418). Die Nähe und die Wichtigkeit der Stubenkameraden sind allgegenwärtig deutlich spürbar, sie sind quasi Familienersatz und Bezugspersonen, mit ihnen verbringt man Freizeit, sucht idealerweise Freundschaft und Verständnis, echauffiert sich über ihre Marotten, ihre Rücksichtslosigkeit und ihren Egoismus.
Angelehnt an grundsätzliche Gedanken von OETTING (1988) sind hier drei Faktoren benannt: In ihrem Anteil sind sie situativ unterschiedlich stark und wichtig für die Motivation und im Kriegsdienst sind sicher andere Schwerpunkte zu finden als im Dienst im Frieden.
Dieser bezieht sich auf Primär- und Sekundärgruppe, also Trupp, Gruppe, Zug, Kompanie (etwa je 3, 9, 35 und 100 Mann). Letztere ist von der Kopfzahl her die größte. In ihr sind persönliche Beziehungen aller Personen untereinander möglich und sie kann eine auf den einzelnen Soldaten bezogene starke Integration aufweisen. Zielkonformer Zusammenhalt äußert sich häufig in Kameradschaft oder Kollegialität. Dabei bleibt dieser Zusammenhalt bei gleichmäßiger Belastung üblicherweise über längere Zeiträume stabil, situativ kann er jedoch dynamisch in der Intensität oder aufgrund des Umfangs der Gruppe sein und möglicherweise auch schnell enden.
Zielkonformer Zusammenhalt entsteht bei weitgehender Übereinstimmung der Bedürfnisse und Weltanschauungen durch Ausbildung und Zusammenleben im gemeinsamen Durchmachen von Ereignissen bei Abwesenheit von grundsätzlichen Spaltungsfaktoren. Fordernde Gemeinschaftsausbildung und Märsche dienen nicht nur dem körperlichen und geistigen Training, sondern intensivieren gemeinsam mit einer starken Innenzentrierung die Binnenkontakte der Gruppe und grenzen das „Wir“ von „Die anderen“ ab. Sebastian Trenckmann schrieb in seinen Erinnerungen von 2010: „Wer sich gleich kleidet, gleich lebt, viel Zeit gemeinsam verbringt und als Team unangenehme Herausforderungen überwinden muss, wird unausweichlich zu einer eingeschworenen Gruppe. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl gab uns Rückhalt und Geborgenheit. Und ich wusste stets, dass ich besonders auf die Jungs meiner Stube zählen konnte.“ Der übliche Druck auf die Rekrutengemeinschaft erzeugt Kameradschaft und steigert somit Leistungswillen und Durchhaltevermögen im Gruppenrahmen. Optimalerweise empfindet der Soldat nach Erbringung gemeinsamer Gruppenleistungen ein begeisterndes Gemeinschaftsgefühl, ein erhebendes „Dazuzugehören“. Sebastian Trenckmann schreibt über seine Grundausbildung 2010: “In diesem Umfeld der Kameraden und dem Einfluss der Ausbilder ausgesetzt, wuchs meine Begeisterung daran, Soldat zu sein. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, die abenteuerlichen Aufgaben, der Duktus, die Herausforderungen!“
Nach COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER (1994: 109ff) wird auch in Umfragen von 1983 stereotyp „Kameradschaft“ als das benannt, „was ihnen an der Bundeswehr am besten gefalle, was man als persönlichen Gewinn bezeichnet.“ In Umfragen von 1993 benennen etwa 78 % der befragten Mannschaften „Zusammenleben mit Kameraden“ als das, woran sie Gefallen finden.
Gemeinsame Symbole, Uniformabänderungen (Schnüre, Tücher, Abzeichen an der Kopfbedeckung) und Traditionen sowie Orden und Auszeichnungen stärken das Gruppengefühl und damit den Leistungswillen. BAHRDT (1987: 106) behandelt individuelle Angst, Mut, Courage, die Möglichkeiten der Einübung von Verhaltensweisen zur Verhinderung von Angst und die Auswirkungen auf die Gruppe sowie deren Aggressionslust.
MEYER (1977: 112ff), BIGLER (1963: 54f) und ROGHMANN/ZIEGLER 1977: 172ff) schildern die immer wieder verarbeiteten Ergebnisse von Marshall, Shils, Janowitz und Homans, die die dominierende Wichtigkeit der Primärgruppendynamik beim US-amerikanischen und dem deutschen Heer sowie bei der amerikanischen Marine aufgrund tausendfacher Befragung von Soldaten im und nach dem Zweiten WK nachweist. MEYER (1977: 129ff) beschreibt insbesondere Studien von Stouffer (The American Soldier), Little und Moskos hin zur wachsenden Bedeutung der Zweiergruppe (buddy relations) bei eskalierenden Situationen als „Suche nach Sicherheit auf der Ebene geringster sozialer Komplexität“: Wenn es drauf ankam, kämpften amerikanische oder englische Soldaten für keine Weltanschauung, sondern für das Überleben der Kameraden und von sich selbst (MEYER 1977: 131).
Das Zusammenwachsen einer Gruppe bedarf aber auch gemeinsamer Akzeptanz des Ziels bzw. einer gemeinsamen Gesinnung. Das können das gerechtfertigte Kriegsziel sein oder die Einsicht in die Notwendigkeit des Dienstes. Die Wechselwirkungen in der Meinung zwischen Angriffs- oder Verteidigungskrieg bzw. zwischen Sozialisation und Erziehung, die politische Gesinnung, mögliche Radikalisierung, Ideologien, Informationssteuerung und Propaganda, Soziale Medien, religiöser Fundamentalismus, Bedrohung von Heimat, Familie oder eigenem Leben, die Loyalität der Gesellschaft gegenüber der Armee oder dem einzelnen Soldaten sind hier zu nennen. Das Gewicht dieser Legitimität ist situativ unterschiedlich und wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Wie im Zivilen auch können grundsätzlich unterschiedlich empfundene Ereignisse mit trennender Wirkung das gemeinsame Ziel und damit eine Gruppe kurzfristig spalten.
Eine besondere Rolle spielte das gemeinsame Ziel in den vergleichsweise ungeordneten Anfängen der Revolutionen und Bürgerkriege 1776 in den USA und 1789 in Frankreich. Hier agierten „Bürgersoldaten“ teilweise vollkommen selbständig und eigeninitiativ kriegszielfördernd ohne jeden führenden, disziplinierenden Vorgesetzten; hier zeigt sich erstmalig „Auftragstaktik“ bei niedrigen Dienstgraden (EHRENREICH, 1887: 230ff). Den gleichen Effekt darf man bei Guerillas, Partisanen und der Resistance annehmen.
Eine Gruppe kann neben staatspolitisch gewünschten Zielen selbstverständlich andere Wege für sich auswählen: Attentat, Revolution, Putsch, Staatsstreich, Bildung von Freikorps wie nach 1918, Meuterei, Kapitulation, Rache, Mobbing von Gruppenmitgliedern, Bereicherung am Vermögen anderer, Folter von Gefangenen, Vergewaltigung, Leichenschändung als Zeitvertreib oder was sonst noch durch die Presse gegangen ist, sind hinlänglich bekannt.
Kameradschaft als spezifische Form der Kollegialität beinhaltet auch immer die Möglichkeit der Abweichung von Normen und Regelungen: Das Vertrauen in der Gruppe ermöglicht z. B. das Anlegen von gemeinsamen „Schwarzbeständen“ oder situativ angepasste Nutzung von Kleidung, Material oder das Umdeuten von Befehlen und Aufträgen zum Zwecke der Erhöhung des „subjektiven“ Gruppenerfolges (KRAUSE 2017: 7). Geringfügiges Abweichen vom Normverhalten kann nach KLÖSS/GROSSMANN (1974: 118) die Gruppendynamik der Primärgruppe stärken, gegen gruppenintern nicht akzeptierte Verhaltensweisen und Personen abgrenzen und damit mögliche „Aufmüpfigkeit“ gegen nicht akzeptierte Vorschriften absenken. Im Extremfall ermöglicht das kameradschaftliche Vertrauen eine grundsätzlich sinnhinterfragende Diskussion bis zur gemeinsamen Befehlsverweigerung oder Desertion.
Apelt (LEONHARD/WERKNER 2012: 428ff) diskutiert das Thema der militärischen Sozialisation des Soldaten. Danach darf unterschieden werden zwischen „sozialem Zusammenhalt aufgrund gemeinsamer Erfahrungen und Eigenschaften, dem Auftragszusammenhalt mit einer gemeinsam empfundenen Aufgabe sowie einem „instrumentellen Zusammenhalt“ aufgrund der Erkenntnis, es nur gemeinsam schaffen zu können.
WETTE (1992: 410f) verweist auf die durch das Gefühl von Sinnlosigkeit des eigenen Tuns von Wehrpflichtigen in der Friedensarmee Bundeswehr entstehenden Verwerfungen innerhalb der Kleingruppe: Gefühlte Untätigkeit und „öde Dienste“ führten zu Spannungen bis hin zu zerrütteten Verhältnissen in Kleingruppen. Daran kann ich mich auch erinnern, insbesondere Tätigkeiten wie technischer Dienst oder Reinigungsarbeiten führten zu den größten Spannungen aufgrund von Vorwürfen, der eine oder andere würde sich vor der Arbeit drücken. Sebastian Trenckmann schreibt dazu:“(…) in der Stammeinheit hatten alle die gleiche Einstellung: Alles und alle blöd hier!“
Interessant beim zielkonformen Zusammenhalt einer Gruppe ist die Situation des Auseinanderbrechens und zeitgleichen Neubildens von Teilgruppen. Beim Auseinanderlaufen der Ziele zerfällt der Gruppenzusammenhalt. Die Kameradschaft und Teile der Gruppe oder Einzelpersonen oder alle verlassen die gemeinsame Vertrauensbasis, werfen die gemeinsam Schicksalsgemeinschaft über Bord und bilden ggf. in Minuten neue Bindungen: Überzogene Aufträge der Gruppe, die nach Ansicht einiger nicht erfüllbar sind, führen zur Spaltung der Gruppe, z. B. will eine Teilgruppe in auswegloser Situation aufgeben, ein anderer Teil der Gruppe will weitermachen. Ich habe solche Diskussion erlebt beim Marsch, wenn einige aufgeben und sich vom Sanitäter reinfahren lassen wollten und andere das kategorisch ablehnten.
Ungleich verteilte Aufgaben oder Gefahren mit überproportionalem Risiko für einen Teil der Gruppe lassen die Teilnehmer der besonderen Gefahr zu einer neuen Gruppe mit zielkonformem Zusammenhalt werden, z. B. Marschgruppe, Minenräumtrupp oder Spähtrupp.
Akute, extreme Lebensgefahr für den Einzelnen kann zur Auflösung eines größeren Gruppenzusammenhaltes und zur Bildung von ausschließlich Zweier- oder Dreiergruppen führen. Dieses wird teilweise auch berichtet aus extremen Situationen der sowjetischen Gefangenschaft, bei der akute Lebensgefahr durch Nahrungsmangel und Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit längerfristig blankliegenden Nerven und Radikalisierung des Einzelnen jede Rücksichtnahme, jedes kameradschaftliche Zurückstehen eliminieren (WEHLER Bd3, 1995: 333).
BARTOV (1999: 59ff) weist auf die eine Primärgruppe sprengenden Kräfte hin, die aus der Angst um das eigene Wohl entspringen: Am Ende jeder gruppendynamischen Entwicklung kann alleinige Angst um sich zum Verlassen der Primärgruppe (Trp/Grp) führen, man bringt sich als Einzelperson in Schutz oder Deckung, flieht und desertiert oder lässt sich freiwillig gefangen nehmen, um das eigene Leben zu retten.
Auch gruppenauflösend wirkt die Suche von Gruppenmitgliedern nach persönlichen Vorteilen abseits aller Lebensgefahren: Will jemand aus der Gruppe Karriere machen beim Militär, so sprengt er die Zielkonformität der Wehrpflichtigen, die den Dienst nur durchstehen wollen, denn sein Interesse ist es, positiv aufzufallen und gefördert zu werden.
Nach WETTE (1992: 380), VOGT (1988: 25ff) und WEHLER (Bd 4, 2003: 158) vollzieht sich die „Diskulturation des Zivilisten“ durch Kasernierung und Uniformierung: Sie bedeuten Endindividualisierung der zivilen Person durch Besitz-, Eigenheiten- und Kontaktentzug. Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereiche werden zusammengelegt, alle Aktivitäten werden reglementiert, die Selbstständigkeit der erwachsenen Person wird auf das Niveau eines Kindes verengt, Kontroll- und Verhaltensroutinen bauen die Person als Gruppenmitglied teilweise neu auf. Dieses hat umso mehr Gewicht, als dass im neuen System nicht nur acht bis zehn Stunden wie im Zivilleben gearbeitet wird und damit die Freizeit „unbelastet“ bleibt, sondern man möglicherweise tage- bis zu monatelang über 24 Stunden ohne Freizeit auskommen muss. Alle bisher individuellen Lebensbereiche werden in dieser „totalen Institution“ vereinigt. Dabei entstehen informelle Kleingruppendynamiken, die der Kompensation der sozialen Bedürfnisse dienen, welche dienstlich und formal nicht befriedigt werden (Entspannung, Interessen, Hobbys, Kultur, Gesprächsgruppen). Kaserniertes Leben bedeutet immer auch das Fehlen oder die Verminderung des Auslebens bisheriger Beziehungen, was wiederum das Einlassen auf die neuen Beziehungen im Militär erleichtert (ROGHMANN/ZIEGLER 1977: 170ff).
Zu diskutieren ist die Frage der Intensität des dahinterstehenden Willens, den „Zivilisten zu brechen“ und als „Soldat neu aufzubauen“. Wir können davon ausgehen, dass Johannes Trenckmann in der Kaiserzeit intensivstes und bewusstes „Brechen und Aufbauen“ erlebte. Der Zeitgeist erlaubte keine liberale Individualität. Im Dritten Reich wird dieser Prozess vermutlich noch intensiver gewesen sein, da Härte als nationalsozialistische Tugend kultiviert wurde, obwohl Heinz Trenckmanns Briefe an die Eltern aus der Grundausbildungszeit dies nur bedingt bestätigen. Unter dem liberaleren Überbau der Bundeswehr der 1980er und 2000er Jahre ist davon auszugehen, dass nur ein Bruchteil der Stringenz aus den früheren Streitkräften erhalten blieb. Gleichwohl kam mir die Umstellung vom Zivilisten zum Wehrpflichtigen zumindest doch relativ hart vor und erzeugte deutlichen Leidensdruck. Sebastian empfand zwar eine durch Vorgesetzte klar gewünschte Abgrenzung zwischen der Zivil- und der Militärgesellschaft und den Druck, sich voll und ganz in die Rolle des Soldaten einzufühlen, ein „Brechen und Aufbauen“ nahm er hingegen ebenfalls nicht wahr. Sicher waren Sebastian und ich insgesamt weicher, zarter und liberaler sozialisiert und mit großer individualistischer Selbstwertschätzung erzogen: So waren wir vermutlich nicht so resilient gegen Härte und „Endzivilisierung“.
Initiationsrituale zur Steigerung des „Wir-Gefühls“ sind zwar auch im Zivilen und bei Polizei oder Feuerwehr bekannt, sie erreichen aber vor allem bei militärischen Gruppierungen eine gesteigerte Publizität. Die teilweise entwürdigenden oder unappetitlichen Initiationsrituale bei der Aufnahme in die militärische Gesellschaft wurden spätestens seit den 1970er Jahren bekannt und teilweise öffentlich diskutiert. Auch dieses Thema ist selten Teil militärsoziologischer Behandlungen und eher bekannt aus der Soziologie anderer, gruppenspezifischer Themengebiete (Warburg in ELBE/BIEL/STEINBRECHER 2021: 137f). Die beiden Kriegsteilnehmer erwähnen dieses Thema nicht, die beiden Bw-Wehrdienstleistenden erlebten außer dem gemeinschaftlichen Alkoholkonsum tatsächlich nichts Nennenswertes – jene „Saufgelage“ liefen allerdings harmloser ab als in den Veröffentlichungen der SZ vom 17.05.2010 beschrieben[6].
Es sind die direkten Vorgesetzten und ihr auf die akute Situation oder die spezielle oder allgemeine Lage angepasstes Verhalten und Reden, Entscheiden und Handeln. Trupp-, Gruppen-, Zugführer und die Kompaniechefs wirken nicht nur über ihre Amtsautorität (Dienstgrad), sondern auch über ihre fachliche und ihre persönliche Autorität. Welche der drei Ebenen die stärkere Wirkung erzielt, ist situationsabhängig: Je stärker formalisiert, je drillmäßiger die Situation, ums so stärker wirkt der Dienstgrad. Die Vorgesetzten sind während der Formalausbildung oder beim Waffendrill machtvoll präsent, ihre Worte haben intensivste Wirkung auf den einzelnen Soldaten und die Gruppe. Im gemeinsamen Gefechtsdienst integrieren, überzeugen oder spalten sie überwiegend durch Verhalten und Vorbild. Bezüglich einer nonverbalen Vorbildfunktion der Vorgesetzten wird die Gruppenintegration gefördert durch die Teilnahme an Entbehrungen und dem Leben des einfachen Soldaten, durch gerechtes und faires Auftreten und durch die Erfüllung der Fürsorgepflicht. Im Idealfall werden so aus den formalen Vorgesetzten gruppendynamisch informelle Führer und es kommt neben der horizontalen zu einer vertikalen Integration. Über faule Vorgesetzte wurde gespottet: „Nur ausgeruhte Vorgesetzte können von ihren Untergebenen Höchstleistungen verlangen.“
Schon 1917 war vom Kommandeur der Unteroffizierschule Annaburg formuliert worden: “Jeder, der es gut mit seinen Untergebenen meint, wird in wichtigen Fällen den ersten Ärger über sein Vergehen abkühlen (…) Er wird vielmehr zu verstehen suchen, was den Anlass gegeben hat, was die inneren Beweggründe, die Gemütsverfassung, die Absicht des Betreffenden gewesen sind. Deshalb muss der Vorgesetzte mit dem Mann sprechen und ihn uneingeschränkt sprechen lassen (…) Bis hoch in alle Grade des Mannschaftsstandes hinauf geht die Neigung, in einer ganz unverfänglichen, einfachen Frage des Vorgesetzten dessen geheime Absicht zu vermuten, dass er dem Untergebenen etwas anhaben will (…) Verfährt der Vorgesetzte nicht in der angegebenen Weise, so verliert er das Vertrauen der Untergebenen, die Liebe zum Heeresdienst wird erschüttert und an ihre Stelle tritt Trotz, Verbitterung und Gleichgültigkeit.“ (LAHNE 1965: 364)
Allerdings darf die emotionale Bindung des Vorgesetzten nicht zu stark sein, sonst verliert er unter Umständen die Amtsautorität und kann ggf. Härten nicht mehr durchsetzen. Unangemessen empfundene Härte allerdings demotiviert wiederum massiv bis hin zum Entschluss, ungerecht empfundene Vorgesetzte zu liquidieren, was in Vietnam häufiger vorkam (ELBE/BIEL/STEINBRECHER 2021: 107).
Nur durch nachvollziehbar kluges Handeln und zielführende Befehlsgebung kann der Vorgesetzte motivieren, seine kommunikativen Fähigkeiten spielen dabei eine wichtige Rolle. Aber der Soldat entwickelt auch eine eigene Meinung bezüglich richtigen oder falschen Handelns und Entscheidens, wobei mangelnde Informationen und intensive Betroffenheit seine Meinungsbildung verfälschen. Einfluss auf die Motivation hat es trotzdem. Entscheidend für die Motivation der Gruppe ist der Empfängerhorizont.
Wehrrecht und Beschwerderecht als Regulativ gegen als zu hart empfundene Führung waren und sind ebenfalls unterschiedlich und situativ einflussnehmende Faktoren. Keller (LEONHARD/WERKNER 2012: 475ff) erläutert militärische Führungssysteme in Frieden und Krieg sowie die Auswirkungen auf Abhängigkeiten der Geführten und des Führenden.
Wichtig ist das sinnvolle Handeln der Armee als Ganzes: das Konvolut personeller, technischer und organisatorischer Komponenten – Verpflegung, Bewaffnung und persönliche Ausrüstung, Ausbildung, personelle und technische Ausstattung, Sanitätsdienst, Nachschub und Versorgung, Urlaub, Taktik und Strategie der höheren und höchsten Führung, Einhaltung der Rechtsnormen, allgemeine Informationsversorgung, Feldpost bzw. Kommunikation mit der Familie, das Wissen um die Sicherheit der Heimat, die Loyalität der Gesellschaft uvm. Diese Komponenten wirken komplex im Kopf des Wehrdienstleistenden: Üblicherweise wirken sie motivationsstabilisierend in Friedenzeiten und zu Anfang militärischer Auseinandersetzungen. Sebastian Trenckmann schreibt in seinen Erinnerungen: „Meistens war das Mittagessen gut und nur selten kam Murren auf. Es gab wenig, was die allgemeine Motivation schneller hob als Schnitzel und Pommes.“ Im Zuge fehlender Versorgung, zusammenbrechender Funktionen, aufkommender Missstände und von Niederlagen kann fehlendes Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des militärischen Apparates unmittelbar und kurzfristig die Motivation des Soldaten zerstören und sich eine Erkenntnis der Sinnlosigkeit des eigenen Opfers durchsetzen.
Bezüglich der o. a. Faktoren haben Sozialisation, Ausbildung und sozialer Status, Familiensituation, die allgemeine geistige und körperliche Leistungsfähigkeit sowie persönliche Charaktereigenschaften wie Begeisterungsfähigkeit, Fleiß, Ehrgeiz, allgemeine Leistungswilligkeit, Wehleidigkeit oder Sensibilität bzw. Resilienz und Nervenstärke in Stresssituationen deutlichen Einfluss auf die Entwicklung der Motivationslage im Zeitverlauf. Nur qualitativ ist zu konstatieren, dass eingeübte Vernunft, kulturbedingte Selbstbeherrschung, Empathie, sozialisierte Moral und Tabus beschränkend wirken auf „irrationales“ Verhalten und Emotionalität, auf das Auseinanderfallen von Erwartung und Realität, auf rachebedingte Lust an der Gewalt und den Verlust von Hemmungen.
Das Zusammenwirken der Faktoren ist zwar tendenziell vorhersagbar und eine Ursache-Wirkung lässt sich ebenfalls tendenziell abschätzen. Allerdings ist die Größe des jeweiligen Einflusses eines Faktors oft unklar, was erklärt, warum unzählige Schilderungen über Handlungen von Soldaten existieren, die im Positiven wie im Negativen der Erwartung diametral entgegenlaufen. Alle genannten Punkte persönlicher und gruppendynamischer Motivation oder Demotivation sind zudem nicht statisch, sondern unterliegen dauerhaft einer situativen Dynamik. Dabei wirken nicht abgrenzbare Einzelereignisse, sondern die “Summe als Ganzes“:
„Der Soldat hatte recht, die Missstände als eine große innere Einheit, als Auswirkung der Natur des Heeressystems und des Staates aufzufassen (…) quälende, unwürdige Bagatellen türmten sich auf zu dem Gebirgsmassiv eines unerträglichen sozialen Gesamtzustandes, aus dem sich die grobschlächtigen, rauen Einzel-Missstände erhoben wie Gipfel, die Namen hatten.“ (WETTE 1992: 138)
Vorbild, Erziehung und Übung, Indoktrination oder Drill sind hilfreiche Maßnahmen zur Erzeugung von militärisch gewünschtem, zielgerichtetem Verhalten; eine Garantie sind sie nicht. In der Realität eines Infanteriegefechtes blieben nur Reste von Motivation: „Die Verbindung des einzelnen Soldaten zur Gruppe ist verloren im hohen Bewuchs des durchschnittenen Geländes, kein Vorgesetzter ist aufgrund des Lärms zu hören, der Feind ist weiter unsichtbar, gemeinsames Vorgehen weicht einem erschöpften Verharren in einem Granattrichter.“ (BIGLER 1963: 18)
Interessant sind in diesem Zusammenhang Hinweise, dass mehr US-amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg während der Ausbildung und im Dienst hinter der Front einen psychischen Zusammenbruch erlitten haben als im Gefecht. (BIGLER 1963: 59)
Die „Moral der Truppe“ und die Loyalität zueinander sind mehr als die Summe der Motivationsfaktoren der einzelnen Soldaten. Sie können monatelang stabil sein oder sich innerhalb von Minuten verändern. Aus dem o. a. Konglomerat der sozialisierten und der längerfristigen und der situativen Motivationslage entsteht eine schwer vorhersagbare Gruppenmotivation in einer Bandbreite zwischen dem auch in absehbarer Niederlage nicht nachlassenden Kampfeswillen von Eliteverbänden im Zweiten WK einerseits und den geschlossen kapitulierenden italienischen Regimentern im Ersten WK im Angesicht einer kleinen Zahl gegnerischer Kräfte.
Ein Wandel im Gewicht der Motivationskomponenten vollzieht sich durch den Wechsel von der Friedenszeit zum realen Kriegseinsatz. Friedensmäßige Soldatensozialisation ist natürlicherweise weniger rau als eine Kriegssozialisation: „Motivation ist das eine, die Realität das andere: im September 1939 zeigte sich schon wie 1914, dass keine noch so gute Ausbildung eine Wehrpflichtarmee auf die Herausforderungen des Krieges vorbereiten konnte. Das Töten und Sterben lässt sich nicht einüben. Die deutschen Soldaten waren anfangs übernervös, reagierten zuweilen panisch, als sie zum ersten Mal in Artillerie- oder MG-Feuer gerieten. Wilde Meldungen über riesige feindliche Truppenverbände wechselten sich ab mit Hilferufen nach Artillerieunterstützung. Immer wieder kam es zu heftigem ‚Angstschießen‘, insbesondere in der Nacht oder in Wäldern.“ (NEITZEL 2021: 132)
„Moral ist die Summe der Gedanken einer Armee (…) Alles, was eine Armee denkt und empfindet, über das Land und das Volk, aus denen sie entspringt; über die eigene Sache und die eigene Politik verglichen mit der Lage und der Politik anderer; über Freunde, Alliierte und Feinde; über Kommandeure und Generäle; über Unterkunft und Verpflegung; über Pflichten und Freizeit; über Sold und Geschlecht; über Militär und Zivil; über Freiheit und Sklaverei; über Arbeit und Not; über Waffen und Kameradschaft; über Faulheit und Drill; über Disziplin und Widersetzlichkeit; über Leben und Tod und über Gott und den Teufel.“ (BIGLER 1963: 130)
Es gibt Angaben, nach denen teilweise weniger als ein Viertel der Soldaten im Gefecht tatsächlich ihre Waffe abfeuern, hier sind vorwiegend US-amerikanische Daten verfügbar. Andererseits wird berichtet, dass aufgrund der Dynamik von Kampferfahrungen die Primärgruppe sich im Idealfalle situativ derart gliedert, dass der „harte Kern“ die Führung des Gefechtes übernimmt und unerfahrenere, zaghaftere, weniger kampfwillige Soldaten unterstützend eingesetzt werden: Zielkonformer Gruppenzusammenhalt wurde also optimiert. (OETTING 1988: 87)
Weiterhin ist aufzuführen, dass zusammengewürfelte Verbände ohne den nötigen Gruppenzusammenhalt überwiegend wenig leistungswillig sind. Einzig Verbände mit Anteilen von funktionierenden Primärgruppen (Zug, Kompanie) sind erfolgreich einsetzbar im Gefecht. Die Anteile von Unwilligkeit, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht sowie Ermordung von Vorgesetzten sind in solchen Verbänden erhöht. (OETTING 1988: 88f)
Aus Vietnam wird berichtet, dass unzweckmäßige Personalführung und die wachsende fehlende Legitimität des Zieles am Verfall der US-Armee in der Endphase des Krieges maßgeblich beteiligt waren. Der zielkonforme Gruppenzusammenhalt des deutschen Heeres 1918 aufgrund der nicht mehr vorhandenen Funktionstüchtigkeit zeigte sich schleichend: „Die Problematik beginnt in den Primärgruppen, weil diese meist andere Zielvorstellungen entwickeln, als sie von den Vorgesetzten vorgegeben werden. Es entstehen unüberbrückbare Zielkonflikte, der Zusammenhalt der formalen Organisation fängt an sich aufzulösen. Zunächst kaum spürbar, dann aber mit zunehmender Vehemenz wird die Truppe trotz aller Strafandrohungen unzuverlässig. Befehle werden nicht mehr vollständig oder gar nicht mehr ausgeführt, Vorgesetzte werden zu Diskussionen gezwungen und im Gelegentlichen auch angegriffen. Die Zahl der Fahnenflüchtigen nimmt zu, die Truppe verfällt in Untätigkeit und auch in offenen Aufruhr, die Meuterei beginnt.“ (OETTING 1988: 92f)
Dieses dramatische Durcheinander emotionaler oder rationaler Gedanken in seinem Kopf schildert ALFRED ANDERSCH (1968: 95ff) sehr eindrucksvoll anhand seines Erlebens als Soldat in Italien im Juni 1944, die im Entschluss zu desertieren mündet. Gesinnung, Überlebenswille, eigenes Philosophieren und jugendliche Tatkraft führen über die Einsicht in die Sinnlosigkeit des ihm aufgezwungenen Krieges und des abgelegten Eides sowie über die Abwägung der individuellen Möglichkeiten zu einer Motivation, die ihn im vierten Dienstjahr erfolgreich zum Deserteur werden lässt.
Hier sollen einige Einzelpunkte aufgeführt werden, die aus Sozialisation, Persönlichkeit, Lebenssituation und akuter Gruppendynamik Wirkung und Ursache gleichermaßen sind und als Einzelthemen eine besondere Wirkmächtigkeit entfalten.
Todesangst zu empfinden und von ihr getrieben zu werden ist etwas, was wohl nur von denen beschrieben werden kann, die sie empfunden haben. Es ist davon auszugehen, dass alle anderen Motivationsfaktoren hinter dieser Kraft zurückstehen und sie allein bestimmend wird: Grenzen zu verstandesgemäßem Verhalten verschwimmen, Überzeugungen sind unwichtig, Grenzen zur Irrationalität werden berührt.
Aus Todesangst resultierender Überlebenswille wurde u. a. in Western und Kriegsfilmen verarbeitet, ein zielgerichtetes, auch für Außenstehende nachvollziehbares Handeln in Adrenalinüberflutung, Überlebensdrang und Reflexen dargestellt. Die „Motivation des letzten Augenblicks“ bleibt nur im günstigsten Fall verstandesgesteuert und ist ansonsten versehen mit automatisierten Handlungen ohne Zeitverzögerung.
Nicht erst in akuter Todesangst auftretend und kaum abgrenzbar zu einem bevorstehenden Nervenzusammenbruch ist die komplexe Gemengelage der Motivationsfaktoren, die scheinbar zu irrationalem Verhalten führen (die Psychoanalyse hat brauchbare Erklärungsansätze), zu Getrieben-werden aus kaum nachvollziehbaren, anscheinend vernunftlosen Gründen. Beschrieben sind Übersprungshandlungen in geradezu suizidaler Gefühlslage, kämpfen zu wollen, weil man das Warten nicht aushalten kann: „Plötzlich sprang einer auf. Niemand hatte den Befehl gegeben, aber wir folgten ihm, atmen befreit auf, unseres Daseins wieder bewusst, nicht tapfer, sondern in einer verzweifelten Lust, vom Nichtstun und Warten zermürbt, von der Kälte in einen Wahnsinn der Bewegung getrieben, mutig aus einer Furcht vor dem Stillhalten heraus, und dann doch je von einer durchsichtigen, überhellen, triumphierenden Begeisterung getragen in einem transparenten Rausch. Tod und Gefahr waren vergessen, das Leben rechtfertigte sich durch die bloße sinnlose Tat.
Mehrere fielen. Verwundete schrien. Wir achteten nicht darauf. Wir stürmten wie Besessene und erreichten den Stadtrand, Wir warfen uns nicht hin, wenn auch die Maschinengewehrgarben so dicht um uns pfiffen, dass wir den Luftzug der Geschosse spürten. Wir brachen in die ersten Häuser. Erbarmungslos wurden die Männer niedergemacht und eilig die erreichbare Beute an Honig, Fett, Zucker und besserem Brot verpackt.“ (REESE 2003: 70)
Zu dieser Irrationalität gehört ebenfalls das Gefühl, zurückzumüssen zu den Kameraden, zurück aus dem Urlaub oder der Heimat, zurück an die Front. Das zivile Leben hat seinen Wert verloren, zu tief haben sich die Erlebnisse ins Gedächtnis gefressen. Das Existenzielle im Krieg lässt die Sinnhaftigkeit des Zivilen verblassen. Nach wenigen Tagen Erholung, nach einem vernichtenden Gefecht mit Rückzug, schrieb Reese in seinem dritten Kriegsjahr: „In diesen Nächten wehte mich jener Hauch wieder an, der Gefahr und Abenteuer wie eine gesteigerte Elektrizität umgab, eine Höhe des Lebens, wie sie nur im Kriege gedieh. Denn auch dem trunkensten Fest und der kühnsten Leistung im Frieden fehlt der Glanz solcher Gefahr und der Zauber von des Todes Nachbarschaft. (…) Ich floh nicht vor ihm (dem Tod) und liebte doch niemals mein Leben so heiß und inbrünstig wie da.“ (REESE 2003: 145/156) Jene zeitlich sehr viel selteneren Gefühlsphasen unterbrechen das überwiegend rationale, nach Rettung des eigenen Lebens suchende Denken und Verhalten.
An anderer Stelle schreibt Reese in einer längeren Phase der Ruhe hinter den Linien: „In dieser verfluchten Zeit war es doch das Beste, Soldat zu sein und so mitten in diesem Leben zu stehen. Ich fühlte mich in einer Harmonie mit meinem Schicksal, die ich nicht rechtfertigen konnte (…) Ich fand den Glauben an mein Schicksal wieder, fand Vertrauen zu allem Leben und junge Zuversicht und sah dem Kommenden gelassen entgegen. Ich wartete auf das Abenteuer (…)“ REESE (2003: 204f). Wie PTBS, ausgelöst durch erlebte Gewaltexzesse, geht diese „irrationale Affinität zum Gefecht“ samt dem erneuten Durchleben in Albträumen (REESE 2003: 195) einher mit „emotionaler Taubheit“, allerding kommt es zu keiner Gewaltvermeidungsstrategie. Als Erklärung kann möglicherweise das Fehlen des Faktors „Sicherheit“ in der Bedürfnispyramide nach Maslow dienen: Fehlende Sicherheit erzeugt ein Gefühl, aus der akuten Situation fliehen zu müssen: Die Sicherheit in der Verhaltensanpassung an das der Kameraden mag die einzig „erreichbare“ Sicherheit sein.
Ziel einer jeden Führung ist das reibungslose Funktionieren eines Truppenkörpers. Aufwand und Nutzen sollen optimal sein, Disziplin und Anstand sollen nach innen die Abläufe geschmeidig halten und nach außen in der eigenen Gesellschaft und auch im Einsatz unerwünschte Reibung verhindern. Die in der Überschrift benannten Verhaltensweisen wirken negativ in Militär und Gesellschaft, ruinieren den Ruf und erzeugen Gegenwehr. Leider sind diese Verhaltensweisen üblich, weil die Motivation der Soldaten eben nicht nur in gewünschte Richtungen ausschlägt, sondern die „Abgründe des Menschen“ immer auch eine Rolle spielen.
Allgemein stimmt wohl, dass „der Krieg brutalisiere und die Soldaten durch die Gewalterfahrung und die Konfrontation mit zerstörten Körpern getöteter Kameraden verrohen würden.“ (WELZER/NEITZEL 2012: 83) Dies wurde von Kriegsteilnehmern vielfach bestätigt, wobei der Zustand in der Regel nur wenige Tage anhält.
Es darf diskutiert werden, ob aufgrund der in Deutschland früher üblichen Erziehungs- und Verhaltensmuster vielen Soldaten brutales Verhalten leichter fiel als heute.
Das Töten anderer Menschen ist in der tief zivilgesellschaftlichen Sozialisation geächtet, Töten als „Ausnahme“ im Kriegsfalle legitimiert, bleibt aber zunächst abstrakt. BAHRDT (1987: 112ff) thematisiert angeborene oder sozialisierte Aggression bzw. Tötungshemmungen, Kompensation bzw. Triebhaftigkeit von Aggression und das in unserer Kultur tief angelegte Wissen um das Verschweigen und Vertuschen eigener Tötungshandlungen. Organisatorisch berücksichtigt wird dies bei Exekutionen, bei der immer mehrere Schützen schießen, um den eigenen Anteil zu vernebeln und mögliche Schuldgefühle zu verringern. Mit der Tötung eines Menschen wird nicht geprahlt, Details werden nicht ausgebreitet, bestenfalls mit Worten verschleiert. Daher bleibt auch vielfach verborgen, welche Auswirkungen die Erkenntnis beim Einzelnen entfaltet, dass er getötet hat. Sowohl ein Erschrecken über die eigene Tat als auch ein Abstumpfen darf vermutet werden. Als Täter spricht man nicht darüber, sein Erleben und seine Gefühle waren und sind ein Tabu. Ausnahme ist sensationserheischende Wichtigtuerei sowie Romane und Filme, mit denen Geld verdient werden soll. In seriösen Kriegserinnerungen wird das Töten meist mit harmloseren Begriffen (abschießen, vernichten, umputzen) umschrieben. Hintergrund ist das bei aller Rechtfertigung nicht zu entfernende Eingeständnis von „Schuld, Sünde und Unmoral des Tötens“. Und auch die Zivilgesellschaft will nach militärischen Tötungshandlungen über Täter, Tathergang und mögliche Schuld lieber nichts wissen, da zu den Tätern ja auch der eigene Angehörige zählen könnte.
Die „unschuldigen“ Opfer sind davon nicht betroffen; über sie und ihr Leiden kann man reden. Sie werden öffentlich betrauert, ihrer wird gedacht. Kriegerisches Töten im Einklang mit Völkerrecht und Gesellschaftsnormen ist akzeptiert, befürwortet oder belobt, völkerrechtlich unklare Partisanenbekämpfung war und wird kritischer gesehen, Geiselerschießungen kritisiert und ggf. strafrechtlich geahndet.
Johannes und Heinz Trenckmann sprachen nie darüber, ob sie im Krieg getötet haben, wie viele Menschen sie möglicherweise getötet und was sie dabei gefühlt haben. Als Nachgeborener ohne eigene diesbezügliche Erfahrungen ist es allerdings billig, dies bedauernd festzustellen.
Natürlich ist davon auszugehen, dass beide andere Menschen getötet haben. Was sie dabei oder danach empfunden haben, bleibt im Dunkeln. Einziger und gleichzeitig ausweichender Satz von Heinz Trenckmann, der zeitweise als MG-Schütze und MG-Ausbilder diente, zum Töten im Krieg lautete: „… das war halt so damals.“
Ausführungen von Tomforde zum Krieg in Afghanistan 2010 verweisen auf die bis heute nicht erforschte Psychologie „des tötenden Kriegers“: „Die intensive Auseinandersetzung mit dem Töten scheint ein ähnliches Tabu zu sein wie die Handlung selbst.“ (LEONHARD/FRANKE 2015: 234) Vorgänge des Tötens wurden und werden schriftlich und mündlich fast nie en détail geschildert, sondern wie dargestellt umschrieben. Hinzu kommt, dass die Unübersichtlichkeit des Gefechtsfeldes, weite Kampfentfernungen und eine nicht genau zuzuordnenden Waffenwirkung dem Soldaten die Möglichkeit bietet, sich derartigen Gedanken zu entziehen.
Jenen ausweichend-verdrängenden Gedanken stehen selten detailliertere Beschreibungen des Tötens gegenüber: Hier wird in einer aufschneiderischen Art um Anerkennung gebuhlt, hier sucht sich einer als Held zu offenbaren, wenn er im August 1917 schildert: „Man schießt mit jauchzender Freude in lebenden Massen junger Menschen hinein und je mehr blutend zusammenbrechen, umso grösser ist die Begeisterung.“ (NEITZEL 2021: 65)
Ein anderer Aspekt ist der Tod von Kameraden oder Angehörigen. Es ist von einer intensiven Wechselwirkung mit den anderen Faktoren in Psyche und Empfinden des Einzelnen auszugehen, vor allem, wenn er dem Toten nahestand.
Leiden und Not kommen nicht nur aus feindlicher Quelle: Die quantitativen und qualitativen materiellen und personellen Mängel der eigenen Truppe haben einen großen Anteil. Die Leistungswilligkeit sinkt mit der psychischen Ermüdung durch Anstrengung, Stress oder Monotonie und es zeigen sich Symptome wie Antriebsschwäche, Arbeitsunlust, emotionale Labilität, Konzentrationsstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite (RICHTER 200: 36f). Abstumpfung als Folge von Leid, Not und Qual kann in zwei Richtungen erfolgen: Auf dem Weg zum Nervenzusammenbruch wird das Nervenkostüm immer dünner, Unkonzentriertheit, Nachlassen der Wahrnehmung, Symptome von Burnout werden sichtbar. Mit der Abstumpfung kann aber auch eine zunehmende Empathielosigkeit gegen die Außenwelt, innere Flucht, Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst, innere „Versteinerung“ oder aber auch Konzentration auf das eigene Überleben mit hemmungsloser Brutalität gegenüber anderen verbunden sein. So schreibt NEITZEL (2021: 67) von der Abstumpfung und zitiert einen Stabsarzt Bauer bei Verdun am 23.04.1916:
„Sehr viele Leichtverwundete; Manche, denen fast nichts fehlt, die nur eine Gelegenheit suchen, von der Front fortzukommen. Die Truppe macht in der Tat einen vollkommen demoralisierten Eindruck, der doch sehr zu denken gibt; keine Spur von irgendwelcher Begeisterung oder Pflichtauffassung mehr. Was für ein Unterschied gegen die erste Zeit. Der Krieg dauert zu lange. (…) Wirklich, das sind keine Krieger mehr, das ist zum großen Teil eine zur Schlachtbank geführte Herde.“
Gemeint sind hier soziologisch über Generationen verinnerlichte Parameter. Die Zuweisung „kultureller Eigenschaften“ bleibt trotzdem dünnes Eis, denn eine Verifizierung solcher Behauptungen ist oft unmöglich. Über Generationen wirkende, multifaktorielle Mechanismen erzeugen längerfristige, kulturtypische Wertvorstellungen. Schemenhaft, aber erkennbar sind zum Beispiel die Unterschiede zwischen modernen westeuropäischen und arabischen Gesellschaften und welchen Wert sie jeweils dem Wohl des Individuums gegenüber dem Wohl der Gruppe beimessen.
So benennt MERSMANN (1995: 142) eine „Latente abendländische Opferbereitschaft“, eine national hochstilisierte „Aufwertung des Todes“ bis hin zum Gedanken, „im Tod ein sonst unerreichbares Leben erhoffen zu lassen“, also die gesellschaftliche oder religiöse, subjektiv empfundene Unsterblichkeit des Helden. In einem solchen Geflecht werde es möglich, Angst bis hin zur völligen Negierung zu ignorieren.
Auch wird möglicherweise die Bildung von Motivation aufgrund einer „landestypischen“ Sozialisation unterschiedlich sein. Kinkead berichtet über türkische UN-Soldaten als Kriegsgefangene im Koreakrieg. Sie wären für die kleingruppen-zerstörerischen Versuche der Chinesischen Volksbefreiungsarmee durch Isolation formaler und informeller Führer und Bestechung anders als ihre US-amerikanischen Kameraden nicht empfänglich gewesen, Respekt und traditionalistisch-patriarchalische, türkische Verhaltensweisen hätten eine Kollaboration mit den Chinesen verhindert (MEYER 1977: 136).
Soldatisches Handeln kann entweder mit Zwangsmitteln oder durch positive Motivation erzeugt werden. Nach Elias Canetti gibt es noch einen dritten Aspekt, nämlich den der „Automatisation“ als Reflex abseits des Denkens, Fühlens und der Loyalität: Insbesondere der Mannschaftssoldat lebt in einer Welt des Befehlsempfangens, täglich hat er Dutzenden akuten Anweisungen oder Dauerbefehlen zu entsprechen und er lebt in „ständiger Befehlserwartung“. Daraus folgt ein mentaler „Deformationsprozess“, nach dessen Durchlaufen der Mensch abgestumpft ist und nichts mehr hinterfragt. Befehle werden reflexartig ausgeführt, eine aktuelle positive oder negative Motivation zugunsten des automatischen Handelns ist nicht mehr nötig. Dies funktioniert nicht nur bei drillmäßiger Ausbildung, sondern auch bei komplexeren Handlungen (WETTE 1992: 16).
Zusätzlich muss dabei eine Einübung von Gehorsam berücksichtigt werden von Kindertagen an. In der Kaiserzeit mit üblicher Prügelstrafe des Vaters, des Lehrers, des Meisters in der Ausbildung war Anerkennung von Autorität und Gehorsam tugendhaft belegt und von klein auf eingeübt. Im Dritten Reich war das letztlich nur marginal anders. Andererseits ist diese Einübung in Kinder- und Jugendzeit nicht zwingend nötig, denn das „automatische“ Gehorchen funktionierte zumindest bei unproblematischen Befehlen auch in der Bundeswehr. Andererseits hilft automatischer Gehorsam auch in trivialen und erst recht existenziellen Situationen: Von der eigenen Befindlichkeit beherrscht, will der Soldat vieles nicht, was zum Gelingen oder Erfolg oder ggf. Überleben der Gruppe nötig ist. So beschreibt Sebastian Trenckmann in seinen Erinnerungen über den Morgen im Winterbiwak: „Der Überfeldwebel gab mir als seinem Stellvertreter acht Minuten Zeit, um Marschbereitschaft zu melden. Ich war also dafür verantwortlich, die zehn müden, verfrorenen und hungrigen Jungs innerhalb dieses Zeitrahmens antreten zu lassen. Das hieß, alles zusammenzuraffen und in die Rucksäcke zu stopfen, und zwar zack, zack. Obwohl wir keine echten Strapazen auszustehen gehabt hatten, waren trotzdem alle unausstehlich. Ich war undiplomatisch, fast alle anderen pampig und ein Kamerad drohte mir ein paar Schellen an, wenn ich ihn nicht endlich in Ruhe ließe.
Höflichkeit und zivilisiertes Miteinander sind wirklich nur eine ganz dünne Schicht und schnell weggekratzt. Auf dem folgenden Marsch dachte ich darüber nach, wie wichtig Disziplin und klaglose Folgsamkeit in Situationen sind, die uns einiges abverlangen. Die Armee hat mit ihrer Konditionierung und ihrem Reglement von Befehlen und Gehorsam ein System geschaffen, das auch in herausfordernden oder extremen Situationen funktioniert.“
Ein schönes Beispiel für die typische Mischung von Motivationsgründen mindestens aus „Angst“, „Überlebenswillen“, „Gewohnheit“ und „Nationalismus“ gibt Reese, der Krieg und NS-Regime ablehnt und doch bis zum Schluss treu seine Pflicht tut und mit der Benutzung von „unser“ und „wir“ für die Gruppe sprechen möchte: „Verflucht sei, wer diese Stellung befiehlt, verflucht sei Hitler, der diesen Krieg begann: Verflucht seien alle Generäle, Obersten und Rüstungsindustriellen, alle, alle, die Schuld am Kriege tragen und ihn wollen, verflucht sei diese Zeit. Hier gibt es nur den Tod oder Flucht, und die Flucht ist unser Ziel. Sizilien wurde aufgegeben, aber wir werden für ein Stück Sumpf, Sand oder Moorwald geopfert. (…) Es ist keine Angst. Es ist kein Wille zu fliehen – es ist nichts als eine dumpfe, resignierte Verzweiflung; die Ahnung, dass alles vergebens sei. Doch je sinnloser der Krieg in politischer Hinsicht wird (…), desto leichter fällt es mir, meine Rolle darin zu finden: Denn so komme ich immer weniger mit meinem Gewissen in Konflikt (…) Darum will ich doch noch für Deutschland leben und kämpfen, für das geistige, heimliche Deutschland, das erst nach der Niederlage, nach dem Ende der Hitlerzeit wieder existieren darf und Deutschland den Platz in der Welt verschaffen wird, der ihm gebührt. Wenn ich kämpfe, so um mein Leben, falle ich, so, weil mein Schicksal es wollte, und für das zukünftige freie, geistige Deutschland will ich mich auch opfern – aber niemals für das dritte Reich (…) Aber wir gaben uns lieber dem Zufall eines Gefechts, dem Spottbild des Soldatenglücks hin, als dem sicheren Tod durch das Gesetz.“ (REESE 2003: 240ff)
Insgesamt bleiben auch nach ihrer Beschreibung die Motivationselemente Teil einer Gemengelage mit unterschiedlich großen Anteilen oder dominanten Aspekten. Es bleibt eine seltsame Ambivalenz gleichzeitiger und widerstrebender Motivationsfaktoren, zeitlich und situativ wechselnd und schwankend, den eigenen Verstand überfordernd und kaum beschreibbar, kaum nachvollziehbar und oft wenig rational: Sie sind gefühlsgetrieben, dem eigenen Selbst oft unbemerkt und anderen Menschen wenig nachvollziehbar, vor allem aber nicht sicher zu beurteilen bzw. verurteilen für die Nachgeborenen.
Für die gesellschaftliche Akzeptanz der Wehrpflicht sind Bedenken bezüglich gesellschaftlicher Gerechtigkeit, Fragen der Effizienz einer Armee, Verdacht auf Geldverschwendung zu Ungunsten einer Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie und die Höhe des finanziellen Anteils am BIP zu diskutieren. Dazu ist ein zusammenfassender Blick auf Wehrmodelle und Kostenstrukturen zu werfen.
Gedanken von ADAM SMITH (1988) und BAHRDT (1987: 13) aufgreifend, sei festgestellt: In einer archaische Jägergesellschaft waren die Menschen sowohl Träger der Nahrungsersorgungskette als auch der Verteidigung. Der Verteidigung und der Jagd lagen die gleiche Ausbildung und die gleichen Werkzeuge zugrunde. Verteidigung wurde täglich von der Masse der Gruppenmitglieder geübt und kostete praktisch nichts.
In einer Hirtengesellschaft verhielt es sich ähnlich, jedoch standen Teile der Gesellschaft in Zeiten notwendiger Verteidigung wegen des Hütens der Tiere nicht zur Verfügung. Die Gesellschaft begann sich auch nach zivilen Aufgaben zu gliedern, die Krieger mussten mangels täglicher Jagd üben und während dieser Zeit mitversorgt werden. Der Besitz militärischer Fähigkeiten verlangte besondere Ressourcen von der Gruppe.
In einer Bauerngesellschaft war die Gliederung in Aufgabenbereiche fortgeschritten: Im Kriegsfall zerfiel die Gesellschaft in diejenigen, die weiter Haus und Hof bewirtschafteten und die Krieger, die ebenfalls schon vor einem Einsatz „in Übung gehalten“ und versorgt werden mussten. Mit der weiteren Entwickelung der ländlichen und städtischen Gesellschaft entstand so ein Söldner-, ein Berufssoldaten- oder ein Milizheer oder eine Mischform wie eine Wehrpflichtarmee mit Berufssoldaten, Zeitsoldaten und Wehrpflichtigen. Zudem differenzierten sich die zivilen Hierarchien weiter aus, Verteidigung kostete Verwaltung und Ressourcen.
Der Entwicklungszustand sowie die Liberalität oder Dogmatik einer Gesellschaft hat prägenden Einfluss auf die Struktur, das Selbstverständnis und die innen- und außenpolitische Wirksamkeit ihres Militärs und dieses wiederum entfaltet Ausstrahlung zurück auf die Gesellschaft. Technische und kulturelle Entwicklungen und philosophische Erkenntnisse unterliegen einer wechselseitigen Beeinflussung durch, Militär, Zivilgesellschaft und Bedrohungen von außen. Entwicklungsgeschichtlich gibt es keine gleichmäßige Abfolge von Militärsystemen. Milizartige Kriegergruppen wie bei den Kelten oder in der modernen Schweiz tauchen alternativ auf zu strukturierten, gedrillten, in festen Kommandostrukturen stehende griechischen Hopliten oder römischen Legionäre, die Linientruppen Preußens oder modernen Berufsarmeen. Die Verfasstheit der Gesellschaft wirkt auf die Verfasstheit der Armee und umgekehrt.
Die autoritätsgläubige Gesellschaft der Kaiserzeit und des Dritten Reichs unterhielt dementsprechend ein völlig anderes „Militär“ als die individualistische Bundesrepublik des Kalten Krieges und diese wiederum ein anderes als die „feindfreie“ Bundesrepublik nach 1990, obwohl formal bis 2010 alles unter dem Begriff „Wehrpflichtarmee mit einem großen Anteil Berufs- und Zeitsoldaten“ lief. Die Konzentration auf Auslandseinsätze erzeugte wieder andere Schwerpunkte, Grundsätze, Strukturen und Finanzierungen sowie ein anderes Selbstverständnis im Militär und in der Gesellschaft. Gleiches gilt für den Ukraine-Krieg ab 2022 und einen möglichen russischen Angriff auf Nato-Territorium im Baltikum, wie sie ab Ende der 2020er Jahre konkret werden soll.
Zur Kaiserzeit und im Dritten Reich galten Kriege in Deutschland als führbar und als legitimes Machtmittel zur Durchsetzung von Interessen des Staates oder der Staatsführung. Mit dem Siegeszug von Demokratie und Menschenrechten sollten in liberalen Staaten eigentlich nur noch reine Verteidigungskriege denkbar sein, in totalitären Staaten bleibt es bei dem früheren Denken mit dem Krieg als politisches Werkzeug nach außen und innen. Gleiches gilt für demokratische, jedoch imperialistische Staaten. Die Existenz atomarer Massenvernichtungswaffen macht Kriege in dem Augenblick unführbar, in dem ein Einsatz für möglich oder wahrscheinlich gehalten wird (WACHTLER 1983: 15f). Unterhalb dieser Schwelle, die von den beteiligten Parteien durch „Abschätzen“ eher unklar sichtbar ist, bleiben konventionelle Kriege Teil des Weltgeschehens.
Bezüglich des Interesses bestimmter Bevölkerungsgruppen an einer kriegerischen Auseinandersetzung unterschied schon Schumpeter 1918 drei Gruppen (WACHTLER 1983: 84ff):
In der Realität beeinflussen sich die Gruppen und interagieren miteinander. Für den einzelnen Menschen, unabhängig von seiner sozialen Position in der Gesellschaft, benennt WACHTLER (1983: 98f) die „Erwartung nach persönlichem Gewinn oder Verlust“ von immateriellen (soziale Verpflichtung, Anerkennung, Ehre, Ruhm) oder materiellen Werten (Vermögen, körperliche Unversehrtheit) als wesentliche Faktoren bezüglich seiner Haltung zu militärischen Handlungen.
Die Akzeptanz eines aggressiven oder defensiven Militärkörpers durch die Gesellschaft ist keine Augenblicksentscheidung, sondern Produkt der subjektiven Wahrnehmung der geschichtlichen Entwicklung. Der gesellschaftliche Streit um Nutzen, Belastungen und Kosten des Militärs ist daher im Zeitenlauf vorprogrammiert. Dabei ist nicht klar, ob überwiegend die Lobbyisten der Rüstungswirtschaft die Ausgaben nach oben treiben oder die politisch-gesellschaftlich empfundene Bedrohungslage. Wenn auch das Erstere vermutet werden darf und Letzteres in Bedrohungslagen unzweifelhaft beobachtet werden kann, scheinen zudem die allgemein wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Landes verantwortlich zu sein: So weisen Köhler und Krell (SONNTAG 1982: 125ff) mit langjährigen Datenreihen nach, dass Rüstungsausgaben von Staaten allein aufgrund der sich wirtschaftlich ergebenden Zuwächse ansteigen. Sie erhöhen sich weitgehend parallel zum Wirtschaftswachstum, solange die Finanzmittel nicht aktiv politisch in andere Themenfelder umgesteuert werden.
Auch als gewöhnliches Mitglied der Gesellschaft und als Steuerzahler ist jeder Bürger den Auswirkungen der Finanzverteilung zwischen militärischen und zivilen Aufgaben ausgesetzt: Unterschiedliche Ausgaben für Soziales, die Infrastruktur oder Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen wirken sich direkt auf den Alltag aus, ungenügende Verteidigungsausgaben erst im Ernstfall. Gesonderte Auswirkungen hat die Finanzverteilung für Angehörige des Militärs oder ihre Zulieferer.
Thesen von BARHDT (1987: 24ff) aufgreifend, sind militärische Systeme grundsätzlich nicht wie klassische Wirtschaftsunternehmen seitens Kostenrechnung und Controlling zu führen, weil zwar die Kosten schnell erfassbar sind, der Nutzen aller aufgewendeten Mittel aber erst im Kriegseinsatz real mess- und vergleichbar werden. Im Idealfall findet aber dieser Einsatz niemals oder erst nach Jahrzehnten statt. Welcher Waffenkauf, welche Personalmittel, welche Wehrdienst- und Ausbildungszeiten, welche Ausrüstungsmittel in exakt der verwendeten Menge tatsächlich in einer Kosten-Nutzenrechnung optimal wirken, kann erst spät oder nie ermittelt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt mutmaßen sich die militärische und politische Führung und damit die Gesellschaft jahrzehntelang durch Vermutungen und Bedrohungsszenarien sowie vermutlich geeignete Waffensysteme, durch Abschätzungen, Hypothesen, Versuche rationaler Zielermittlung, festgestellten „Lessons learned“ und gut gemeinter oder auch fundiert-bemühter Vorhersagen von Experten und Armeereformen, durch hypothetische Einsatz- und Kriegsszenarien (siehe auch MCNEILL 1984: 308).
Grundsätzlich vollzog und vollzieht sich die Finanzierung des Militärs im Rahmen staatlicher Haushaltsplanung für ein oder mehrere Jahre und berücksichtigt dabei die Planungsideen verschiedener Akteure (Kaiser, Führer, Kanzler, Minister, Generäle, Truppenämter, Rechnungshöfe, Wirtschaftsführer, Lobbyisten). In der Kaiserzeit gab es Planungsintervalle von sieben Jahren, in der Weimarer Republik 1928 Planungen für ein „Erstes Rüstungsprogramm“ mit einem Fünfjahresplanungshorizont, dem 1932 ein weiteres für 1933 bis 1938 folgte. Die Aufrüstung der Wehrmacht nach 1935 wurde im Wesentlichen entsprechend einem Vierjahresplan durch ein Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt geplant und kontrolliert. Die Bundeswehr unterhält in ihrer von Haushaltsjahren und Kameralistik geprägten Finanzsituation seit ihren Anfängen im BMVg eine Abteilung Haushalt, welche die Planungs- und Kontrollaufgaben übernimmt. Aufgrund mangelnder Kostentransparenz und fehlender Aufstellung von variablen und Fixkosten gab es anfangs suboptimale Handlungsentscheidungen insbesondere im Bereich Logistik und Beschaffung externer Dienstleistungen. Orientiert an amerikanischen Vorbildern im Bereich der Logistik und der Haushaltsplanung von Großverbänden kam es dort auch als Erstes zu Systemen der Kostenrechnung (GERBER 1988: 479f).
Den Notwendigkeiten und Möglichkeiten folgend, fand die Bundeswehr 2006 zu SASPF (eine Variante von SAP), welches u. a. Daten der allgemeinen Bundeswehrplanung, Rechnungswesen, Controlling, Personalwesen, Ausbildung und Materialwirtschaft in einem System nach allgemeingültigen Standards zusammengefasst.
Allerdings bleiben grundsätzliche Probleme unauflösbar: Die Bewertung einer Tätigkeit als „notwendige Ausbildung“ oder „unnütze Sonderfahrt“, einer Beschaffung als „zwingend notwendige Ressource“ oder „überspezielle Goldrandlösung“, der Schaffung „unverzichtbarer Neustrukturen für effiziente Aufgabenerfüllung“ oder „weiterer Wasserkopfstrukturen zur Versorgung von Dienstposten und Vergrößerung der eigenen Machtbasis“ liegt im Auge des Betrachters. Das „Unternehmensziel“ und die Opportunitätskosten unterliegen im Militär einer weitaus größeren Beurteilungsbreite als im zivilen Bereich. Nach Gerber ist wirtschaftliche Ineffizienz im Militärischen daher systemimmanent: „Große Betriebe wie die Bundeswehr sind zur Schwerfälligkeit verdammt. Sie beschäftigen sich überproportional mit sich selbst. Auch die allzu starke Einbindung in das politische und soziale Umfeld gehen zulasten der Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung.“ (GERBER 1988: 509). Der Versuch, diese grundsätzliche Ineffizienz zu minimieren, ist neben dem gewünschten „Leistungsniveau“ der Grund für die unterschiedlichen Wehrsysteme (Miliz, Berufsarmee, Wehrpflichtarmee, eine Mischung aus diesen), die Unterschiede in der Aufstellungstiefe (Vollaufstellung oder gekaderte Verbände) und der Höhe der Rüstungsausgaben. Die gesellschaftliche Diskussion über Belastungen durch den Wehrdienst mit angeblicher Ressourcenverschwendung, scheinbar sinnlosen Rüstungsbeschaffungen, situativ fehlender Munition und zu spät erfolgter Nachbestellung von Großgerät wird demnach wohl andauern.
Eine der Zivilwirtschaft ähnliche betriebswirtschaftliche Situation ist auch deshalb nicht gegeben, weil monopolbestimmt eingeschränkte Beschaffungszwänge wirksam werden und Angebot und Nachfrage verzerrt sind. Einmal beschrittene Beschaffungsvorgänge lassen die freie Wahl des Lieferanten nicht mehr zu, bürokratisch verursachte Hemmnisse (z. B. Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung) und andererseits lokalpolitisch bestimmte Beschaffungsfaktoren im Sinne einer wahlkreisdeterminierten Wirtschaftsförderung tun ihr Übriges.
KLÖSS/GROSSMANN (1974: 77f) legen die üblichen, überproportional hohen Kostensteigerungen im laufenden Dienstbetrieb beim Militär aufgrund der ständigen technischen Nachrüstung dar. Hochmoderne Waffensysteme wie Schiffe, Flugzeuge und Panzer verbrauchen innerhalb von zehn Jahren ihren Beschaffungspreis in Ersatzteilen und Wartung noch einmal und verzeichnen in diesem Zeitraum eine Systemkostensteigerung aus der nachgerüsteten Weiterentwicklung von bis zum Doppelten des Beschaffungspreises. Der Kampfpanzer M48 kostete 1957 etwa 0,5 Mio DM, der Leopard 1 1966 1,1 Mio, der Leopard 2 1978 mehr als 2,2 Mio DM. Für 1988 gibt BALD (1993: 47) bereits 4,5 Mio DM an und in der neuesten Version soll er 2022 nach der Stuttgarter Zeitung vom 25.01.23 voll ausgestattet 7 Mio Euro kosten[7]. Unabhängig von den Inflationsraten wirkt sich die ständig verbesserte Waffenwirkung kostensteigernd aus. Analog dazu verhalten sich Kosten für anderes Großgerät. Für das Jahr 1972 wird z. B. eine Steigerung der Kosten für die Materialerhaltung von Flugzeugen und Schiffen der Bundeswehr von etwa 21 % angegeben, während die Personalkosten nur um 10,9 % steigen. Dabei bremste die Wehrpflicht noch: Während die Personalkosten der Zeit- und Berufssoldaten um 19,5 bis 22,8 % stiegen, kosteten die Wehrpflichtigen nur 5,3 % mehr und lagen damit unter der Inflationsrate der Jahre 1966 bis 1971 (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 80). Zum Thema internationaler Rüstungskooperationen wird nachgewiesen, dass nicht Synergieeinsparungen der Regelfall sind, sondern Mehrkosten aufgrund nationaler Mehrfachstrukturen und komplizierter Kompromisse (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 84). Diese These mag mittlerweile aber nicht mehr gültig sein, weil nur noch dann eine die Entwicklungskosten deckende Anzahl von Bestellungen für ein System zusammenkommt, wenn sich mehrere Länder zusammentun.
Eine deutliche Kostenveränderung im militärischen System könnte möglicherweise die modernste Elektrotechnik mit sich bringen: Aufklärung und Kampf durch Drohnen auf der Basis von handelsüblichen Kleindrohnen für etwa 1 000 Euro je Exemplar plus übliches Kampfmittel bzw. die deutlich teureren, speziellen Kampfdrohnen für sind nunmehr in der Lage, Panzerverbände oder auch entfernte Logistik gezielter zu treffen, als jedes Geschoss (Kosten etwa 2 000 bis 6 000 Euro je Stück) oder eine Lenkrakete (deren Kosten betragen das Vielfache eines Geschosses) es könnten. Aufgrund der Erfahrungen in der Ukraine gibt es Anzeichen, dass die teure, panzergestützte Taktik teilweise obsolet wird aufgrund einer verbesserten, infanteriegebundenen Verteidigung. Allerdings beweisen die gleichen Erfahrungen die weiterhin große Wichtigkeit der teuren Luftwaffe und die Bedeutung der Luftabwehr.
Aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen kamen eine Reihe Hamburger Wirtschaftsprofessoren in den 1990ern zu dem Ergebnis, dass eine Berufsarmee finanziell für eine Volkswirtschaft günstiger ist als eine Wehrpflichtarmee, wenn die gesamten zivilen Kosten des Arbeitskraftentzuges der Wehrpflichtigen in die Kostenrechnung einbezogen werden (OPITZ/RÖDIGER 1994: 170ff). Diese Erkenntnis hilft aber nicht weiter vor dem Hintergrund einer Bedrohung, die mit einer zu kleinen Freiwilligenarmee nicht abgewehrt werden kann.
Volkswirtschaftlich gesehen ist das Militär nach Ansichten von Werner Sombart aus dem Jahr 1913 in zwei Richtungen wirksam (WACHTLER 1983: 66ff). Militär wirkt fördernd für Kapitalismus oder Zentralismus durch sein Verlangen nach vereinheitlichter Ausrüstung und Verbrauchsmaterial für das Massenheer im Zusammenhang mit der Akkumulation von dazu nötigem Kapital, seiner Angebots- und Nachfragekonzentrierung, der Rationalisierung bei der Herstellung gleichartiger Artikel sowie dem oft kreditbasierten Kapitalbedarf des Staates. Militär verlangt nach großen Zulieferunternehmen bzw. Organisationen mit ausgeprägten Organisationsstrukturen und nach kapitalkräftigen Banken und Anleihemodellen (KNÖBL/SCHMIDT 2000: 15f). Der oft rasch eintretende Bedarf von Militärausrüstung und die Bildung von hierarchischen Beschaffungsstrukturen waren oftmals prägend für den Weg von der individuell-handwerklichen Einzelherstellung hin zur diszipliniert-industriellen Massenproduktion. Dies alles war nicht nur eine Form der Wirtschaftsförderung, sondern nach Sombart einer der wesentlichen Faktoren, die zur Bildung der Finanz- und Industriekonzerne geführt haben.
Die Liste der den Nationalsozialismus unterstützenden Firmen und Unternehmensführern ist lang, ihre Partikularinteressen waren mitverantwortlich für das Ende der Weimarer Republik, für die Unterstützung der Kriegspläne Hitlers.
Die Erholung der Konjunktur nach 1933 war klassische keynesianische Politik: Die Nachfrage des Staates nach Infrastruktur und Rüstung hob Bautätigkeit und Produktion an, die Arbeitslosenzahl sank, die Bevölkerung bekam Geldmittel in Form von Lohnzahlungen in die Hand, die wiederum in Konsumnachfrage umgesetzt wurden. In der Tabelle unten ist die massive, kreditfinanzierte Erhöhung von staatlichen Investitionen abgebildet. Schon im Jahr 1934 hatten sie sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt (VILMAR 1973: 55). Die wachsende Wirtschaft stellte wiederum Geld für weitere Kreditmittel zur Verfügung. Auf die steigende Staatsverschuldung wurde wenig Rücksicht genommen, sie stieg in fünf Jahren fast um das Vierfache.
Im Jahr 1912 machten die Rüstungskosten in Österreich-Ungarn etwa 2,9 %, in Deutschland 4 %, in Frankreich 4,2 % und in Russland 4,8 % des BIP aus (CLARK 2013: 287). MÜNKLER (2013: 62f) kommt auf ähnliche Anteile der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt in den 1900er Jahren: Deutschland 3,5%, Frankreich 3,9%, Russland 4,6%.
Nach KIDRON (1971: 59) machten die Rüstungskosten im Jahr 1962 in Dänemark 3 %, in GB 6,5 % und in den USA 10% des BIP aus. Nach VILMAR (1973: 33) investierten 1970 Dänemark 2,8 %, Deutschland 4,3 %, GB 5,7 % und USA 8,6 % ihres BIP in die Verteidigung. Die Rüstungskosten waren damit ein beträchtlicher Anteil aller Wirtschaftsaktivitäten. Deutlich sichtbar an den Zahlen ist aber der weltpolitische Anspruch, der bei Dänemark kleiner ausgeprägt war als bei den USA. Im Zweiten WK betrugen die Rüstungskosten der USA 1944 einen 41 % des BIP (VILLMAR 1973: 65). In Deutschland lagen sie vor dem Ersten WK bei 3,8 % (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 67). In den friedlichen 1990er Jahren sank der Wert in Deutschland auf 1,7 % des BIP und ab 2004 auf 1,2 % ab. Im Rahmen der allgemeinen Nato-Vorgaben soll der Anteil auf 2 % steigen. Nach Angaben von SIPRI lag der Anteil am BIP im Jahr 2021 in den USA bei 3,5 %, in GB bei 2,2 %, in Frankreich bei 1,7 % und in Russland bei 4,1 %.
Rüstungsausgaben können bei geringer Konsumquote – ebenso wie Infrastrukturmaßnahmen – als Konjunkturförderprogramm verwendet werden. Dieses war nach BALD (1993: 22) teilweise in den 60er und 70er Jahren in Deutschland der Fall, als große Anteile des Bundeshaushalts für die Verteidigung ausgegeben wurden (33 % in 1956, 18 % in 1990, etwa 10 bis 12 % ab 1994 bis 2021). Aber auch regional wirkt sich das Militär als Wirtschaftsfaktor aus (BALD 1993: 24, KLÖSS/GROSSMANN 1974: 76f): Lokale Bauwirtschaft und Dienstleistungsbetriebe, Wäschereien, Bäckereien und andere partizipieren von Garnisonsstandorten. Besonders bemerkbar wurde das während der Schrumpfung der Bundeswehr ab 1990. Jüngstes Beispiel für die lokale Bedeutung von Rüstungsprojekten ist der Bau von U-Booten und Kriegsschiffen u. a. für Griechenland und Deutschland in den ostdeutschen Werftstandorten (2010er Jahre).
Bezüglich der föderalen Struktur und der ungleichen Verteilung ist festzustellen, dass aufgrund der Standortansiedlung 1987/89 Bayern allein 38,5 % der Beschaffungsaufträge der Bundeswehr erhielt, Baden-Württemberg 18 % und Nordrhein-Westfalen 13 %. Für die Inlandsaufträge bedeutet das, dass praktisch die gesamte Luftrüstung einschließlich elektronischer Zulieferer nach Bayern floss (BALD 1993: 47). Ähnliche Tendenzen lassen sich aktuell erneut durch das Bemühen Bayerns erkennen, Rüstungs- und Weltraumprojekte an sich zu ziehen.
Nach KIDRON (1971: 70) wurde der Konjunkturmechanismus bei Rüstungsausgaben in den USA regelmäßig bei Abschwüngen verwendet. Anfang der 1960er Jahre sollten in Deutschland 15
der landesweiten Forschungskosten im weitesten Sinne der Rüstung dienen, in Frankreich 30 %, in GB 39 %, in den USA 52 %. In jedem Falle waren die Etats maßgeblich und als Innovation wohl auch für den zivilen Sektor nicht zu unterschätzen. Materialkunde, Energie-, Elektro-, Kommunikations-, Satelliten- und Sensortechnik sowie Flugzeug- und Fahrzeugbau wurden maßgeblich fortentwickelt (KIDRON 1971: 61). Andererseits sollten in Deutschland nur 3 bis 10 % der militärischen Forschungskosten auch zivil wirksam werden und es gab Hinweise, welche Ressourcenverschwendung durch sinnlose, möglicherweise durch Lobbyismus verursachte Auftragsvergabe entstand (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 70ff).
Weiter bringen nach KIDRON (1971: 65) Rüstungsprojekte grundsätzlich lange Planungszeiträume, enge vertragliche Bindungen und kapitalkräftige, große Unternehmen mit sich und fördern damit den Lobbyismus und die Tendenz zu übertriebener Ressourcenverschwendung über ein gerechtfertigtes, notwendiges Ziel hinaus. VILMAR (1973: 47ff) weist denn auch für die ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch mehrere Beispiele die kriegstreiberisch-erfolgreiche Lobbyarbeit von Rüstungskonzernen nach und erläutert daran die handelspolitisch-imperialistischen Beweggründe für die Entstehung der Weltkriege.
Ein interessantes Schlaglicht wirft die Bildung eines „Arbeitskreises für Rüstungsfragen“ des BDI schon im Jahre 1953 auf diese Frage (VILMAR 1973: 100). Der BDI sieht in seinem Jahresbericht 58/59 die Notwendigkeit von Rüstungseinfuhren: „Länder, die gegenüber der Bundesrepublik seit Jahren eine dauernd passive Außenhandelsbilanz aufweisen, können durch Rüstungslieferungen an uns ihre Handelslage verbessern (…) Unter diesen Gesichtspunkten sind unter anderem die Munitionsaufträge an Portugal, Norwegen, Griechenland und die Türkei zu beurteilen. Eine Reihe von Handelsverträgen kam erst zur Ratifizierung, nachdem die Vertragspartner Rüstungsaufträge erhalten hatten.“
So wird im gleichen Bericht gewünscht, „dass das zurzeit bestehende Verhältnis von Inlands- und Auslandsaufträgen an Rüstung sich in den nächsten Jahren zugunsten der Inlandsaufträge verändert.“ (VILLMAR 1973: 104) In diesem Zusammenhang darf man diskutieren, ob der Irak-Krieg 2003 (ÖL), der Regimewechsel in Libyen (ÖL) und die französische Mali-Mission (Uran) nicht teilweise auch aus Gründen der Wirtschaftsförderung betrieben wurden.
Die meisten Länder waren und sind finanziell nicht in der Lage, alle angestrebten Rüstungskosten zu tragen, und so legen sie Schwerpunkte, die sich meistens niemals als richtig oder falsch erweisen. Neben anderen Gründen führte das Wettrüsten der 1980er Jahre zum wirtschaftlichen Zusammenbruch der Sowjetunion und es gibt Hinweise, dass dieser Zusammenbruch antizipiert worden war: Westliche Fachleute erwarteten, dass eine erneute Reaktion des Warschauer Pakts auf die „Nato-Nachrüstung“ die Sowjetunion finanziell überfordern würde – und so kam es dann auch. Aber auch im Westen waren die der Volkswirtschaft entzogenen Produktivkräfte nicht nur auf die Kosten des Verteidigungshaushalts zu reduzieren. Der Bund der Steuerzahler erkannte für die 1960er Jahre, dass die Verluste des Landes durch die fehlende Produktivität der im weitesten Sinne für militärische Belange arbeitenden 750 000 Menschen den Betrag des Wehretats überschreite (VILMAR 1973: 91f). In den 70er Jahren sollen im Rüstungssektor 150 000 bis 300 000 Menschen (2002: 80 000, Michael Dauer, Manager-Magazin, 5. Juli 2002) beschäftigt gewesen sein, wobei die Zahlen im Rahmen von Lobbyarbeit durch die Rüstungsindustrie höher als real angegeben würden. Dazu kamen dann noch die im zivilen Bereich zuarbeitenden Menschen (zivile Reparaturen, Bundeswehr-Zulieferer usw., SONNTAG 1982: 239)
Ebenso unstrittig dürfte sein, dass Militär durch Existenz, Übung und im Krieg Infrastruktur und Vermögen vernichtet, angehäuftes Kapital mindert, Kaufkraft und Konsum reduziert. Eine kriegsbedingte Reduzierung der Ausgaben der Zivilgesellschaft auf lebensnotwendige Nahrungs- und Sachmittel wie Unterkunft, Heizung und Kleidung im Zusammenhang mit Not und Inflation ruiniert die gesamte Konsumgüterindustrie und weitgehend den Dienstleistungssektor, wirkt massiv wirtschaftsverzerrend. Aus diesem Zusammenhang wird erklärbar, dass auch viele rüstungsfeindliche Initiativen aus der Wirtschaft hervorgehen, die eine mehr Wohnungsbau-, Konsumgüter- und den Mittelstand fördernde Wirtschaftspolitik fordern.
Fazit: Allein aus Kostengründen ist eine geringe Dienstzeit der Soldaten und die Wahl maximal effizient wirkender Waffen und Ausbildungsmodelle zu wählen. Das Ukrainische Kriegsszenario kennt keine erfolgreichen Bewegungsschlachten mit speziellem Kriegsgerät mehr. Alles deutet auf personalintensive, überwiegend infanteristisch, artilleristisch und mit Drohnen geführte, logistikstarke und bewegungsarme Szenarien hin. Spezielle, technikintensive und ausbildungsintensive Fähigkeiten ergeben sich insbesondere bezüglich Luftverteidigung und Artillerie.
Die deutsche Gesellschaft zerfällt bezüglich der Akzeptanz der Gewaltanwendung in mehrere Teile. Jeder Gewalt ablehnende, vom Gedankengut der 1968er Jahre beeinflusste Menschen stehen dabei möglicherweise gegensätzlich auf einer anderen Seite als in sozialen Brennpunkten aufgewachsene, teilweise migrantisch geprägte Personen, die ohne ein Messer in der Tasche abends nicht aus dem Haus gehen. Unabhängig davon ist die häufige Nutzung von „Ballerspielen“ ein Phänomen und wird nicht völlig ohne Einfluss sein. Die Einstellungen zur Gewaltanwendung im privaten Umfeld prägen ebenso das dienstliche Handeln von Wehrpflichtigen wie andere gesellschaftspolitische Grundeinstellungen.
Des Weiteren sind typischerweise im militärischen Rechtsrahmen die Themen Gehorsam, Lohn und Bestrafungsmöglichkeiten abgebildet – Dinge, die für die Betrachtung einer neuen Wehrpflicht von höchstem Interesse sind.
Das Töten ist zivil in allen Gesellschaften seit Urzeiten verboten, Ausnahmen waren oder sind Blutrache, Notwehr und Todesstrafe. Im Kampf jedoch ist das Töten nicht nur zulässig, sondern systemimmanent verlangt. Bedingung dazu ist die staatliche oder halbstaatliche Legitimierung. Die Trennung des Rechtsstatus des Zivilisten von dem des Soldaten wird gesetzlich dokumentiert (u. a. in Deutschland durch das Soldatengesetz) und durch den Fahneneid bzw. das Gelöbnis ausgedrückt. Wehrpflichtige und ggf. Reservisten der Bundeswehr gelobten: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“, bei Zeit und Berufssoldaten wird das Wort „gelobe“ durch das Wort „schwöre“ ersetzt. Der mündliche Text des Gelöbnisses wird mit Unterschrift in einer Liste bestätigt. Neuzeitliche Vereidigungen beinhalten immer einen Hinweis auf die Rechtsgrundsätze: „Treue der Reichsverfassung“ (Reichswehr 1919), „Recht und Freiheit“ (BR Deutschland) oder „rules and articles of war (USA) (BIGLER 1963: 95).
Es kam und kommt in den Militärgesetzen und -normen jedoch nicht zur detaillierten Beschreibung der Erlaubnis zur Überschreitung ziviler Rechtsgrundsätze wie dem Tötungsverbot, sondern nur zu einer allgemeinen Festlegung der Pflichten und Rechte im Sinne von „treuem Dienen“ und „tapferem Verteidigen“ oder früher „unbedingtem Gehorsam“. Schamhaft wurde und wird das explizite Aufheben des Tötungsverbotes im Kriegsfalle hier umgangen.
Allgemeine Moralvorstellungen und zivile Strafordnungen werden in Militärgesetzen und dem Kriegsvölkerrecht nicht grundsätzlich aufgehoben, sie gelten weiterhin für Soldaten. Spezielle Vorschriften der Militärgesetze regeln Ahndung und Bestrafung von ungesetzlichen Handlungen. In Friedenszeiten vielfach wirksam, verlieren sie jedoch in Abhängigkeit der militärischen Eskalationsstufe an Wirkung. In bewaffneten Auseinandersetzungen wurden und werden die dort eingeforderten Verhaltensweisen fast nie eingehalten, Strafen selten verhängt.
Das Verbot von Grausamkeit, die Pflicht zur Schonung von Zivilisten, die Anwendung von Waffengewalt nur gegen Kombattanten, die Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel, das Verbot von Plünderungen und willkürlicher Zerstörung sowie Raub, das Verbot von Vergewaltigung im Einzelfall und von systematischen Massenvergewaltigungen als Kriegsmittel zur Terrorisierung oder Demütigung der Zivilbevölkerung sowie viele andere humanistische Regelungen nationalen und internationalen Rechts sind im Kriegsfall Schall und Rauch, weil die Brutalität und Maßlosigkeit des Menschen – im Regelfall der Männer – sich durchsetzen.
Seit Troja und dem römischen „Raub der Sabinerinnen“ sind derartige Verhaltensmuster schriftlich dokumentiert und literarisch verbrämt. Meist werden derartige Ereignisse jedoch verschwiegen; die Gesellschaft möchte nicht wahrhaben, dass ihre „Helden“ Verbrechen begehen. Es ist leider selbstverständlich davon auszugehen, dass in allen Kriegen massenhaft Gräueltaten jeder Art geschehen, insbesondere Plünderungen und sexuelle Gewalt, weil die „Verrohung der Situation“ die Hemmschwellen gesenkt hat und niedere Triebe überhandnehmen.
Die Art der Wehrverfassung ist für den Bürger in zweierlei Hinsicht relevant: Als Wehrpflichtiger unterliegt er direkt dem staatlichen Zwang, als Bürger und Steuerzahler finanziert er das staatliche Gewaltmonopol und war früher möglicherweise Objekt der Verfolgung durch dieses.
In de Streitkräften zu dienen bedeutete für den Militärangehörigen immer schon die Einschränkung der heute als Grundrechte bezeichneten Freiheiten. Typischerweise gehen das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht auf Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit ganz oder teilweise verloren, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eingeschränkt, ggf. wird die Wohnung und Privatsphäre verletzlich aufgrund der Kasernierung. In der Bundeswehr werden Teile der Grundrechte des GG,Art 1 bis 19, eingeschränkt aufgrund der im entsprechenden GG-Paragraphen direkt benannten Möglichkeit oder aufgrund § 17a GG und der im Soldatengesetz beschriebenen Gehorsams- und Dienstpflichten sowie aufgrund der Regelungen des Wehrpflichtgesetzes und der Soldatenlaufbahnverordnung. Zwar gibt es nunmehr in Deutschland keine formale Einschränkung der Menschenwürde Art 1 Abs 1, jeder Soldat kann aber bestätigen, dass dies in der Praxis nicht immer gelingt. In der Vergangenheit gab es darüber hinaus deutlich schärfere Einschränkungen der Freiheitsrechte, Soldaten hatten z. B. kein Wahlrecht.
Streitkräfte zu unterhalten war gesellschaftspolitisch immer von Bedeutung, um Macht und das Gewaltmonopol zu sichern. In Demokratien versucht man, eine Armee mit dem Primat der Politik auszustatten, autoritäre Regime neigen zu diktatorischen Strukturen. SCHÖSSLER (1980: 37ff) beschreibt die historische Entwicklung: Zwar wurde mit der im Zuge der Revolution 1848 eingeführten, konstitutionellen Monarchie in Preußen das Haushaltsrecht des Parlamentes etabliert, die konservativen Regierungen, insbesondere später Bismarck, konnten aber den militärischen Bereich davon de facto ausnehmen. In den Folgejahren bis 1867 wurden Verantwortlichkeiten des Ministeriums durch Ausgliederungen geschwächt, die Macht des Monarchen als oberster Kriegsherr gestärkt. In der Bundesverfassung von 1867 wurden diese Verhältnisse festgeschrieben und galten dann auch nach der Reichgründung 1871. Und hier – in der sich stets erweiternden institutionellen Macht des Militärapparates ohne tatsächliche parlamentarische Einflussnahme – lag einer der Schlüssel für die politische Machtlosigkeit der zivilen Regierung zu Beginn des Krieges und der im Folgenden auch das Zivil- und Wirtschaftsleben umfassenden Macht der Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff ab 1916.
In der Weimarer Republik wurden 1919 zwar versucht, eine durch das Parlament kontrollierte Armee zu etablieren, ab 1920 gab es aber wieder die direkte Kommandostruktur vom Reichspräsidenten zu den Armeekommandos. Das direkte Vortragsrecht der obersten Kommandeure beim Reichspräsidenten unter Umgehung bzw. Ausschaltung von Minister und Parlament war wie in der Kaiserzeit wieder etabliert. Es führte nur ein kurzer Weg zur allumfassenden militärischen Kommandostruktur Adolf Hitlers, der Heer, Marine, Luftwaffe, SS und Wehrmachtsverwaltung direkt steuerte. Grundsätzlich bestand also von 1815 bis 1945 die Kontinuität einer quasi unkontrolliert-diktatorischen Wehrverfassung.
Erst in der Bundeswehr nach 1955 wurde das Primat der Politik durchgesetzt: Ausstattung, Organisation und Einsatz der Bundewehr werden vom Deutschen Bundestag bestimmt und kontrolliert, ein ziviler Staatssekretär im Verteidigungsministerium ist der Vorgesetzte des obersten deutschen Generals. Die dem Parlament verantwortlichen Verteidigungsminister bzw. Bundeskanzler sind Träger der obersten Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) und dem Parlament verantwortlich. Jeder Einsatz der Bundeswehr muss vom Parlament beschlossen werden.
Werkner liefert weitreichende Hintergrundinformationen über die verschiedenen Wehrsysteme und Wehrverfassungen sowie ihre Auswirkungen auf die Rechtslage des Soldaten, auf Motivation und Rekrutierungspraxis (LEONHARD/WERKNER 2012: 176ff).
Die absolute Gehorsamspflicht im 18. Jahrhundert war im und außer Dienst dem Vorgesetzten und vor allem dem König als Kriegsherrn gegenüber ultimativ formuliert und letztlich mit gottgewollter Ordnung begründet. Später kamen Elemente einer grundsätzlichen Bürgerpflicht zur Verteidigung dazu und die daraus resultierende Gehorsamspflicht im Sinne der sich gegenseitig bedingenden Bürgerrechte und -pflichten.
Erste Gedanken zu einem bedingten Gehorsam, also der Möglichkeit einer wie auch immer gearteten Prüfung eines Befehls auf Rechtmäßigkeit durch den Soldaten gab es in der preußischen Heeresreformation nach den Niederlagen unter Napoleon (HAASE/PAUL 1995: 24f). Diese liberalen Gedanken wurden über mehr als 140 Jahre von konservativen Kreisen systematisch torpediert, als wehrkraftzersetzend verunglimpft und nicht umgesetzt. Es galt, oft durch Dienstvorschriften untermauert, ein „unbedingter Gehorsam“. Die in Preußen bzw. im Deutschen Reich 1845 bzw. 1872 eingeführte Gesetzgebung, dass bei Verletzung von Strafgesetzen ein Befehl nicht befolgt werden müsse, änderte aufgrund der im Einzelfall komplexen Situation und fehlenden juristischen Kenntnisse der Soldaten wenig. § 47 Militärstrafgesetzbuch der Weimarer Republik sollte den einfachen Soldaten schützen und gleichzeitig unbedingten Gehorsam ermöglichen (er blieb bis Mai 1945 unverändert): „Wird durch die Ausführung des Befehls ein Strafgesetz verletzt, so ist (…) der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich.“ Sinngemäß weiter: Untergebene können aber bestraft werden, falls ein Befehl überschritten wird oder ihnen bekannt gewesen ist, dass der Befehl eine Handlung betrifft, die ein allgemeines oder militärisches Verbrechen bezweckt (WEHLER Bd4 2009: 875). Ab 1939 waren solche Gesetze, insbesondere in Polen/Russland, Jugoslawien/Griechenland und Italien/Frankreich, praktisch Makulatur (WEHLER Bd4 2009: 877). Im Dritten Reich wurden die Regelung der Verletzung des zivilen Strafgesetzes bis hin zum akzeptierten Mord an Zivilisten de facto durch die „Art der Strafverfolgung“ eliminiert (HAASE/PAUL 1995: 36). Zudem ergänzte sich die originäre Begründung des Gehorsams durch einen Erlass des Reichspräsidenten vom 25.05.1934: “Gehorsam ist die Grundlage der Wehrmacht, Vertrauen die Grundlage des Gehorsams. Soldatisches Führertum beruht auf Verantwortungsfreude, überlegenem Können und unermüdlicher Fürsorge.“ (HAASE/PAUL 1995: 33).
Die moderne Notwendigkeit eines durch Vernunft begründeten Gehorsams liegt nach SCHÖSSLER (1980: 124ff) und nach MOSEN (1967: 28ff) in der Änderung der gesamttechnischen Situation der Armee begründet: Die zunehmend fehlende Übersichtlichkeit des Gefechtsfeldes mit geographisch aufgelockert-getarnten Einheiten samt logistisch- und kommunikationstechnisch komplizierter Erreichbarkeit erforderte Kompetenz und Qualität des Vorgesetzten in einem neuen Maße: Er war abhängig von der Zuarbeit und von Meldungen oft rangniederer Soldaten. Diese Zuarbeit (z. B. Flugzeugtechniker, Artilleriebeobachter, Melder, Logistiker) war lokal abgesetzt, gefährlich und verlangte Spezialkenntnisse und die Berücksichtigung der Lage vor Ort. Sie war nicht zeitnah durch kurze Kommandos anzuweisen, sondern nur mit zeitlichem Vorlauf, und konnte auch nicht unmittelbar durch den Vorgesetzten kontrolliert werden. Das führte weg vom „blinden Gehorsam“ und hin zum „mitdenkenden Gehorsam“, zur Auftragstaktik, zum Vertrauen in die Einsichtsfähigkeit und die Willigkeit des Untergebenen. Dies konnte nur sinnvoll eingefordert werden, wenn das Ziel sowie Rand- und Rahmenbedingungen des Auftrages den Spezialisten bekannt waren und Handlungsspielräume sinnvoll ausgenutzt wurden. Ohne Eigeninitiative konnte ein solches System nicht funktionieren und es entwickelte sich daher zwangsläufig in diese Richtung weiter.
Komplexe Aufgaben offenbaren von sich aus die Notwendigkeit von Delegation, Zusammenarbeit und Beratung und diese wirken natürlicherweise bei Vorgesetzten mäßigend und zivilisierend. Das Erklären von Gedankengängen in der Stabsarbeit, Logistik und Instanthaltung war schon frühzeitig auch in unteren Rängen nötig und bewies sich als erfolgreiches Modell. Mit zunehmender Komplexität stieg aber nicht nur der Anteil jener Soldaten, die mitdenken mussten, sondern auch der Anteil derjenigen Soldaten, die nicht mehr unmittelbar kämpften, sondern die Strukturen und Logistik „hinter der Front“ aufrechterhielten.
Damit untrennbar verbunden steht das „Führen mit Auftrag“. Hatte man höheren Offizieren schon immer Selbständigkeit in der Lösung einer Aufgabe zugebilligt, wurde erst nach 1871 das „Führen durch Auftrag“ auch für niedrigere Dienstgrade und Mannschaften als Möglichkeit akzeptiert. Parallel dazu liberalisierte sich das Menschenbild der Zivilgesellschaft allmählich. Nach MOSEN (1967: 105) verbleiben heute als Reinform des absoluten Gehorsams nur noch Formalausbildung und Waffendrill übrig. Abgeschwächt gilt das für „untechnische Tätigkeiten“ wie Reinigungsarbeiten im Innendienst oder von Waffen und Gerät.
Auch die nicht zwischen Vorgesetzten und Untergebenen unterscheidende Vernichtungskraft moderner Maschinenwaffen und der Artillerie/Luftwaffe sorgte grundsätzlich für ein engeres Verhältnis von Vorgesetzten und einfachen Soldaten und damit irgendwann auch für Veränderungen der gegenseitigen Abhängigkeit, im Vertrauen und der Fürsorge – allerdings individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Grundsätzlich gab es im Einzelfall aber auch immer „zulässige“ Abweichungen von der Gehorsamspflicht: „Anerkannt untaugliche“ Vorgesetzte wurden situativ übergangen, ein Dienstgradniedrigerer übernahm das Kommando und führte das Zweckdienliche aus: In diesem Falle nannte man es Initiative und legitimierte es nachträglich auch von oben oder vertuschte es an geeigneter Stelle (BIGLER 1963: 188, siehe auch den Film „The Caine Mutiny“).
In diesem Zusammenhang interessant ist das häufige Ausblenden einer „Sinnhaftigkeit“ des Gehorsams. Mannschaftssoldaten wurden und werden oft Opfer von Erziehungsmaßnahmen, weil Befehle im Rahmen von „Grundsätzlichkeit und Einheitlichkeit“ nicht „anständig“ ausgeführt werden. Sicherheitsvorschriften im Umgang mit Waffen erfüllen einen Sinn und sind daher kaum zu hinterfragen. Traditioneller militärischer Gehorsam würde aber auch eine Debatte über die Notwendigkeit der auf DIN A4-Größe gefalteten Hemden im Spind oder die Möglichkeit des Verbleibs von kleinen Papierschnipseln im Stubenmülleimer gar nicht erst zulassen. Ein nicht zu hinterfragender Gehorsamsanspruch wird auch bei der für das Militär typischen „Uniformität“ erhoben und zur systemimmanenten Selbstverständlichkeit verklärt, jede Abweichung ist eine „zu ahndende Disziplinlosigkeit“ (KLÖSS/GROSSMANN 1974: 116). Unregelmäßigkeiten der Uniform und im Innendienst sind beispielhaft zu nennen. Am markantesten für diese Sinnlosigkeit ist das Thema „Stubendurchgang“ mit seinen unendlichen Schikanemöglichkeiten. In den mündlichen Geschichten ehemaliger Wehrpflichtiger genießt der Stubenmülleimer einen Ehrenplatz, insbesondere der „dreckige Mülleimer im Spind und der saubere Vorzeige-Mülleimer“. Die als sinnlos, böswillig, entwürdigend oder schikanös empfundenen Herabsetzungen durch scheinbar sinnlos eingeforderten Gehorsam diskreditieren in jedem Falle den Vorgesetzten und motivieren den Mannschaftssoldaten, sich elegant aus der Affäre zu ziehen.
Der Grundgedanke des Gehorsamsanspruches wurde in der neueren Bundeswehr prinzipiell nicht verändert, doch wurde die an Regeln gebundene Gehorsamspflicht teilweise verwirklicht. Es gibt Einschränkungen bezüglich der Vorgesetzteneigenschaft und unverbindliche Befehle brauchen bzw. dürfen nicht ausgeführt werden – nämlich dann, wenn sie keinen dienstlichen Zweck erfüllen, gegen die Menschenwürde verstoßen oder zu einer Straftat auffordern. Eine Grauzone bleibt.
Wolf von Baudissin führte 1955 ein modernes Menschenbild und die Schlagkraft einer Armee zusammen im „Leitbild des zukünftigen Soldaten“: „Ein Untertanenverhältnis widerspräche nicht nur unserer Gesellschaftsordnung, sondern würde die Entfaltung und Einordnungsbereitschaft gerade derjenigen hindern, die durch Intelligenz und Selbstbewusstsein wichtige Glieder jeder staatlichen und soldatischen Gemeinschaft sind.“ (MOSEN 1967: 122) Die innere Führung der Bundeswehr in der ZDv 10/1, heute A-2600/1, inhaltlich schon vor dem Aufbau der Bundeswehr kreiert, formuliert den Neuanfang im soldatischen Menschenbild nach 1945. Als Auslegung des Soldatengesetztes kommentiert die Vorschrift u. a. folgende Inhalte:
Gefunden war ein Kompromiss, Lehren zu ziehen aus den Erfahrungen mit der kaiserlichen Armee, der Reichswehr und der Wehrmacht mit absolutem Gehorsam einerseits und dem modernen, demokratischen Ansatz einer Einsicht des Soldaten in notwendige Funktionsmechanismen militärischer Effizienz mit dem aus dieser Einsicht entstehenden „freiwilligen Gehorsam“.
Nach MOSEN (1967: 130ff) ist die „Innere Führung“ ein guter Ansatz, gut gemeint, durchaus anzustreben und wünschenswert, aber nur begrenzt wirksam, weil Notwendigkeiten und Üblichkeiten militärischer Führung oft konträr zum Ideal des „Staatsbürgers in Uniform“ mit freiwilliger Entscheidung zur Unterordnung stehen. Somit sei die Innere Führung gleichzeitig jedoch auch überbetont und vielfach heuchlerisch, weil damit euphemistisch die Realität verzerrt wird. Gleichwohl sei im modernen militärischen Umfeld der Ansatz der Inneren Führung wohl die geeignetste Methode, um aus Vorgesetzten und Untergebenen tatsächliche Vorgesetzte und Gefolgschaft zu formen, um aus der formalen Vorgesetzteneigenschaft auch die weitaus wirksamere, informelle Gruppenführerschaft zu machen.
Ein Beschwerderecht im Kaiserreich existierte, es war aber aufgrund der Möglichkeiten der Ablehnung durch Vorgesetzte und der mit einer Beschwerde verbundenen Gefahren für den Beschwerdeführer oft nur ein Scheinrecht. Das Beschwerderecht im Dritten Reich war deutlich umfassender und weitreichender. Angesichts der Willkürmöglichkeiten unter dem NS-Regime war es allerdings ebenso wenig wirksam (HAASE/PAUL 1995: 32) und nach Einschätzung von WETTE (1992: 195) existierte praktisch kein Beschwerderecht.
In der Bundeswehr ist des Beschwerderecht über den Dienstweg ausgeprägt und wird häufig genutzt, die Angst vor Repressionen dürfte geringer ausgeprägt sein. Die Sorge des Beschwerdeführers vor Nachteilen existiert natürlicherweise noch immer und Beschwerden können im Zusammenhang mit Bearbeitung und Antwort auf dem Dienstweg „entschärft“ werden. Ich selbst schrieb während der AGA eine Beschwerde über die grobe Behandlung durch einen Sanitätsfeldwebel. Mein Kompaniechef versprach, mit dem Feldwebel zu sprechen, und bat mich, die Beschwerde zurückzuziehen, was ich auch tat.
In der Bundeswehr ermöglichen die dienstgradgruppenintern gewählten Vertrauensleute, Klagen und Beschwerden einzelner oder mehrerer Soldaten unter Umgehung des verursachenden Vorgesetzten zu formulieren und über den nächsthöheren Vorgesetzten öffentlich zu machen. Gleichen Zweck hat der Wehrbeauftragte, der vollständig unter Umgehung des Dienstweges angeschrieben werden kann. Inwieweit auch die Möglichkeiten der Militärseelsorge für Klagen und Beschwerden „zweckentfremdet“ werden, bleibt unklar.
Die Militärgerichtsbarkeit der Kaiserzeit umfasste alle militärischen und zivilen Verfehlungen des Soldaten und war so ausgelegt, dass Disziplin, Funktionsfähigkeit und Ansehen in der Gesellschaft maximal geschont bzw. gefördert wurden. Das Fehlen ziviler Zuständigkeit sicherte der militärischen Führung uneingeschränkte Handlungs- und Meinungsführerschaft während der jahrelangen Dienstzeit. Die Militärgerichte waren bis auf Ausnahmen nicht mit Juristen besetzt, sondern je nach Schwere, Dienstgrad und Berufungsinstanz mit Offizieren des Regimentes, der Division oder des Armeekommandos. Strafen wurden z. T. in militärischen Einrichtungen verbüßt (DILTHEY 1915: 65).
Lt. HAASE/PAUL (1995: 39) war die Militärgerichtsbarkeit allerdings „nicht besonders hart“ im Vergleich zur Zeit davor und später im Dritten Reich. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gab es im Militärstrafgesetzbuch von 1872 nicht, Kriegsdienstverweigerer wurden üblicherweise wegen „Fahnenflucht“ oder „militärischem Ungehorsam“ mit ein bis zwei Jahren Gefängnis bestraft. Wegen hier ungenannter Delikte wurden in der Kaiserzeit 150 Todesurteile verhängt, davon 48 vollstreckt (HAASE/PAUL 1995: 87).
Im Dritten Reich wurde die in der Weimarer Republik durch den Versailler Vertrag ausgesetzte Militärgerichtsbarkeit wieder eingeführt. Die deutlich strengeren Gesetze, insbesondere das „Heimtückegesetz“ von 1934, die „Kriegsstrafverfahrensordnung“ (mit verkürztem Strafverfahren ohne Instanzenzug und ohne Berufungsmöglichkeit) und die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ (mit dem Tatbestand der Zersetzung, beide von 1938/1939) samt ihrer nationalsozialistischen Auslegung führten zu 30 000 bis 50 000 verhängten Todesstrafen, wovon etwa zwei Drittel vollstreckt wurden (HAASE/PAUL 1995: 48, 123). Geschätzt 15 000 Todesurteile gegen Deserteure wurden vollstreckt. Ohne die standrechtlichen Erschießungen der letzten Kriegsmonate wird bis Mitte 1944 insgesamt von 370 000 Haftstrafen über sechs Monaten ausgegangen, geschätzt wurden mindestens 3 Mio militärgerichtliche Strafverfahren in Heer, Luftwaffe und Marine durchgeführt (HAASE/PAUL 1995 64). Ein Verteidiger des Angeklagten war dabei nur bei möglicher Todesstrafe vorgesehen, die Revision von Urteilen existierte praktisch nicht und die Militärrichter waren weisungsgebunden integriert in die Militärhierarchie. Begriffe wie „Lähmung des Wehrwillens“ oder „Wehrkraftzersetzung“ ermöglichten weit interpretierbare Tatbestände: Schon geringfügige Taten, Zweifel am Endsieg oder herabwürdigende Bemerkungen im Familien-, Freundes- oder Kameradenkreis konnten – oft auch durch Denunziation – mit mehrmonatigen Haftstrafen oder der Todesstrafe belegt werden. Fahnenflucht, Kapitulation oder Überlaufen zum Feind wurden regelmäßig mit dem Tode bestraft (HAASE/PAUL 1995: 105ff, 177f) und Delinquenten mindestens seit Januar ‘45 auch öffentlich gehängt mit einem Hinweisschild auf Feigheit (WETTE 1992: 279ff).
Haftstrafen wurden in speziellen Militärhaftanstalten (Emslandlager, Torgau usw.) vollzogen oder teilweise bis zum Kriegsende ausgesetzt, in der Zwischenzeit mussten die Verurteilten in „Bewährungsbataillonen“ unter erschwerten und besonders gefährlichen Bedingungen Dienst tun. Auch kam es vereinzelt zu Haftstrafen von Familienangehörigen im Rahmen einer „Sippenhaft“ (HAASE/PAUL 1995: 72ff, 144, 166, 172).
Kriegsdienstverweigerung wurde im Dritten Reich fast ausschließlich religiös begründet. Es gab nur einige hundert Fälle abgeurteilter Kriegsdienstverweigerer, sie wurden fast ausschließlich mit dem Tode bestraft und das Urteil mit dem Fallbeil vollstreckt (HAASE/PAUL 1995: 85ff). Weitere Informationen und Details zu den darüberhinausgehend genutzten Strafmöglichkeiten der Wehrmacht bis hin zur Überstellung an reguläre Konzentrationslager werden in HAASE/PAUL dargelegt.
Das Wehrstrafgesetz der Bundesrepublik beinhaltet Delikte wie Fahnenflucht, Meuterei, Befehlsverweigerung, Misshandlung Untergebener und Missbrauch von Befehlsgewalt, welche erstinstanzlich durch Truppendienstgerichte (ein ziviler Richter und zwei Soldaten als ehrenamtliche Richter) und danach durch die zivile Verwaltungsgerichtsbarkeit behandelt werden. Andere Straftaten werden durch das zivile Strafrecht abgedeckt. Besondere Gerichte sind – außer planmäßig im Verteidigungsfall – nicht eingerichtet, Straftaten gegen die Bundeswehr oder Tatbestände des Soldatengesetzes/Wehrstrafgesetzes werden vor zivilen Straf- und Verwaltungsgerichten abgehandelt, Kriegsdienstverweigerung vor Verwaltungsgerichten.
Undiszipliniertes Verhalten ohne strafrechtliche Relevanz (kurzfristige Abwesenheit, ungebührliches Benehmen, Ungehorsam, Schlamperei usw.) wurde auch früher innerhalb besonderer, den Disziplinarvorgesetzten (Offizier in Dienststellung Kp-Chef/BtlKdr aufwärts bis zur Armee) vorbehaltenen Disziplinarregelungen verfolgt. In der Kaiserzeit waren sie zwar als „Disziplinarstrafrecht“ bezeichnet, im Regelfalle bezogen sich die Maßnahmen jedoch auf Verweise, zusätzliche Dienste und Ausgangssperren bis zu maximal vier Wochen sowie Arrest bis drei Wochen sowie Herabsetzung im Dienstgrad (DILTHEY 1915: 74).
Disziplinarrechtlich konnten in der Reichswehr der Weimarer Republik durch Kompaniechefs Verweise, Zusatzdienste, Ausgangssperren bis zu vier Wochen, Arrest bis zu 14 Tagen und verschärfter Arrest bis zu zehn Tage verhängt werden. Damit genoss diese Führungsebene größere Kompetenzen als zur Kaiserzeit, weil eine Militärjustiz durch den Versailler Vertrag nicht zugelassen war. Die Rechtslage wurde im Dritten Reich nicht verändert (HAASE/PAUL 1995: 31).
Die Wehrdisziplinarordnung der Bundeswehr kennt finanzielle Disziplinarbußen, Ausgangsbeschränkungen, Arrest (üblich durch Disziplinarvorgesetzte), Besoldungskürzungen, Herabsetzung im Dienstgrad, Beförderungssperren (im Regelfall durch Truppendienstgerichte mit zivilem Richter und zwei Soldaten als ehrenamtliche Richter/zivile Verwaltungsgerichte).
„Unerlaubtes Entfernung von der Truppe“ (kurzfristig) und Fahnenflucht (längerfristig) wurden in der Kaiserzeit mit Arrest/Haftstrafe, im Dritten Reich mit Arrest/Haftstrafe oder Todesstrafe belegt, in der Bundeswehr wieder mit Arrest/Haftstrafe.
Untersuchungen über die Abwesenheit von der Truppe aus dem Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre weisen darauf hin, dass die überwiegenden Gründe im privaten Bereich der Wehrpflichtigen liegen bei geschätzt 10 000 Tatbeständen jährlich; dienstliche Gründe würden fast nie eine Rolle spielen (SCHÖSSLER 1980: 240ff). Überwiegend würden die Taten am Wochenende begangen und das mehrheitlich von Soldaten aus bildungsfernen Schichten. Es wird das Stichwort der „Drückebergerei der sozial Unterprivilegierten“ verwendet. Dieses korreliert demnach insgesamt mit Zwischenfällen wie Schlägereien nach erhöhtem Alkoholkonsum.
Ausführlich beschreibt BIGLER (1963: 168ff) die Diskussionen in der frühen Bundeswehr über Sinn, Form, Wert und Unwert der Disziplin sowie ihre Bedeutung für eine Gruppe und die Kampfkraft einer Armee.
In einer Befragung des SoWiBw 1993 empfanden 40 % der westdeutschen Wehrpflichtigen zu viel Disziplin, 49 % gerade richtig und 11 % zu wenig (COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER 1994: 153).
In der Kaiserzeit war der Soldat weitgehend hoch angesehen, Denkmäler für Soldaten waren allgegenwärtig, „Heldengedenktage“ üblich. Die Quellenlage zur Besoldung ist jedoch dünn. Eine finanzielle Unterstützung für Soldatenfamilien wurde erst nach Kriegsbeginn eingeführt, sie deckte weniger als die Hälfte der minimalen Lebenshaltungskosten (WEHLER Bd4 2009: 102). In KRUSE (1997: 112) wird von einer „Unterstützung“ für Soldatenfamilien im Ersten Weltkrieg gesprochen, die durch Zuverdienst der Frau möglicherweise gekürzt wurde. Die allgemeine Sozialversicherung gab es seit 1885, das Militärhinterbliebenengesetz vom 17.05.1907 regelte die Versorgung der Kriegerwitwen in Deutschland.
Interpoliert nach WEHLER (Bd3 1995: 606) verdiente ein Hauer im Bergbau um 1900 etwa 110 Mark/Monat. Mannschaften um 1900 erhielten 6 bis 10 Mark/Monat und Unteroffiziere etwa 20 Mark. Bei Kriegsbeginn lag der Sold etwa doppelt so hoch, alles bei freier Bekleidung, Wohnung und medizinischer Versorgung. Mannschaften waren grundsätzlich unverheiratet. Der Sold wurde wöchentlich in bar ausgezahlt. Es gab die Möglichkeit, dem Soldaten auf dem Dienstweg über den Kompaniefeldwebel Geld per Postanweisung zu überweisen. Leutnante kamen auf bis zu 160 Mark/Monat inkl. Wohnungszuschüsse und Hauptleute auf 400 Mark/Monat. Da Kost und Logis praktisch frei waren, konnten Mannschaften und Unteroffiziere einen sparsamen Lebensunterhalt bestreiten. Die finanziellen Verhältnisse der unteren Offiziersdienstgrade waren schlecht, Leutnante waren wegen des erwarteten repräsentativen Lebensstandards auf Unterstützung durch das Elternhaus angewiesen. Dies sorgte für eine soziale Auswahl. Feste Verpflichtungszeiten gab es nicht (BOYSEN 1912: 9, LAHNE 1965: 205, 353, außerdem Fußnote[8]).
Im Dritten Reich war die soziale Anerkennung des Soldatenstandes ebenfalls hoch, die sozialpolitische und finanzielle Ausstattung und die Unterhaltsicherung im Vergleich zur Kaiserzeit gut (WEHLER Bd3 1995: 739). Wehrpflichtige Mannschaftssoldaten bekamen Ende 1941 30 Mark/Monat in drei Abschlagszahlungen (HEINZ TRENCKMANN, Brief vom 25.10.41). Kost/Logis/medizinische Versorgung waren frei, außerdem einige Fahrten mit der Bahn. Daneben gab es Familienunterhalt bei Soldaten mit unterhaltsberechtigter Familie. Zeitsoldaten bekamen als Mannschaftssoldat 110 Mark/Monat, als Unteroffizier etwa 180 bei ebenfalls freier Kost/Logis/medizinischer Versorgung, Leutnante 300, Hauptleute 600 Mark/Monat. (Zum Vergleich: Ein Arbeiter verdiente etwa 120 Mark/Monat, ein Angestellter etwa 200, alles ohne Angabe des Bezugsjahres). Im Krieg gab es zusätzlich 1 Mark/Tag als Frontzulage[9].
Es existierte ein Wehrmachtsfürsorge und -Versorgungsgesetz vom 26.08.1938 und ein Einsatz-Wehrmachtgebührnisgesetz (EWGG).
Die finanziellen Leistungen der jungen Bundesrepublik an die ehemaligen Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangenen und deren Angehörige waren durch die finanzielle Lage der 1950er Jahre sehr begrenzt. Wehrdienstzeiten wurden eingeschränkt auf die Altersrente angerechnet.
In der Bundesrepublik lag und liegt das gesellschaftliche Sozialprestige des Soldaten unvergleichlich niedriger als im Dritten Reich, weil durch die Wehrpflicht praktisch aber lange Zeit jede Familie betroffen war, war ein hohes gesellschaftliches Interesse und eine starke Akzeptanz bis in die 80er Jahre hinein zu beobachten.
Der Wehrsold für Wehrpflichtige lag im Jahr 1982 bei etwa 250 bis 300 DM, monatlich in bar ausgezahlt durch den Rechnungsführer der Kompanie. Hinzu kamen monatlich etwa 10 bis 50 DM an Zulagen wie „Buschgeld“, Essens- und „Unterhosengeld/Wäschegeld“ sowie ein Entlassungsgeld nach 15 Monaten von etwa 900 DM, ebenfalls in bar. Kost und Logis in der Kaserne waren frei, es gab freie Heilfürsorge und seltene Freifahrten mit der Bahn sowie Unterhalt-Sicherung für unterhaltsberechtigte Familie. Zeit- und Berufssoldaten wurden nach Beamtenbesoldungsregeln bezahlt. Für Wehrpflichtige im Jahre 2009 gab es 280 bis 350 Euro/Monat, überwiesen auf das private Bankkonto, Bedingungen und Zulagen entsprechend wie oben beschrieben und zusätzlich wöchentliche Freifahrten mit der Bahn.
Bezüglich der Altersrente gab es bis Ende 1981 einen Entgeltpunkt je Jahr, danach bis Ende 1991 nur noch 0,75, von 1992 bis 1999 waren es 0,8, von 2000 bis 2019 dann nur noch 0,6 Entgeltpunkte. Die Rentenpunkte richteten sich aber nicht nach dem tatsächlichen Verdienst beim Bund, sondern nach der Anrechnung der bundesrepublikanischen Mindesteinkommenswerte: 60 % der allgemeinen Bezugsgröße bis 01.01.2020, danach 80 %. Je nach vorheriger Lohnsituation und für Wehrübende gab es also vielfach rentenmäßige Nachteile, eine verfassungsmäßige Überprüfung dieser Ungleichbehandlung hat nie stattgefunden.
Als nicht wertschätzend empfanden viele Beteiligte auch die jahrelangen Dispute um eine angemessene Versorgung für die in „auslandseinsatz- und einsatzähnlichen Verpflichtungen“ geschädigten Soldaten. Dies spiegelt sich in einigen Nachbesserungen wider:
Erinnert sei hier auch an die Streitigkeiten bezüglich der durch Radarstrahlung geschädigten Soldaten aus Bundeswehr und NVA. Weiterer Mosaikstein der Loyalität der Bundesrepublik gegenüber ihren Wehrdienstleistenden war die Rücknahme der „Anrechnungsfähigkeit der Unterhaltsicherungsleistungen von Reservisten und FWDL“ auf ein mögliches Erziehungsgeld 2008 bis 2012 nach der alten Fassung des BEEG § 2 Absatz 7, welches mit einer Änderung 2012 ersatzlos gestrichen wurde (Die Bundeswehr, Ausgabe Sept. 2022, Seite 71).
Insgesamt ist daher von einer „nur mäßigen“ finanziellen Versorgung der Wehrdienstleistenden der Bundeswehr auszugehen.
Die Grenzen zwischen einem als sinnlos empfundenen Befehl und Anordnungen, die auch von Außenstehenden als Schikane empfunden werden, verlaufen fließend und liegen natürlicherweise im Auge des Betrachters. Schikanen in den Streitkräften sind typischerweise bösartig übertriebene Durchführungen grundsätzlich sinnvoller Tätigkeiten. Reinigungsarbeiten, körperliche Ertüchtigung, Formal- und Waffenausbildung können typischerweise sachlich oder absichtlich hektisch-stressig überfordernd durchgeführt werden. Objektiv erkennbar wird Schikane als Maßregelung (Bestrafung/ Disziplinarmaßnahme/erzieherische Maßnahme) des Soldaten durch Maßnahmen, die mit einem festgestellten Mangel nicht in Verbindung stehen. Jedoch lässt sich fast immer ein innerer (Ausbildungs-)Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Maßregel konstruieren. So zieht der Vorgesetzte die Abgrenzung zwischen sinnvoller und schikanöser Ausbildung bzw. Behandlung meistens anders als der Mannschaftssoldat.
Hier liegt die rechtliche Grauzone; Schikanen sind bereits seit der Kaiserzeit nicht zulässig. Solange schikanöse Behandlung nicht die Gesundheit oder Einsatzfähigkeit des Soldaten beeinträchtigte, wurden in allen deutschen Armeen dennoch Schikanen als erzieherische Maßnahme und disziplinbildend angewendet und akzeptiert. Schikanöses Verhalten von altgedienten Mannschaften gegenüber Rekruten und „Neulingen“ kam ebenfalls vor.
„Im Dezember 1938 bemängelte der Oberbefehlshaber des Heeres (…) Missbrauch und Schikanen, unablässig wurde deshalb darauf hingewiesen, dass Misshandlung und törichte Erziehungsmethoden zu unterlassen seien, dass es keine kränkende Anspielung auf den Zivilberuf geben dürfe, dass Takt, Fürsorge und Vertrauen zum charaktervollen Kämpfer erziehen sollten und übertriebener Drill und eintöniges Exerzieren unterbleiben solle, stellte das 7. Armeekorps klar. Trotzdem ließen Unteroffiziere Rekruten auf die Spinde klettern, unter Betten kriechen, bei Nichtigkeiten 50 Kniebeugen machen oder sie jagten sie bei Wind und Wetter um den Kasernenblock; vor allem geschah dies in der Grundausbildung.“ (NEITZEL 2021: 123). In den Briefen aus der Grundausbildung schildert Heinz Trenckmann 1941 vor allem schikanöses Reinigen. Die harte Geländeausbildung in Schlamm und Kälte werden angesichts des laufenden Krieges bereitwillig akzeptiert.
Der schikanös behandelte Soldat empfindet seine Wertlosigkeit im System, seine Recht- und Hilflosigkeit ist für ihn entwürdigend und damit wirkt Schikane natürlich demotivierend. So schrieb Heinz Trenckmann am 30.10.1941 nach Hause: „Ich habe meine drei Tage Stubendienst ganz gut überstanden. Man wird aber sonst hier tüchtig zur Gleichgültigkeit erzogen, da die Unteroffiziere doch immer meckern, ob es gut ist oder nicht.“ Die Angst vor Schikanen wirkt beim Mannschaftsdienstgrad wie die Angst vor Bestrafung. Schikanöses Verhalten ist typischerweise mit bestimmten Vorgesetzten verbunden, es sind typischerweise immer dieselben, die damit auffallen. Im Extremfall sind diese Vorgesetzten die ersten, die bei sich bietender Gelegenheit in Selbstjustiz erschossen werden.
Und so gehört schikanöses Behandeln „Schwächerer“ zum Militär und hat sich im Zeitablauf gewandelt, ist jedoch nicht verschwunden.
Matrose Richard Stumpf schrieb am 22.02.1917 (WETTE 1992: 29): „Schon beim Gefechtsdienst in der Frühe, da wurden wieder alle Dressurkunststücke mit den dazugehörigen Schikanen und Kleinigkeiten vorgeführt. Ich weiß nicht, ob ich mich eines Tages nicht doch vergesse? (…) hätte ich meinen Ingrimm schon längst an einem Kerl gekühlt, der alles getan hat, um die Ideale der Vaterlandsliebe und Gerechtigkeit in meinem Herzen zu zerstören (…) das gelang dem System des Militärs: Ich habe diese verkörperte Autorität hassen und verachten gelernt (…)“ Er drückt damit exakt meine Gefühle aus während meiner Einführungsausbildung in der Stammeinheit im Herbst 1981.
Heinz Trenckmann erinnert sich: „Nach dem Motto ‚alle für einen‘ wurde unter Umständen geschliffen. Wenn ein einziger etwas z. B. vergessen hatte beim Antreten oder falsch gemacht hatte beim Exerzieren, dann mussten alle ran.“
Insbesondere das Brüllen und Herstellen eines Zeitdrucks wird als Schikane empfunden. REGENER schildert einen Tag in der Grundausbildung im Sommer 1980 Jahre zusammenfassend: „Der folgende Tag hatte es in sich. Es schien, als sei der freie Abend am Mittwoch nur eine trügerische Verschnaufpause gewesen, ein kurzes, verwirrendes Lockern der Leine, die sich am Donnerstag um so straffer anzog. Frank schien es im Nachhinein, als sei der Donnerstag seiner ersten Woche bei der Bundeswehr der längste Tag seines Lebens gewesen, ein Tag, der mit peniblen und mehr als bösartigen Stuben- und Spindkontrollen begann und mit ebenso peniblen und bösartigen Stuben- und Spindkontrollen zu Ende ging, dazwischen angefüllt mit Antreten, Marschieren, Stillgestanden, Rühren, Grüßen, Tarnen, Kriechen im Gelände mit ABC-Schutzausbildung und anderen Dingen mehr, bei denen sie gar keine andere Wahl hatten, als dumm dazustehen, und deshalb unaufhörlich das je nach Charakter entnervte, wütende, aufmunternde, gelangweilte, fröhliche, aufgesetzte, routinierte, immer aber einschüchternde Gebrüll ihrer Vorgesetzten über sich ergehen zu lassen. Einen Tag, an dessen Ende Frank alle Hoffnung fahren ließ, dass er sich jemals an diese Welt würde gewöhnen können.“ (REGENER 2004: 75)
„Er konnte die Angst, die er beim Gebrüll der Vorgesetzten immer wieder empfunden hatte, nicht mehr verstehen, auch nicht die Selbstverständlichkeit, mit der er alle an ihn gerichteten Befehle befolgt hatte, nicht den Terror der Stuben- und Spindkontrollen und auch nicht mehr die Angst davor, aus der Masse seiner Kameraden herausgepickt zu werden.“ (REGENER 2004: 83)
WETTE (1992: 186) liefert neben dem Reinigen mit der Zahnbürste (ebenso schriftlich bei Heinz Trenckmann) und dem wiederholten „Finden“ von Dreck in der gereinigten Stube (ebenso bei allen vier Trenckmanns) viele Beispiele für Schikanen während der Ausbildung in der Wehrmacht. Demnach auch typisch ist der „Maskenball“ (den ich selbst als erzieherische Maßnahme genau so erlebt habe): „(…) dann wurde Appell gemacht und dann war das natürlich wieder nichts: Das war logisch, nicht? (…) Maskerade: (…) Und es wurde eben einmal feldmarschmäßig und einmal mit Sturmgepäck und einmal mit Drillich-Zeug und mit Turnzeug angetreten, dann waren die Spinde nicht zu in der Eile, da muss er schon wieder pfeifen (…) Dann hat er rein geguckt (…) Dann hat er gemeckert draußen wieder: Also hier ein Saustall ist gar nichts, das ist unerhört.“ Typische Schikanen der Wehrmacht in der Ausbildung waren nach WETTE (1992: 194):
Sebastian Trenckmann schreibt in seinen Erinnerungen von 2010: „Nicht zu schaffen dagegen war es, innerhalb von 20 Sekunden vor dem Block anzutreten, wenn der Oberfeldwebel im Flur brüllend es befahl. Die Kleinsten von uns, die am weitesten von der Treppe im zweiten Stock standen, brauchten trotz halsbrecherischen Tempos auf der Treppe mindestens 25 Sekunden. Das befanden die Ausbilder als zu langsam und schickten uns dann gleich wieder treppauf. Und befahlen uns dann mehrfach, abwechselnd auf dem Flur und vor dem Block anzutreten. Und ab dem zweiten oder dritten Mal wurden wir deutlich langsamer. Das war wirklich unnötige Schikane, von der es zum Glück aber nur wenig gab“.
Sicher waren die Schikanen in der Bundeswehr nach Art und Umfang geringer ausgeprägt als in der Wehrmacht. Und es ist davon auszugehen, dass sie in der Kaiserzeit noch häufiger und intensiver vorkamen. Gleichwohl kommt es immer auch auf die „Härte“ oder Sensibilität eines Menschen an, um eine Handlung als gewöhnlich oder schikanös zu empfinden. Schikanen wurden und werden grundsätzlich versucht zu vertuschen, denn verboten sind sie seit der Kaiserzeit. Wer allerdings den soldatischen Dienstalltag kennt, wird sich nicht wundern, dass es sicher keinen ehemaligen Wehrpflichtigen gab oder gibt, der nicht von selbsterlebten Schikanen berichten kann. Und es spricht Bände über das System Militär, wenn mehr als 100 Jahre lang der Stubendurchgang sinnbildlich für Willkür gegen den Wehrpflichtigen steht.
Für den die Wehrpflicht ableistenden Mannschaftsoldaten ist der vorgesetzte Unteroffizier, Feldwebel oder Offizier die „Wirkungsmacht“ schlechthin. Der kompetente, gerechte, freundliche Vorgesetzte, der eine faire Fehlerkultur an den Tag legt, der „Nutzloses“ vom „Zweckmäßigen“ trennt und Lasten und Freuden teilt, ist hoch angesehen bei denen, die sein Verhalten so beurteilen. Natürlicherweise gelingt es leider nie, diese Kriterien in den Augen aller Akteure zu erfüllen. In VOGT (1988: 40) werden die Vorgesetzten in vier grundsätzliche Gruppen eingeteilt:
Der Mannschaftssoldat hat in der Regel ein feines Gespür und so kommt es oft zur weitgehend kompanieeinheitlichen Beurteilung von Vorgesetzten durch ihre Untergebenen. Umfragen unter Wehrpflichtigen des SoWiBw 1989 ergaben, dass 80 % oder mehr das fachliche Können ihrer Vorgesetzten als durchschnittlich oder besser einschätzen, 45 bis 58 % urteilten, dass ihre Vorgesetzten die alltäglichen Härten kaum oder nicht teilen. 40 % gaben wenig oder kein Vertrauen in ihre Vorgesetzten an. Weniger als 40 % waren sich sicher, dass ihre Vorgesetzten Vertrauen in sie hätten, weniger als 10 % beurteilten den Zusammenhalt in der Kompanie als schlecht oder eher schlecht. Für Heeressoldaten wurde festgestellt, dass das Verhältnis der Mannschaften untereinander zu mehr als 86 % gut oder sehr gut war, das der Mannschaften zu Unteroffizieren ohne Portepee zu 60 %, zu Uffz m. P. zu 43 %, zu Leutnanten/Oberleutnanten und auch zum Kompaniechef zu 42 % (KLEIN, 1991: 24). Mit dem Dienstgrad wächst natürlicherweise die Distanz, weil Berührungspunkte und Sozialisation auseinanderlaufen. In einer anderen Umfrage des SoWiBw unter Wehrpflichtigen des Heeres im Jahr 1986 erhielten 60 % der Uffz o. P. ein fachliches „ausreichend“, Uffz m. P und Offz zu 70 %. 1993 beurteilten jeweils 83 bis 89 % der Bw-Wehrpflichtigen die Qualität als „sie verstehen ihr Handwerk“ und ihrer Vorgesetzten als „menschlich in Ordnung“ (COLLMER/KLEIN/LIPPERT/MEYER 1994: 102f). Die grundsätzlich und dauerhaft positiven Auswirkung einer „sorgend-väterlichen“ Interaktion der Vorgesetzten mit den Untergebenen beschreiben ausgiebig ROGHMANN/ZIEGLER (1977: 179ff).
Nach BALD (1982) bildete das Offizierskorps seit der Reichsgründung 1871 ein dem adelig-monarchistischen System tief verbundenes Ganzes. Die Aufnahme nichtadeliger Männer in die Laufbahn der Offiziere aufgrund ihres Bildungsabschlusses Abitur/Prima-Reife und die Vorgabe des Abiturs auch für Adelige war der Tatsache geschuldet, dass die technisch und organisatorisch komplexer werdenden Streitkräfte einen höheren Bildungsstand der Vorgesetzten verlangten und der Adel in der Zeit der Heeresvermehrung um 1890 und 1900 zahlenmäßig die Rekrutierungsquote nicht erfüllte. Damit verbunden war eine größere Fixierung auf militärische Leistung, ohne den Blick auf sozialpolitische Aspekte zu verlieren. So sagt ein kaiserlicher Erlass über die Ergänzung des Offizierskurses vom 29.03.1890: „Der gesteigerte Bildungsgrad unseres Volkes bietet die Möglichkeit, die Kreise zu erweitern, welche für die Ergänzung des Offizierskurs in Betracht kommen. Nicht der Adel von Geburt allein kann heutzutage wie vordem das Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, der Armee ihre Offiziere zu stellen. Aber der Adel der Gesinnung, der das Offizierskorps zu allen Zeiten beseelt hat, soll und muss demselben unverändert erhalten bleiben. Und das ist nur möglich, wenn die Offiziersaspiranten aus solchen Kreisen benannt werden, in denen dieser Adel der Gesinnung vorhanden ist. So (…) erblicke ich die Trägerschaft der Zukunft meiner Armee auch in den Söhnen ehrenwerten bürgerlichen Häuser, in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für den Soldatenstand und christliche Gesittung gepflegt und anerzogen werde.“ (BALD 1982: 39)
Die „richtige“ Gesinnung des Offizierskorps für antirevolutionäre Einsätze im Inneren (wie 1844 oder 1848) sollte jedoch nicht durch ungeeignetes Personal aus dem Bürgertum verwässert werden (CRAIG 1960: 257ff) und so kam es zum schleppenden Ausbau der Heeres bis 1911, obwohl dieser politisch und aufgrund der Bedingungen des Schlieffen-Plans zwischen 1895 und 1906 gefordert war. Erst 1912 kam es dann zu einer deutlichen Heeresvergrößerung aufgrund der Marokko-Krise (WEHLER Bd3 1995: 1109). Die standesbewusste Gesinnung des Offizierskorps blieb erhalten und wie handlungstreibend diese Gesinnung war, zeigt die Vertuschung der Zabern-Affäre 1913/1914 (WEHLER Bd3 1995: 1 126f).
Das „Humanistische Gymnasium“ war weitgehend dem konservativen Bürgertum vorbehalten und sorgte gemeinsam mit der Befürwortung durch den Regimentskommandeur und der „Offizierwahl“ des Regiments für das bürgerlich akzeptierte System der konservativ-vaterländischen Armee, die einem Kaiser als Anführer folgte und gleichzeitig als sozialpolitisch unkritisch galt (BALD 1982: 149).
WEHLER (Bd 3 1995: 821) betont, dass im Rahmen der drei Erfolge bei den Einigungskriegen 1864 bis 1871 das gesellschaftliche Prestige des Berufsoffiziers stark zunahm und er „an die Spitze der Prestige-Hierarchie“ aufstieg. „Habitus, Verhaltensstil, Werte- und Normenkanon des adeligen Offiziers bekamen (…) ausstrahlenden Vorbildcharakter, der den neuartigen sozialen Militarismus (…) förderte.“
Das deutsche Militär wurde nach NEITZEL (2021: 30) zum Ende des 19. Jahrhunderts hin immer stärker durch das Bürgertum dominiert. Schon 1880 entstammten 51 % der Leutnante der preußischen Armee dem Bürgerturm und nicht mehr dem Adel. Der hatte demzufolge in dieser Periode statistisch gesehen keine privilegierten Karrierechancen mehr: Zugang zu Bildung war das konservative Eingangstor. Allerdings gab es Abschottungstendenzen gegen Juden: Bis 1913 verfügten die Armeen des Kaiserreichs über keinen einzigen aktiven jüdischen Offizier und nur eine Handvoll Reserveoffiziere, obwohl zehntausende Deutsche jüdischen Glaubens als Einjährig-Freiwillige dienten bzw. gedient hatten.
Nach MÜNCKLER (2013: 67) existierte ein „feudales“ Element des Militärs: Das Militär verlieh dem Adel Reputation, war ggf. Mittel gegen die Untertanen und Instrument des Staatenkrieges. Eine völkische Art von Militarismus verbreitete sich im Bürgertum und später bei den Kleinbürgern: Patriotismus, mit dem das Volk für die großen weltpolitischen Ziele reif gemacht wurde, sowie die Heroisierung eines Krieges als höchste Äußerung völkischen Lebenswillens. Dies manifestierte sich in antirepublikanischen, antiparlamentarischen, antiliberalen und antimodernistischen Positionen, die von den Kreisen der militärbegeisterten Zivilgesellschaft übernommen wurden. Das Offizierskorps war weitgehend ideologisch einheitlich geprägt und prägte so auch alle Unteroffiziere und Mannschaften. Da dieses Denken karrierefördernd war, versuchten die meisten, sich daran auszurichten. Die durch den Kaiser überhöhte, öffentlich geförderte Attraktivität und das damit verbundene Prestige taten ihr Übriges. Demokratiefeindlichkeit blieb maßgeblich für die Zeit der Weimarer Republik bestehen und erleichterte es im Dritten Reich, den Soldaten bedingungslos auf den „Führer einzuschwören“. „Die politisch-ideologische Restauration der 30er Jahre hatte ihren sozialen Unterbau erhalten. Während das antisozialistische Kaiserreich aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht auch die sozialdemokratische Arbeiterschaft in seine Armee als Rekruten aufnehmen musste, bekam die Weimarer Republik aufgrund der Bestimmungen über das Hunderttausend-Mann-Heer ein mehr oder weniger sozialistenreines Heer. Diese Entwicklung wurde mit der Devise der politischen Neutralität der Reichswehr noch weiter gefestigt.“ (BALD 1982: 51)
Das monarchisch-konservativ-nationale Leitbild des Offiziersnachwuchses aus den Familien des Adels und der Offiziere, der Gutsbesitzer, der höheren Beamten und des Bildungsbürgertums zeitigte Auswirkungen für Jahrzehnte und blieb in der Weimarer Republik bestimmend. Erst ab 1935 wurde es zugunsten des nationalsozialistischen Weltbildes vollständig aufgegeben. Zum Zeitpunkt der Machtergreifung waren zwar alle höheren Offiziere kaiserzeitlich sozialisiert, jedoch wurden die Streitkräfte von da an rasch vergrößert. Das kaiserliche Leitbild änderte sich in wenigen Jahren zum ideologischen Leitbild des Nationalsozialismus. „Die innere Homogenität des Offizierskorps löste sich auf, die politischen und sozialen Einstellungen divergierten immer stärker. Bereits im dritten Jahr der NS-Herrschaft hatte das alte Offizierskorps aufgehört zu bestehen; seine soziale Substanz, die Voraussetzungen seiner Identität und Tradition waren vernichtet (…) die Einseitigkeit der Abkapselung wurde durch Uneinheitlichkeit ersetzt, die die Gemeinsamkeit der verschiedenen Gruppen sowohl durchweg in die in der Bereitschaft zum beruflichen sozialen Aufstieg und sozialer Sicherheit wie auch im NS-Pathos des nationalen Aufbaus begründete. Eine Art sozialer Gleichschaltung erfolgte (…) Nationalismus, Wiederaufrüstung und Beförderungsaussichten, Opportunismus und jugendliche Dynamik (…)“ (BALD 1982: 55). Nach FREVERT (2001: 321) sollte sich auch das Verhalten der Offiziere zu den unterstellten Soldaten deutlich harmonisieren: „In der Anweisung ‚Pflichten des deutschen Soldaten‘ von 1934 war beschrieben, dass eine unerschütterliche Kampfgemeinschaft von Führer und Truppe entstehen müsste, ohne die weder im Krieg noch in Frieden große Leistungen erwartbar seien. Die Mannschaften bestünden ebenfalls aus Kameraden und verdienten eine entsprechende Behandlung. Rekruten sollten nicht geschliffen werden, sondern erzogen und geführt. Ihre persönliche Ehre durfte nicht durch grobe Schimpfworte oder und Misshandlungen verletzt werden.“
Nach BALD (1982: 57) war 1939 etwa die Hälfte des Wehrmachtsoffiziere ohne reguläre Einstellungsvoraussetzungen, „sie waren Seiteneinsteiger aus den Gruppen der Polizisten und Unteroffiziere, aus der Zahl der reaktivierten und solcher, die beim Militär eine neue berufliche Zukunft erkannten (…) Dieser Nachwuchs kam aus dem unteren Mittelstand, der Bauernschaft und der Bewegung.“
Nach dem Winterfeldzug ‘41/42 galten aufgrund des hohen Bedarfs nur noch Frontbewährung und ideologische Zuverlässigkeit als allein ausschlaggebende Kriterien nationalsozialistischer Führerauslese. Das Heer wuchs von 1939 bis ‘41 von 3,7 auf 5,2 Mio Mann an; der Anteil der Offiziersanwärter mit Abitur lag 1941 noch bei 90 %, fiel 1942 auf 50 %, ehemalige Unteroffiziere und Feldwebel machten bald 20 % der Offiziere aus. Die soziale Öffnung des Offizierskorps ließ bis Anfang 1945 nicht nach, die „jungen Offiziere waren stolz auf ihre Fronterfahrung führergläubig und fanatisiert“ und zeigten eine hohe Kampfmoral (WEHLER Bd4 2009: 881).
„Das Sozial- und Idealbild des alten, preußisch-deutschen Offiziers war (…) durch das Leitbild des ‚Kämpfers‘, des blindgläubigen, Partei-hörigen militärischen Funktionärs, der seinem Führer auf jedem Weg zu folgen bereit war, ersetzt worden.“ (BALD 1982: 61)
Ein Fortbestehen des kaiserlichen Leitbild-Denkens muss auch – wenigstens für die höheren Stabsoffiziere - für die Anfänge der Bundeswehr vermutet werden und konnte – generationsbedingt – frühestens ab den 1970er Jahren als beendet angesehen werden. Altersbedingt und aufgrund des Ausschlusses überzeugter Nationalsozialisten stammten im Jahr 1966 52 % der Bundeswehr-Generalität sozial aus den sogenannten „erwünschten Kreisen“ der Kaiserzeit. Blickt man auf alle Offiziere, waren es schon 1966 nur 9 bis 15 %, in den 70er Jahren nur noch 7 % (BALD 1982: 61f).
Erst mit dem weiteren Aufbau der Bundeswehr und den politischen Entwicklungen ab 1968 vollzog sich die neue Liberalität und das Widerspiegeln gesellschaftlicher Veränderungen in der Bundeswehr. Damit war allerdings auch eine dauerhafte Diskussion über die Leistungsfähigkeit der Truppe eröffnet.
In der Bundeswehr galt der Grundsatz der Bildung und Qualifikation. 1967 fehlte einem Drittel der Offiziere das Abitur, bedingt durch die Aufbauzeit und die Übernahme aus der Wehrmacht. Es liegen Daten von jungen Leutnanten von 1967 vor, die einen Abiturientenanteil von über 90 % aufweisen; in den 60er Jahren änderte sich also das Bild. 1973 wurde ein der „Hochschulzugangsberechtigung gleichwertiger Abschluss“ eingeführt und seitdem erfüllen praktisch 100 % des Nachwuchses diese Qualifikation (BALD 1982: 130f). Seit 1972 gibt es das dreijährige Regelstudium für Zeit- und Berufsoffiziere. Dessen Einführung führte politisch und auch innerhalb der Bundeswehr wieder zu großen Diskussionen über „Praktiker“ und „Theoretiker“, über „Charakterfestigkeit“ und „Bildung“. Im Zeitalter des „Bürgers in Uniform“ war aber nicht mehr der „fanatische Kämpfertyp“ das Idealbild, sondern der in jeder Hinsicht als „Vorbild“ dienende, politisch, gesellschaftlich und militärfachlich gut ausgebildete Vorgesetzte und auch bezüglich der Bewerberzahlen war das bezahlte Studium ein Erfolg. Inzwischen ist ein Studium für Offiziere üblich, gleichwohl hatten zumindest in den 80er Jahren noch etwa ein Drittel der jungen Offiziere kein Studium absolviert. Im Sinne einer sozialen Durchlässigkeit und der teilweise nicht zu deckenden Bedarfslage war und ist die Übernahme von „bewährten Offizieren“ zum Berufssoldaten auch ohne Studium akzeptiert (BALD 1982: 117f).
Auch wenn sich vielfach die Herkunft des Offiziersnachwuchses geändert hat, ist weiterhin der Fundus an bürgerlich-konservativen Elternhäusern mit entsprechender staatstragender Einstellung bestimmend für die Rekrutierung: Das Abitur ist von Ausnahmen abgesehen Voraussetzung für den Offiziersberuf und die Unausgewogenheit der sozialen Herkunft von Abiturienten ist vielfach anderweitig beschrieben. Das Bürgertum blieb Quelle des Offiziersnachwuchses. Des Weiteren gibt es ausreichend Hinweise, dass neben den Offizieren auch bei den Mannschaften konservative Grundhaltungen überwiegen, weil progressive Kräfte eher zum Zivildienst neigen. Dieses umso stärker, seit 2010 keine Wehrplicht mehr besteht und daher die Rekrutierung aus der Heterogenität der Gesellschaft nicht mehr stattfindet.
Dezentral rekrutierende Stelle für den Offizier war von der Kaiserzeit bis ins Dritte Reich das Regiment, das mit der Offizierswahl auch das Instrument der Selektion nach der Offiziersanwärterzeit innehatte. In der Bundeswehr wurde und wird die Rekrutierung und die spätere Förderung – gestützt auf die Beurteilungen des direkten Vorgesetzten ab Kompaniechef aufwärts sowie dessen Vorgesetzten – zentral durch ein Personalamt geregelt.
1918 gab es laut NEITZEL (2021: 100ff) 150 000 Offiziere, davon 38 000 Berufsoffiziere. Das Hunderttausend-Mann-Heer der Weimarer Republik verfügte über 4 000 Offiziere.
1933 waren es 4 000 Offiziere, 1938 etwa 22 600, das Unteroffizierskorps wuchs 1933 bis 1938 von 20 000 auf 150 000 Mann auf. 1939 waren es 89 000 Offiziere. 1941 145 600, im Oktober 1942 180 000 und im Juli 1944 240 000. Am Ende des Zweiten WK gab es etwa 250 000 Offiziere (NEITZEL 2021: 124), davon 64 % ehemalige Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere (BALD 1982: 58) bei 15,6 Mio Soldaten, was wiederum 56 % aller 16- bis 50-jährigen Männer entsprach (WEHLER Bd4 2009: 879ff) .
Offizieren und Mannschaften wurden in der Wehrmacht grundsätzlich gleich verpflegt (WETTE 1992: 301) und so ist es auch bei der Bundeswehr.
Der Anteil der Offiziere in der Armee lag in der Kaiserzeit bei 3 %, in der Reichswehr bei 4 %, in der Bundeswehr bei 7 bis 9 %, in der NVA gar bei 20 bis 24 %. Der hohe Anteil ähnelt dem der Sowjet-Armee; die Stellen in der NVA konnten aber wegen Personalmangels teilweise zur Hälfte nicht besetzt werden (NEITZEL 2021: 421).
Unteroffiziere waren für die individuelle Waffendrillausbildung und das Funktionieren der Truppe im Dienstalltag schon vor Napoleons Zeiten unverzichtbar. Sie erlangten spätestens ab 1850 unter den Bedingungen ausdifferenzierter Funktionen (Instantsetzung von Waffen und Gerät, Logistik, Verpflegung, Personalverwaltung, Berichts- und Meldewesen) gesteigerte Bedeutung und bildeten als Unteroffizierkorps ein eigenes Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Insbesondere nach den Einigungskriegen und dann im Kaiserreich ging der Unteroffizier aus erfahrenen Mannschaften hervor, wurde später an Unteroffizierschulen weitergebildet und erlangte im Idealfall nach der zwölf oder mehr Jahre dauernden Dienstzeit eine Beamtenstelle im zivilen Bereich. Aufgrund einer den Mannschaften ähnlichen Sozialisation bestand oft eine nicht so weite gesellschaftliche Distanz zu den Mannschaften wie bei den Offizieren. Der Unteroffizier war der erste und unmittelbarste Vorgesetzte des Soldaten, er wusste um Eigenheiten, Sorgen und Nöte seiner Soldaten, die er als Korporalschaftsführer mit etwa 15 Mannschaften führte.
Differenzierung und spezielle Fachausbildungsgänge wurden üblich. Es gab auch Unteroffizierschulen und -vorschulen mit teilweise dreijährigen Ausbildungsgängen, die für Knaben eingerichtet waren und neben militärischen Grundlagen vor allem Lesen, Schreiben, Rechnen und Allgemeinbildung lehrten.
Unteroffiziere entwickelten sich damit teilweise schon vor dem Ersten WK, spätestens aber im Kriege, zu den klassischen Gruppen- und Zugführern, die notfalls auch größere Einheiten führen konnten. In einer Infanterievorschrift aus dem Jahr 1906 heißt es: “Der Unteroffizier unterstützt den Offizier und muss ihn nötigenfalls ersetzen.“ (LAHNE 1965: 345ff). Gegen Ende des Ersten Weltkrieges war es selbstverständlich geworden, dass Unteroffiziere m. und o. P., erfahren und in speziellen Lehrgängen technisch und taktisch geschult, die überall fehlenden Offiziere ersetzten und z. B. als Stoßtruppführer Angriffe führten. Das Unteroffizierkorps -zumindest in seinem überwiegenden Teil – bewies spätestens ab 1914 gute Fachkenntnisse und menschliche Fähigkeiten, geistige Wendigkeit und persönliche Entschlusskraft – ihre dauerhaften Merkmale in Zeiten der Auftragstaktik.
Im Ersten WK starben oder wurden vermisst fast 301 000 Unteroffiziere, 477 700 wurden verwundet.
Der Feldwebel der Kompanie war der heutige Spieß, Vizefeldwebel waren Gruppen- oder Zugführer, Unteroffiziere Gruppenführer. Ihre Uniform war in der Kaiserzeit durch besondere Knöpfe am Kragen des Mantels bzw. durch aufgenähte Litzen am Kragen des Waffenrocks zu erkennen sowie an der Schirmmütze anstelle des schirmlosen Krätzchens. Untergebracht waren sie in der Regel zusammen mit den Mannschaften, nur abgetrennt durch einen Wandschirm, Sergeanten und Feldwebel hatten Gemeinschaftsstuben (LAHNE 1965: 312f). Aufgrund des Mangels an Unteroffizieren bei den Heeresvermehrungen wurden ab den 1890er Jahren Dienstzeitverlängerungsprämien gezahlt, ein Ausgang bis zum Wecken war auch für Unteroffiziere nicht üblich. Erst in der Zeit nach 1900 gab es ausreichend viele Unteroffiziere und sie wurden in eigenen Stuben untergebracht und in eigenen Speisesälen verköstigt.
Die Bezeichnungen in der Kaiserzeit waren vielfältig: zu der Ranggruppe der Feldwebel gehörten Feldwebel (= der Kompaniefeldwebel), Wachtmeister, Obermeister bei den technischen Instituten der Artillerie, Portepeefähnriche, Rossärzte, Unterrossärzte, Unterärzte, Reitende Feldjäger, Wallmeister, Registratoren. Zur Dienstgradgruppe der Sergeanten gehörten Überzählige Vizefeldwebel, Etatmäßigen Sergeanten, Feuerwerker, Oberfahnenschmiede, Oberlazarettgehilfen und Feldgendarmen. Zu den Unteroffizieren gehörten Überzählige Sergeanten, Unteroffiziere, Lazarettgehilfen, Oberbäcker, Oberhandwerker und andere (LAHNE 1965: 310).
Gesellschaftlich war der preußische Unteroffizier durchaus angesehen, es gab Anerkennung durch die militärfreundliche Gesellschaft und er war als Zivilbeamter nach seiner Dienstzeit als zuverlässiger Diener des Staates respektiert. Gleichzeitig wurde er öffentlich karikiert als einfältiger oder schindender Gehilfe des arroganten preußischen Offiziers.
In den Jahren der Weimarer Republik und im Dritten Reich verstärkten sich die Ansprüche an Tatkraft, fachliche Ausbildung, Qualität der Menschenführung und Leistungsfähigkeit, im Zweiten WK sprangen Unteroffiziere in noch größerem Ausmaß als Offiziersersatz ein.
In der Bundeswehr waren es in den 80er Jahren neben einem Offizier als Zugführer ausschließlich eine Handvoll Feldwebeldienstgrade und das Dutzend Unteroffiziere, die in der Kampfkompanie die Ausbildung und das Funktionieren des Zuges sicherstellten.
Ein ergänzendes Bild auf die Selbstsicht der Unteroffiziere liefert eine Broschüre mit Umfrageergebnissen der Bundeswehr aus dem Jahre 1970 (mit über 1 700 beantworteten Fragebögen, 213 Fragen, Antworten mit Multiple Choice und Selbsteinschätzungsskalen). Demnach waren es vier Themenbereiche, die die Freude am Beruf und die Zufriedenheit bestimmten. Die ersten drei wurden dabei höher gewichtet als der vierte Punkt (SIF 1972: 12f):
Insgesamt wurden in der Befragung dann auch Wechselwirkungen festgestellt: Eine hohe Zufriedenheit bezüglich persönlicher Anerkennung sowie der Vorgesetzten korrelierte mit Freude an der fachlichen Tätigkeit und dem erreichten Dienstgrad. Die Wechselbereitschaft war dann gering, die Zufriedenheit mit der Besoldung gestiegen (SIF 1972: 44ff).
Die Antworten aus der Umfrage sind in keiner Weise überraschend und entsprechen den normalen Erwartungen an das Ergebnis einer Berufszufriedenheitsanalyse. Die Befragung in der Bundeswehr als Friedensarmee konnte damals zu keinem anderen Ergebnis kommen und führte zu weiteren Verbesserungsversuchen in den Grundsätzen der Menschenführung, der Personalplanung und der Besoldung. Ausgestattet mit der Möglichkeit, den Dienst nach Ablauf der Dienstzeit zu quittieren, war und ist die Unteroffiziersstellung mit „Gestaltungsspielraum nach unten“ und „Vorgaben von oben“ auch gekennzeichnet durch eine gegenüber zivilen Berufen häufigeren Infragestellung der eigenen Berufs- und Lebensplanung.
Der Kasernendienst war eine typische Tätigkeit im Kalten Krieg, aber selbst auf Übungen sahen wir als Mannschaftsdienstgrad sehr genau, wie die fachlichen Fähigkeiten als Panzerkommandant oder Jägergruppenführer waren, ob Stellungen, der Weg des Spähtrupps, die Kommunikation mit der Gruppe und zum Zugtrupp, die Anforderung von Munition und Sprit den Anforderungen entsprachen und welche Gruppe „Glück hatte“ mit ihrem Gruppenführer. Andererseits war auch während Übungen die Zufriedenheit des Unteroffiziers von den ihm unterstellten Soldaten abhängig, seine Leistung und sein Ansehen beim Zugführer und beim Kompaniechef gleichzeitig auch wieder Spiegel der Gruppenleistung. Umso mehr galt das für das Überleben im Gefecht in einem realen Kampfeinsatz.
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[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrpflicht_in_Deutschland, https://de.wikisource.org/wiki/Reichs-Milit%C3%A4rgesetz#%C2%A7._44, Zugriff 07.05.2024
[2] https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Soldat/Wehrdienst.htm, Zugriff 29.11.2023
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrmacht#Eid_f%C3%BCr_jeden_Soldaten , Zugriff 29.11.2023
[4] https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wehrpflicht_in_Deutschland&veaction=edit§ion=5, Zugriff 29.11.2023
[5] https://freidok.uni-freiburg.de/data/5681, Zugriff 11.05.2024
[6] https://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehr-trinken-von-alkohol-wird-praktisch-befohlen-1.51681, Zugriff 13.05.2024
[7] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.krieg-in-der-ukraine-das-kostet-der-leopard-2-a6.c085fa7e-6f3c-4dc1-8ea2-9c9c0d46e522.html, Zugriff 15.05.2024
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Heer_(Deutsches_Kaiserreich)#Verdienst_und_Unterhalt_um_1900, Zugriff 27.09.2022
[9] https://lexikon-der-wehrmacht.de/Soldat/Besoldung.htm, Zugriff 27.9.2022